- Achtsame Auszeiten im Wald können die Gesundheit von Körper und Geist fördern.
- Was in Japan längst gang und gäbe ist, entwickelt sich auch hier langsam zur Therapie.
- Was hinter Shinrin-Yoku steckt.
In Japan verschreiben Ärzte schon seit Jahrzehnten eine Auszeit im Wald als Therapie. Shinrin-Yoku heißt die Naturtherapie im Land der aufgehenden Sonne. Wir nennen es schlichtweg Waldbaden. Doch wie badet man im Wald und welche positiven Effekte hat Waldbaden auf die Gesundheit?
Während viele Gebiete der Naturmedizin in der westlichen Welt langsam wiederentdeckt und wissenschaftlich ergründet werden, wurde die Waldmedizin in Japan bereits in den 1980er Jahren im Auftrag der japanischen Regierung erforscht. Zahlreiche Studien haben ergeben, dass eine achtsame Auszeit im Wald einen gestressten Geist beruhigt, da im Wald der als Ruhe- und Erholungsnerv bekannte Vagus aktiviert wird. Und auch körperlich sind die Auswirkungen deutlich messbar.
Waldbaden stärkt das Immunsystem
Qing Li ist Professor an der Nippon Medical School in Tokio und Vizepräsident der japanischen Gesellschaft für Waldmedizin. In einer seiner groß angelegten Studien fand er heraus, dass die Zahl der natürlichen Killerzellen im menschlichen Blut bei regelmäßigem Waldbaden steigen. Diese sind dafür verantwortlich, von Erregern befallene Zellen zu bekämpfen – auch Tumorzellen.
Er erforschte jahrelang die Wirkung der im Wald vorkommenden Terpene auf das Immunsystem. Dabei handelt es sich um chemische Verbindungen, über die Bäume sich etwa über Krankheitserreger austauschen und daraufhin Schutzstoffe aktivieren. Auch das menschliche Immunsystem soll für diese Botenstoffe empfänglich sein.
Um die Wirkung der Terpene auf den Menschen zu beweisen, führte Qing Li zusammen mit einem Forscherteam der Nippon Medical School einen Versuch mit zwölf Probanden durch. Diese wurden in einem Hotel untergebracht und in zwei Gruppen eingeteilt. Während eine Gruppe nachts mit Terpenen angereicherte Luft atmete, schliefen die restlichen Probanden bei normaler Luft.
Terpene – gesunde Botenstoffe im Wald
Am nächsten Tag wiesen die Blutproben der bei terpenhaltiger Luft schlafenden Studienteilnehmer eine deutlich höhere Zahl besonders aktiver Killerzellen auf. Li empfiehlt, den Wald wöchentlich für mindestens zwei bis vier Stunden aufzusuchen.
Ähnliche Zahlen empfehlen auch Forscher der Universität von Exeter in England. Die Ergebnisse der Studie von Mathew White und seinen Kollegen erschien jüngst im renommierten Fachmagazin "Scientific Reports". Daten von mehr als 20.000 Menschen weltweit wurden für die Studie ausgewertet.
Das Ergebnis: Rund 120 Minuten pro Woche in der Natur genügen, um positive Effekte auf das geistige und körperliche Wohlbefinden zu erzielen. Besser seien aber 200 bis 300 Minuten Natur pur, schreiben die Forscher.
Die Natur als Anti-Stressmittel
Chronischer Stress gilt als Gift für die Gesundheit. Reizüberflutung durch das Smartphone aber auch Stressfaktoren wie Straßenverkehr und ständiger Leistungsdruck lösen eine Kettenreaktion im Körper aus: Durch eine erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen steigen Blutdruck, Blutzuckerspiegel, freie Fettsäuren und Magensäure.
Bleiben ausreichende Entspannungsphasen aus, werden Stresshormone nicht genügend abgebaut. Die Folge sind entzündliche Reaktionen im Organismus, die das Immunsystem schwächen.
Auch Stress-assoziierte psychosomatische Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen können sich entwickeln, wenn Stressoren dauerhaft bestehen bleiben und Stresshormone nicht abgebaut werden. Im Wald können Stress-Symptome gelindert werden.
Wie badet man im Wald?
Zwar wirkt auch ein kurzer Waldspaziergang belebend und entspannend, Shinrin-Yoku kann mit der kurzen Auszeit im Grünen jedoch nicht verglichen werden.
Vielmehr steht Waldbaden für das Bad der Sinne im Wald: eintauchen in die Welt der Bäume, sie achtsam erleben, Oberflächen abtasten, dem Rascheln des Laubes oder dem Wind in den Baumkronen lauschen, die Vielfalt des Waldes wahrnehmen – und auch sich selbst bewusst im Hier und Jetzt zu spüren.
Heike Bülow aus Potsdam ist Achtsamkeitstrainerin und Kursleiterin für Waldbaden für Erwachsene und Kinder. Schon nach dem ersten Waldbaden stellt sie bei Teilnehmern eine Veränderung fest.
"Am deutlichsten sehe ich bei den Teilnehmern die Entspannung des Gesichts. Es wirkt viel weicher und lockerer. Oft kommen die Menschen gestresst an, entspannen aber relativ schnell", beschreibt Bülow.
"Sie spüren die 'Entschleunigung'. Viele werden von ganz alleine während des Waldbadens ruhiger und haben nicht mehr das Bedürfnis zu reden", erklärt die Trainerin. Ihre Einladung, während des stillen Teils des Waldbadens das Reden einzustellen, sei meist überflüssig.
Bülow rät, den Wald so oft wie möglich oder aber bei Bedarf nach Ruhe- und Entspannung aufzusuchen. Um das Immunsystem zu stärken, empfiehlt auch sie, jeden Monat ein paar Stunden im Wald zu verbringen.
Und wie soll man sich als Waldbaden-Neuling am besten verhalten, um möglichst viel aus der Zeit im Grünen herauszuholen? "Einfach hingehen und nur genießen. Damit die Terpene wirken, ist gar nichts weiter nötig. Wir atmen sie ein und nehmen sie über die Haut auf. Ein geleitetes Waldbad mit Elementen der Achtsamkeit unterstützt den Prozess noch einmal deutlich."
Shinrin-Yoku: 20 Minuten grüne Auszeit
Professorin MaryCarol Hunter von der Universität von Michigan hat untersucht, wie lange man sich in der Natur aufhalten muss und wie die Zeit an der frischen Luft verbracht werden sollte, um die Gesundheit zu fördern.
Die Ergebnisse der im April 2019 veröffentlichten Studie dürften Naturmuffel und Stadtbewohner freuen: Schon nach 20 bis 30 Minuten in einer Natur-ähnlichen Umgebung – etwa einem Stadtpark oder einer kleinen Grünanlage – genügen, um das Stresshormon Cortisol im Blut zu senken.
Fazit: Ob ausgiebiges Waldbaden oder eine regelmäßige kurze Auszeit im Park – tägliches City- und Stress-Detoxen im Grünen ist die wohl günstigste und nebenwirkungsärmste Medizin für Körper und Geist.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Heike Bülow, Achtsamkeitstrainerin und Kursleiterin für Waldbaden
- "Scientific Reports": Spending at least 120 minutes a week in nature is associated with good health and wellbeing
- "Frontiers in Psychology": Stressed? Take a 20-minute nature pill
- University of Michigan: U-M Collaboration Led by Prof. MaryCarol Hunter Shows Time in Nature Lowers Stress
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