- Nach Impfungen mit Kochsalzlösungen im April im niedersächsischen Landkreis Friesland könnten nach Behörden-Angaben mehr Menschen als zunächst angenommen betroffen sein.
- Auch die Polizei schließt weitere Fälle nicht aus - ein mögliches politisches Motiv steht im Raum.
Nachdem eine Krankenschwester Spritzen mit einer Kochsalzlösung statt mit Impfstoff aufgezogen haben soll, könnten nun Tausende Menschen im Kreis Friesland keinen ausreichenden Impfschutz gegen COVID-19 haben - weit mehr als zunächst angenommen. Das teilten der Kreis Friesland und die Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Jever mit.
Nach Angaben des Leiters des niedersächsischen Corona-Krisenstabs, Heiger Scholz, gibt es zudem Hinweise darauf, dass die Frau als Impfgegnerin gehandelt haben könnte - und nicht nur aus Versehen.
Nach polizeilichen Ermittlungen müsse inzwischen davon ausgegangen werden, dass bei bis zu 9.673 Impfungen in März und April noch weiteren Menschen Kochsalzlösungen statt der gewünschten Impfstoffe von Biontech, Moderna und Astrazeneca verabreicht wurden, sagte Frieslands Landrat Sven Ambrosy (SPD). Insgesamt müssen 8,7 Prozent der Kreisbevölkerung nun als möglicherweise Betroffene erneut geimpft werden - darunter vor allem Personen der Priorität zwei, etwa Menschen über 70 Jahren.
Krankenschwester hatte Impfungen mit Kochsalzlösung eingeräumt
Eine Mitarbeiterin des Impfzentrums, eine examinierte Krankenschwester, hatte im April eingeräumt, sechs Spritzen statt mit dem Impfstoff von Biontech mit einer Kochsalzlösung gefüllt zu haben. Beim Anmischen soll ihr damals ein Fläschchen mit dem Impfstoff heruntergefallen sein, was sie habe vertuschen wollen. Die Frau wurde nach Bekanntwerden des Falles entlassen. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln seitdem wegen möglicher Körperverletzung.
Dass nun die bislang wohl größte Nachimpfaktion des Landes Niedersachsens anläuft, ist vor allem auf Zeugenaussagen zurückzuführen, wie der stellvertretende Leiter der Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland, Peter Beer, am Dienstag schilderte. Demnach hätten sich bei Vernehmungen zuletzt konkrete Hinweise ergeben, "die darauf hindeuten, dass die Frau nicht nur in diesem einen Einzelfall gehandelt hat", sagte Beer. Er nannte aber keine Einzelheiten.
Politischer Hintergrund als Motiv?
Die Frau ließ über ihre Rechtsanwälte dagegen am Dienstag mitteilen, dass es sich bei der Tat am 21. April um einen "einmaligen Vorfall" gehandelt habe. "Insbesondere hat es keine weiteren Tage gegeben, an denen der Impfstoff nicht pflichtgemäß in der vorgesehenen Menge durch unsere Mandantin verabreicht wurde", hieß es in der Mitteilung. Auch eine politische Motivation wiesen die Anwälte zurück.
Die Polizei geht bislang von einer Vertuschungstat aus und wollte sich nicht zu Spekulationen über einen möglichen politischen Hintergrund als Motiv äußern. Beer bestätigte allerdings am Dienstag bereits zuvor bekannte gewordene Recherchen etwa des "Spiegel", wonach die Beschuldigte vor dem 21. April in einem sozialen Netzwerk Beiträge teilte, in denen Corona-Maßnahmen der Regierung kritisiert wurden. Zudem habe die Frau über einen Chat "corona-kritische Informationen" verteilt, sagte Beer. "Das ist aber alles, was wir bisher im Rahmen der Ermittlungen festgestellt haben." Die Frau schweige zu dem Geschehen.
Der Leiter des niedersächsischen Corona-Krisenstabs, Heiger Scholz, sagte, die Ermittlungen hätten ergeben, dass die Einlassung der Frau damals "wohl nicht richtig war." Es gebe deutliche Hinweise darauf, dass die Beschuldigte "in großem Umfang Kochsalzlösung verimpft hat als Impfgegnerin", sagte Scholz. "Das ist schon ziemlich perfide, sich in ein Impfzentrum zu schleichen mit dem einem Vorsatz so etwas zu tun und dann den Menschen, die ja auf eine Impfung und den Schutz der Impfung hoffen, in der Weise zu hintergehen, zu täuschen. Da fällt einem ganz wenig dazu ein." (dpa/afp/mf)
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