Dank sozialer Netzwerke und Online-Dating-Plattformen war es noch nie so einfach, einen potenziellen Partner kennenzulernen. Es war aber auch noch nie so einfach, sich aus einer sich anbahnenden Beziehung still und heimlich wieder zurückzuziehen. Drei Experten erklären, warum Menschen das tun - und was es mit den Betroffenen macht.
Es ist eine schöne Vorstellung: Man lernt über Facebook oder eine Dating-Plattform jemanden kennen, schreibt sich und merkt, dass man viele gemeinsame Interessen hat, sich sympathisch findet. Es kommt zu einem Treffen, man küsst sich, man verliebt sich.
So weit das Ideal. Im Internet tummeln sich aber eine Menge Leute, die in Sachen Online-Dating eine bestimmte Strategie fahren. Drei derzeit gängige sind "Ghosting", "Benching" und "Breadcrumbing":
- Beim "Ghosting" zieht sich einer der Online-Dater plötzlich zurück, antwortet nicht mehr auf Nachrichten, ist nicht mehr erreichbar.
- Beim "Benching" wird der Kontakt zwar aufrechterhalten, aber nur so weit, dass es nicht verbindlich wird.
- "Breadcrumbing" (auf Deutsch: Brotkrumen streuen) ist eine Mischung aus beidem: Der Dating-Kontakt wird mit Likes und Kommentaren warmgehalten - und zwar genau in dem Maße und Tonfall, dass er oder sie weiterhin glauben kann: Aus uns könnte noch etwas werden. Dann taucht der "Breadcrumber" wieder ab. Nur, um wenig später wieder aufzutauchen.
Warum machen Menschen das?
Bei allen drei Vorgehensweisen hat derjenige, der die Taktik anwendet, nicht wirklich eine Beziehung im Sinn. Aber warum suchen diese Leute dann überhaupt Kontakt mit Menschen, die wirklich jemanden für eine Partnerschaft wollen?
"Ich kann mir mehrere Situationen vorstellen, die zu einem solchen Verhalten motivieren können", so die Paarberaterin Sigrid Sonnenholzer.
Erstens: Jemand ist gebunden und will keine Beziehung mit jemand anderem, aber das Gefühl vermittelt bekommen, er oder sie sei begehrt. Zugleich genießt diese Person das Gefühl der Macht, die sie über den anderen hat - der ja quasi davon abhängig ist, ob sie sich meldet.
Zweitens: Jemand hat Bindungsängste, will aber auch nicht dauerhaft Single sein. Um sich die Bindungsangst nicht eingestehen zu müssen, sagt er sich: Ich hab ja viele Eisen im Feuer, irgendwann wird schon der oder die Richtige dabei sein.
Und drittens: Er oder sie ist auf der Suche nach etwas Besserem als dem, was er oder sie aus eigener Sicht gerade in der Beziehung hat.
Selbstbestätigung, Machtgefühl, Bindungsängste und Unzufriedenheit in der Beziehung sind also die Hauptmotive für eine solches Verhalten. Das gibt es natürlich auch in der Offline-Welt. In Zeiten des Online-Datings und der sozialen Netzwerke ist es aber deutlich einfacher geworden.
Die Psychologin Christiane Eichenberg, die an der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien arbeitet, erklärt: Die besondere Kommunikationsstruktur des Internets, die eine anonyme und pseudonyme Kontaktaufnahme ermöglicht, führe dazu, dass die Hürde für anti-soziales Verhalten kleiner werde - "vor allem, weil man sich nicht direkt vor dem anderen verantworten muss".
Zeitplan machen - und beizeiten aussteigen
Manche solcher Kontakte laufen über viele Monate. Weil es gar nicht so einfach ist zu erkennen, dass man nur hingehalten wird - oder weil man es nicht wahrhaben will.
Nicht immer bedeutet ein schleppender Kontakt, dass dahinter eine böse Absicht steckt. "Die Grenze zu jenen, die Bindungsängste haben und deswegen den Kontakt langsam aufbauen, ist fließend", so der Psychologe
Allerdings, so Ernst, sollte man hellhörig werden, wenn über Monate verbindlichen Verabredungen ausgewichen oder wenig Persönliches erzählt wird. Oder generell: Wenn sich über einen längeren Zeitraum die Tiefe der Beziehung nicht verändert.
Sonnenholzer spricht von "Entwicklungsschritten": Erst schreibt man sich, dann trifft man sich, dann trifft man sich öfter. Menschen, die "Benching" oder "Breadcrumbing" betreiben, werden den nächsten Schritt, etwa sich zu treffen, nicht machen.
Die Paartherapeutin rät Online-Datern mit ernsthaften Absichten deswegen dazu, sich einen Zeitplan zu machen, wann man bei welchem Schritt angekommen sein will.
Oder sich aufzuschreiben, wie oft man zulassen möchte, dass ein Treffen vereinbart, aber dann vom anderen im letzten Moment abgesagt wird. "So macht man sich nicht zum Opfer einer solchen Situation, sondern handelt", so Sonnenholzer.
Wenn deutlich wird, dass das Gegenüber kein Interesse an einem Kennenlernen hat, sollte man den Kontakt sofort abbrechen. "Sich einfach entziehen, es gar nicht groß erklären", sagt Sonnenholzer. Denn eine Erklärung würde dem "Breadcrumber" oder "Bencher" nur die Möglichkeit bieten, einzusteigen und zu versuchen, sich wieder in das Leben des anderen zu schleichen.
Betroffene können Bindungsängste entwickeln
Menschen, die eine Warmhaltetaktik fahren oder plötzlich abtauchen, sollten sich darüber im Klaren sein, dass ihr Gegenüber sich oft selbst die Schuld am Scheitern des Kontakts geben und nach eigenen Fehlern suchen wird und darunter das Selbstwertgefühl leidet.
"Wer oft solche Erfahrungen macht, kann selbst Bindungsängste entwickeln", so der Psychologe Ernst. Er rät dennoch, bei der ersten Kontaktaufnahme nicht grundsätzlich misstrauisch zu sein. Eine gewisse Offenheit sei ja auch nötig, um Gefühle überhaupt zuzulassen.
Und wenn es tatsächlich klappt mit der Beziehungsanbahnung im Internet, sind die Erfolgsaussichten auf eine gemeinsame Zukunft recht gut. Zumindest nicht schlechter als im Durchschnitt. Denn, sagt Eichenberg, Langzeitstudien zeigten, dass die Trennungs- und Scheidungsquoten bei Partnerschaften, die im Internet begonnen haben, nicht höher sind als bei anderen Paaren.
Verwendete Quellen:
- Gespräche mit der Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Christiane Eichenberg, mit dem Psychologen und Parship-Experten Markus Ernst sowie mit der Paartherapeutin Sigrid Sonnenholzer
- "Welt.de": So fies werden wir von Leuten abserviert, die wir mochten.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.