• Zu Beginn der Pandemie schien sie ein vielversprechendes Mittel zu sein, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen.
  • Inzwischen spricht kaum jemand mehr über die Corona-Warn-App, die Nutzerzahlen stagnieren.
  • Knapp 36 Millionen Mal wurde die Anwendung installiert, aktiv genutzt wird die Anwendung deutlich seltener. Warum ist das so?
  • Ein Konsumforscher und ein Ökonom geben Antworten.

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36,3 Millionen Menschen haben sie heruntergeladen: Die vom Robert-Koch-Institut (RKI) herausgegebene Corona-Warn-App. Zu Beginn der Pandemie schien sie ein vielversprechendes Mittel im Kampf gegen das Corona-Virus sein: Infektionsketten nachvollziehbar machen, Mitmenschen warnen und so sogar Lockdowns verhindern – das war das ausgegebene Ziel der digitalen Anwendung.

Inzwischen spricht kaum jemand mehr über die Corona-Warn-App. Der Schwellenwert von 60 Prozent Nutzern einer Bevölkerung, den die Universität Oxford zum Entwicklungsstart berechnete, scheint unerreichbar. Als einzige Maßnahme hätte man bei diesen Nutzerwerten die Pandemie völlig stoppen können, hatten Forscher damals berechnet.

Nutzen für viele unklar

Die Rahmenbedingungen haben sich geändert: Ein Impfstoff ist da, neue Virusvarianten ebenfalls. "Von Anfang an haben viele den Nutzen der Corona-App nicht gesehen", sagt Konsumforscher Wassili Lasarov. Viele hätten gedacht, die App solle dabei helfen, dass man sich selbst nicht infizieren könne. "Sie haben dann gemerkt, dass das nicht funktioniert. Diese Erwartungshaltung wurde also enttäuscht", so der Wissenschaftler. Unwissen könne zu Ablehnung führen.

"Auch war und ist vielen nicht klar, was sie tun müssen, wenn der Status der App auf Rot springt", so Lasarov. Zur Erinnerung: Die Corona-Warn-App misst den Abstand zwischen Personen via Bluetooth-Funktechnik. Dafür tauscht sie, wenn sich Menschen begegnen, die die App installiert haben, im Hintergrund zufällig generierte, kryptografische Codes aus.

So funktioniert die App

Wird jemand positiv auf das Corona-Virus getestet, kann er das Ergebnis freiwillig über die App teilen und so mögliche Kontaktpersonen warnen. Als Risikobegegnung kommt jemand dann in Frage, wenn Abstand, Dauer und Zeitpunkt des Kontakts epidemiologisch relevant waren. Das kann der Fall sein, wenn die Begegnung länger als zehn Minuten gedauert hat, der Abstand geringer als acht Meter war und der Kontakt in den vergangenen sechs Tagen stattgefunden hat.

In der Theorie klingt das plausibel: Wessen Status auf rot springt, soll Kontakte reduzieren und sich bei Symptomen testen lassen. Ob man bei einer roten Warnung in der Corona-Warn-App einen PCR-Test oder einen Schnelltest erhält, entscheiden Arzt oder Gesundheitsamt.

Hürden in der Praxis

In der Praxis funktioniert das aber weniger gut: "Viele Nutzer berichten, dass sie große Schwierigkeiten haben, sich verantwortungsvoll zu verhalten", weiß Ökonom Dominik Rehse. Er sieht mehrere Gründe dafür, warum die App so wenig Anklang findet: "Die öffentliche Meinungsbildung war schon während der Entwicklung der App sehr unausgewogen, wir haben als Gesellschaft fast nur über Datenschutz und Privatsphäre gesprochen und kaum über den wirklichen Nutzen – etwa, dass die App Lockdownmaßnahmen verhindern kann", sagt der Experte. Außerdem sei die App nicht zielgerichtet beworben worden.

Lasarov sieht weitere Gründe: "Es gibt bei der Nutzung von Angeboten immer sogenannte Transaktionskosten, die manchen Menschen zu hoch sind, um den Nutzen zu rechtfertigen: Das sind zum Beispiel Datenschutzbedenken oder technische Begebenheiten als Hürde", erklärt der Forscher. Gleichzeitig spiele auch der Druck im sozialen Umfeld eine Rolle.

Technische Hürden

Zu den technischen Hürden zählt beispielsweise, dass die App nur auf iPhones und Android-Smarthphones funktioniert, die bestimmte Betriebssysteme haben. Außerdem muss die Bluetooth-Funktion dauerhaft aktiviert sein.

Einen Rückschluss auf die Identität oder den Standort der Nutzer lässt die App nicht zu, ebenso sammelt sie keine persönlichen Daten – sein Covid-Impfzertifikat kann man aber freiwillig in der App hochladen. Gab es eine Risikobegegnung, erfährt man also nicht, wann und wo der Kontakt stattgefunden hat.

Irrationale Zielkonflikte

Inzwischen bietet die App weitere Funktionen: Neben Informationen über die aktuellen Corona-Zahlen können Nutzer beispielsweise QR-Codes für eigene Veranstaltungen generieren oder ein Kontakttagebuch anlegen.

"Neben rationalen Kosten-Nutzenabwägungen gibt es aber auch einen großen Teil irrationaler Bedenken", analysiert Experte Lasarov. Dazu zählten beispielsweise Bedenken gegenüber dem Staat und der Wissenschaft. Es könne also sein, dass sich jemand zwar gegenüber seinem sozialen Umfeld verpflichtet fühle, die App zu nutzen, die Corona-Politik der Bundesregierung aber ablehne und die Anwendung deshalb nicht installiere.

Weniger Nutzer als Downloads

"Dieser irrationalen Komponente kann man nicht mit reinen Informationen über die App begegnen, man muss sie eher emotional ansprechen", rät Experte Lasarov. Dazu könne man den Ernst der Lage noch einmal verdeutlichen sowie die Konsequenzen ins Bewusstsein rufen, sofern nicht ausreichend Maßnahmen ergriffen werden.

"Der Nutzen der App steigt mit mehr Nutzerzahlen exponentiell", erinnert Lasarov. Mit aktiven Nutzern gleichsetzen kann man die knapp 36 Millionen Downloads aber nicht – manche haben die App inzwischen wieder desinstalliert oder die Bluetooth-Funktion abgeschaltet. Von den aktiven Nutzern, so schätzt das RKI, teilen 60 Prozent ihr Testergebnis in der App.

Nutzen steigt exponentiell

"Dennoch: Eine Verdoppelung der Nutzerzahlen ist weit mehr als eine Verdoppelung des Nutzens, er steigt um ein Vielfaches", sagt Lasarov. Je mehr Menschen die App nutzten, einen desto höheren Nutzen habe sie. "Die Impfung ist zwar das wichtigste Mittel, um die Pandemie einzudämmen, aber sie muss von flankierenden Maßnahmen unterstützt werden – dazu zählt auch die App", meint er.

Das sieht auch Rehse so: "Die Corona-Warn-App ist nur eine Ergänzung und kein Ersatz für andere Maßnahmen wie die Impfung oder die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter." Die App habe vor allem dann einen großen Nutzen, wenn eine manuelle Kontaktverfolgung durch die Gesundheitsämter nicht möglich sei – also bei Überlastungen oder bei Begegnungen mit Unbekannten etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Lehren für die Zukunft

"Es ist nicht so, dass wir die App nur für ein Spiel auf Zeit brauchten, bis der Impfstoff da war, und sie nun überflüssig ist", sagt Rehse. Den Spielraum, neue Nutzer zu gewinnen, schätzt er jedoch als äußerst gering ein. "Da ist das Geld besser in einer wirkungsvollen Umsetzung der Impfkampagne angelegt", sagt er. Man solle eher daran arbeiten, die App bei bestehenden Nutzern besser zum Einsatz zu bringen.

Für die Zukunft bietet die Corona-Warn-App aus seiner Sicht noch ein ganz anderes Potenzial: "In Bezug auf digitale Gesundheitsmaßnahmen können wir eine Menge aus der Corona-Warn-App lernen", meint Rehse. Es lohnt sich, im Nachhinein anzugucken, was gut und schlecht gelaufen sei.

Über die Experten:
Dr. Wassili Lasarov ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Er hat Business Administration an der TU Dresden studiert und im August 2020 eine Analyse zur Akzeptanz der App veröffentlicht. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Konsumverhaltensforschung, digitales Marketing und nachhaltiges Konsumverhalten.
Dr. Dominik Rehse ist Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe "Design digitaler Märkte" am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Frage, wie digitale Plattformen das Design von Märkten und Institutionen verändern beziehungsweise neue Märkte und Institutionen schaffen und wie sie dafür Gebrauch von algorithmischer Entscheidungsfindung machen.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Wassili Lasarov
  • Interview mit Dominik Rehse
  • Robert-Koch-Institut: Corona-Warn-App Dashboard. Stand 19.11.2021: https://www.coronawarn.app/de/analysis/

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