Es wirkt wie das Drehbuch für einen Horror-Film mit Science-Fiction-Plot: Ein 11-jähriges Mädchen hält seine Eltern für Außerirdische, die vorhaben, es zu töten. Für eine italienische Familie wurde dieser Albtraum verstörende Realität - bis Ärzte dahinter eine seltene und geheimnisvolle Krankheit entdecken. Und auch die Film-Industrie interessiert sich für das Capgras-Syndrom.
Eine wahre Geschichte: Die Eltern des 11-jährigen Mädchens unternehmen alleine einen Kurztrip. Als sie zurückkehren, ist ihre Tochter wie ausgewechselt. Das Mädchen ist fest davon überzeugt, dass nicht seine Eltern vor ihm stehen, sondern Papa und Mama von Doppelgängern ausgetauscht wurden. Ihre angeblichen Eltern hält die 11-Jährige für Außerirdische, Aliens, die vorhaben, sie zu vergiften.
War das Mädchen plötzlich verrückt geworden?
Das Mädchen hört Stimmen, ist aggressiv, wird depressiv. Die Ärzte sind erst machtlos, können keine organischen Ursachen feststellen. Das Kind scheint verrückt geworden zu sein. Monatelang kann kein Arzt dem Mädchen helfen.
Doch dann diagnostiziert ein Psychiater bei der jungen Patientin das Capgras-Syndrom.
Die Erkrankung ist äußerst selten. Der Wissenschaft sind nur wenige Fälle bei Kindern bekannt. Die Diagnose gleicht daher fast einem Wunder. Medikamente können das Kind von seinen Wahnvorstellungen befreien, es erkennt seine Eltern wieder. Doch die Behandlung hat oft schwere Nebenwirkungen: Die Patienten werden sehr schläfrig, einige haben motorische Störungen und können ihren Körper nicht mehr kontrollieren.
Ausdruck einer unbewussten Ablehnung der Eltern?
Die Symptome dieser seltenen neurologischen Störung wurden erstmals 1923 von dem französischen Psychiater Joseph Capgras beschrieben, nach dem die Erkrankung benannt wurde. Bis heute gibt es nur Vermutungen, was sie hervorruft. Sigmund Freud glaubte noch, dass das Syndrom nur Ausdruck einer unbewussten Ablehnung der Eltern sei, deren gesamte Existenz man am Ende sogar leugnen würde. Heute weiß man jedoch, dass das Capgras-Syndrom andere Ursachen haben muss.
Die Patienten scheinen Probleme damit zu haben, ihnen bekannte Gesichter mit Gefühlen zu verbinden, erklärt Vilayanur Ramachandran, Direktor des "Center for Brain and Cognition" der University of San Diego, in seiner Studie. Ein an Capgras Erkrankter sehe zwar beispielsweise seine Mutter, könne aber ihr Bild nicht mit den Gefühlen in Verbindung bringen, die er eigentlich für sie empfinden müsste. "Er sagt dann: Weil ich nichts für sie empfinde, kann das nicht meine Mutter sein, sondern eine merkwürdige Frau, die so tut, als wäre sie meine Mutter," so Ramachandran.
Doppelt so viele Frauen wie Männer betroffen
Die Ursache des Capgras-Syndroms scheint in einem gehemmten Informationsfluss innerhalb des Gehirns zu liegen – ausgelöst durch eine Gehirnverletzung oder einer anderen Erkrankung. Wissenschaftler beobachten, dass das Capgras-Syndrom nie isoliert auftritt. Oft sind die Betroffenen zusätzlich an Alzheimer oder Demenz erkrankt oder leiden an einem Schädeltrauma, einem Tumor oder Schlaganfall.
Aber auch psychische Erkrankungen werden als Ursache diskutiert. Interessanterweise sind Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer, verrät Dr. Luigi Mazzone im "Journal of Medical Case Reports". Bisher ist dies lediglich eine Beobachtung, eine Erklärung dafür gibt es noch nicht.
Heimtückisch und faszinierend
Das Capgras-Syndrom ist für Betroffene eine heimtückische Erkrankung, über die die Wissenschaft noch viel zu wenig weiß. Das macht die Störung gleichzeitig zu einem faszinierenden Stoff für Filme, Serien und Bücher. So gab es schon in der TV-Serie "Scrubs - Die Anfänger" einen Patienten, der sich selbst vergiftete, weil er sich und alle um sich herum für Doppelgänger hielt.
Auch Horrorfilme wie "Die Körperfresser kommen", "Die Dämonischen" oder Science-Fiction-Bücher wie "Das Verhängnis der Jedi-Ritter" griffen das Capgras-Syndrom auf. Eine Krankeit, die uns auch deshalb so verstört, weil sie eine der zentrale Fragen unseres Daseins aufgreift: Die Frage, wie real unsere Wirklichkeit ist.
Filme und Serien scheinen auf ihre Art in diesem Punkt also wirklichkeitsnaher zu sein, als mancher bislang gedacht hatte.
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