Viele Paare wünschen sich ein Baby – doch es will einfach nicht klappen. Oft ist die Sorge dann groß: Ist irgendetwas nicht in Ordnung? Das herauszufinden ist Aufgabe von Reproduktionsmedizinern wie Prof. Dr. Henry Alexander von der Universitätsfrauenklinik Leipzig. Doch er weiß: Häufig gibt es keine körperlichen Probleme. Paare mit Kinderwunsch haben schlichtweg zu wenig Sex.
Herr Prof. Alexander, ab welchem Alter wird es für Männer und Frauen kritisch, wenn sie sich ein Baby auf natürlichem Weg wünschen?
Alexander: Die Fruchtbarkeit der Frau nimmt nach dem 35. Lebensjahr relativ rapide ab. Beim Mann ist das nicht so festgelegt. Ich würde sagen, da liegt das kritische Alter etwa bei 50 Jahren. Da wird die Fruchtbarkeit zunehmend schlechter. Aber über die Fruchtbarkeit älterer Männer weiß man wenig, weil man ja nur diejenigen untersucht, die zur Kinderwunschbehandlung kommen.
Bei den Paaren, die zu Ihnen kommen, liegt das Problem dann meistens am Alter der Frau?
Alexander: Nein. Es liegt ungefähr zu jeweils einem Drittel der Fälle an der Frau, am Mann oder an beiden. Es ist also nicht selten, dass jeder der Partner ein Problem mitbringt. Aber manchmal kann man nicht genau festmachen, woran die Unfruchtbarkeit liegt. Es gibt drei Hauptfaktoren, um fruchtbar zu sein: Die Frau muss einen Eisprung haben, die Eileiter müssen durchgängig sein und der Mann muss zeugungsfähig sein. Wenn all das gegeben ist, dann sieht es nicht schlecht aus mit dem Kinderwunsch.
Wie lässt sich herausfinden, ob jemand unfruchtbar ist?
Alexander: Anhand des sogenannten Anti-Müller-Hormons (AMH) kann man feststellen, wie viele Follikel noch bereitstehen. Man kann auch einen Fruchtbarkeitscheck machen, zum Beispiel mit OvulaSens, einem Biosensor, den wir in Leipzig an der Universitätsfrauenklinik entwickelt haben. Der Ring wird in die Scheide eingelegt und zeichnet alle fünf Minuten die Temperatur auf. Sobald man die Daten ausliest, weiß man ganz genau, ob und wann die Frau einen Eisprung gehabt hat. So lässt sich die Fruchtbarkeit bestimmen und außerdem kann man den optimalen Zeitpunkt für den Geschlechtsverkehr erkennen.
Gibt es auch ohne medizinische Hilfe Hinweise darauf, wie fruchtbar eine Frau ist? Etwa durch die Regelmäßigkeit der Blutungen?
Alexander: Nein, die Blutungen geben nicht zwangsläufig Aufschluss, obwohl viele Patienten und auch Ärzte das annehmen. Bisher hatte man keine Mittel, das aufzudecken. Doch wir haben mit Hilfe des Rings herausgefunden, dass eine Frau, die regelmäßig blutet, noch lange keinen Eisprung haben muss, während es bei einer Frau mit unregelmäßigen Blutungen durchaus zur Ovulation kommen kann.
Wenn man als Frau einen solchen Fruchtbarkeitscheck macht und alles in Ordnung ist, kann man daraus Rückschlüsse ziehen, wie lange man für den Kinderwunsch noch "Zeit hat"?
Alexander: Da gibt es keine Erfahrungswerte. Wenn man mit beispielsweise 30 Jahren zyklusgesund ist, dann hat man sicher noch Zeit. Festlegen wird sich darauf aber kein Arzt. Bei Frauen ist es meistens so, dass sich die Reproduktionskapazität langsam verabschiedet. Doch bei Männern kann die Fruchtbarkeit sehr schnell ganz weg sein, zum Beispiel innerhalb eines halben Jahres.
Woran liegt das?
Alexander: Das bekommt man meistens nicht genau heraus. Es kann an einem ungesunden Lebensstil liegen. Das zu ändern ist aber auch keine Garantie dafür, dass sich die Fruchtbarkeit wieder erholt. Mehr tun, als ein gesundes Leben führen, kann man eigentlich nicht. Es gibt auch keine wirksamen Medikamente, um die Fertilität zu steigern. Zwar werden welche angeboten. Doch die muss man selber bezahlen, weil die medizinische Wirksamkeit nicht belegt ist.
Welche Tipps geben Sie, wenn es mit dem Kinderwunsch klappen soll?
Alexander: Gesund leben, Sport treiben, nicht rauchen, Übergewicht vermeiden. Diese Faktoren wirken sich sowohl auf den Mann als auch auf die Frau positiv aus. Sich täglich sportlich auszupowern ist jedoch nicht zu empfehlen, weil man dadurch bereits Endorphine ausschüttet und abends weniger Bedürfnis nach Sex hat. Am wichtigsten ist regelmäßiger Sex. Ein Paar mit Kinderwunsch sollte zwei- bis dreimal pro Woche Geschlechtsverkehr haben.
Liegt der unerfüllte Kinderwunsch also oft an einem schlechten Sexleben?
Alexander: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Kinderwunsch-Paare, aus welchen Gründen auch immer, zu wenig Sex haben. Manche Paare haben nur zum vermeintlichen Zeitpunkt des Eisprungs Geschlechtsverkehr. Oftmals liegen die Frauen damit aber völlig falsch. Außerdem sinkt bei wenig Sex die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden. Wenn die Patientinnen nicht gerade Ende Dreißig sind, raten ihnen Frauenärzte daher, ein Jahr lang zwei- bis dreimal pro Woche Geschlechtsverkehr zu haben. Dann müsste es eigentlich klappen. Erst wenn dann immer noch nichts passiert ist, ist im Normalfall das Kriterium der Sterilität erfüllt.
Das Sperma "aufzuheben" für den Zeitpunkt des Eisprungs ist also Quatsch?
Alexander: Das "Aufsparen" ist eine falsche Strategie und Philosophie. Das ist das, was wir vermitteln wollen: Paare sollten ihre ganz normale Liebe und Zweisamkeit leben und nicht auf den Zyklus schauen. Die Samenqualität leidet nicht unter regelmäßigem Geschlechtsverkehr. Täglich sollte es allerdings nicht zur Ejakulation kommen, denn das kann sich negativ auf die Samenqualität auswirken.
Was, wenn es trotzdem nicht klappen will?
Alexander: Dann versucht man herauszufinden, wo die Ursachen liegen. Die Behandlung richtet sich danach, was auffällig ist. Wenn Eileiter der Frau und Sperma des Mannes in Ordnung sind, aber der Eisprung ausbleibt, dann löst man diesen mit Tabletten oder Spritzen aus.
Sollte der Mann eingeschränkt zeugungsfähig sein, dann kommt die Insemination in Frage. Dabei wird der Samen aufbereitet und in den Genitaltrakt der Frau eingespült.
Wenn das nichts bringt, zieht man die In-Vitro-Fertilisation in Betracht, also die "Befruchtung im Glas". Dabei werden die Follikel mit Hormonen stimuliert und zur Reife gebracht. Zum richtigen Zeitpunkt werden sie punktiert und die Eizellen gewonnen. Ein Samenfaden wird in die Eizellen gegeben und zwei Tage später sieht man, ob eine Befruchtung stattgefunden hat und Embryonen da sind. Diese spült man dann der Frau in die Gebärmutter. Das nennt man Embryonen-Transfer.
Wenn es mehrere befruchtete Eizellen gibt, werden alle eingesetzt?
Alexander: Um Wahrscheinlichkeiten zu schaffen, versuchen wir, mehrere Eizellen zu befruchten. Das kann zum Beispiel so laufen: Nehmen wir an, sechs Follikel (Eibläschen) reifen heran. Es werden vier bis fünf Eizellen gewonnen. Diese werden künstlich befruchtet und ergeben dann vielleicht zwei bis drei Embryonen, die man der Frau einspült. Am Schluss hat man – wenn man Glück hat - ein Kind.
Oder mehrere – wie man vor allem bei Hollywoodstars, die auf künstliche Befruchtung setzen, immer wieder sieht.
Alexander: Die haben möglicherweise mehr als drei Embryonen eingesetzt bekommen. In den USA gelten andere Regelungen, aber im deutschen Embryonenschutzgesetz ist festgelegt, dass nicht mehr als drei Embryonen transferiert werden dürfen. Darüber werden die Frauen auch aufgeklärt: Die Möglichkeit einer Mehrlingsschwangerschaft ist gegeben und das müssen die Frauen auch akzeptieren.
Aber sie behalten trotzdem das Recht, abzutreiben?
Alexander: Das Recht hat jede Frau. Es wird zum Glück selten wahrgenommen, ist aber durchaus denkbar.
Immer mehr Frauen wollen später Kinder haben, um sich erst auf ihren Beruf zu konzentrieren. Was halten Sie von der Methode, die eigenen Eizellen einfrieren zu lassen und für den "richtigen" Zeitpunkt aufzuheben?
Alexander: Gar nichts. Das ist für Frauen sinnvoll, die plötzlich schwer krank werden, beispielsweise durch Blutkrebs, und die einer Behandlung mit Chemotherapie und Bestrahlung entgegensehen. Man weiß dann nicht, ob sie nach dieser Behandlung noch fruchtbar sein werden.
Für gesunde Frauen ist das nicht zu empfehlen. Da rate ich eher, sich zu entscheiden: Was ist wichtiger? Ein Kind ist viel, aber nicht alles. Wenn Frauen im Beruf erfolgreich sind und sie das befriedigt, kann es sinnvoll sein, alle Kraft darauf zu verwenden. Irgendetwas auf Probe zu entnehmen, ist nicht ideal. Ganz so einfach wie das klingt, ist es nämlich nicht. Es kann sein, dass man die Eizelle später auftaut und merkt, dass diese die Kryokonservierung gar nicht überlebt hat. Man ist da nie auf der sicheren Seite. Eher wird in solchen Fällen auf eine Eizellspende zurückgegriffen, was in Deutschland aber nicht erlaubt ist. Dabei wird die gespendete Eizelle einer fremden Frau mit dem Samen des eigenen Partners befruchtet und der Partnerin eingesetzt, die das Kind dann austrägt. Dadurch kann man dann auch mit 40, 50 oder 60 Jahren ein Kind bekommen.
Unabhängig, woher die Eizelle stammt, handelt es sich in diesem Alter aber um eine Risikoschwangerschaft?
Alexander: Ja. Ab einem Alter von etwa 40 Jahren ist es für die Frau eine Risikoschwangerschaft, vor allem, wenn es die erste Schwangerschaft der Frau ist.
Warum spielt es eine Rolle, ob man vorher schon einmal ein Kind bekommen hat?
Alexander: Wenn es zuvor schon eine Geburt gegeben hat, geht alles einfacher. Die Gebärmutter öffnet sich leichter, der Geburtsvorgang ist unproblematischer. Aber letzten Endes kann man sagen: Jede ältere Schwangere ist eine Risikopatientin, weil mehr Komplikationen ins Haus stehen können.
Herr Prof. Dr. Alexander, vielen Dank für das Gespräch.
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