Wenn Schweine in der Sonne kuscheln und ein leichter Gülle-Geruch über leuchtende Felder wabert, ist die Landidylle perfekt. Viele stellen sich Landwirtschaft genau so vor, doch mit der Realität hat das oft nichts zu tun. Trotzdem gibt es sie noch - oder wieder: Bauern, die im Einklang mit Umwelt, Tier und Mensch produzieren. So viel Qualität hat ihren Preis, doch kommt das auch beim Verbraucher an? Eine Gratwanderung.
Welten liegen zwischen städtischem Leben und ländlicher Idylle. Dabei braucht man oft nicht weit fahren, um sich mitten in letzterer wiederzufinden: In 40 Minuten kommt man mit dem Auto von München nach Herrmannsdorf, wo der Bio-Hof von Karl Schweisfurth liegt. Er ist Geschäftsführer der Herrmannsdorfer Landwerkstätten, die nicht nur ökologisch wirtschaften, sondern zusätzlich nach einem besonderen Prinzip. Vor dem Hintergrund der Massenindustrie scheint es innovativ, eigentlich ist es ursprünglich – und am Aussterben.
Der Fokus in Herrmannsdorf wird auf das traditionelle Handwerk gelegt. Brot, Wurst, Käse werden von Hand hergestellt - ein wesentlicher Unterschied zur konventionellen Landwirtschaft, aber auch zu herkömmlichen Bio-Betrieben. Maschinen und Technik werden einzig genutzt, um dem Menschen die Arbeit zu erleichtern oder um die Qualität zu verbessern – nicht aber, um Kosten zu sparen. Der Mensch, das Tier und die Umwelt stehen im Mittelpunkt dieser Form von Landwirtschaft. Aber kann sich das lohnen?
Gratwanderung zwischen Wirtschaftlichkeit und Qualität
Seit 25 Jahren legen die Herrmannsdorfer Landwerkstätten den Fokus auf den handwerklichen Aspekt der Landwirtschaft. Das kostet. Verbraucher müssen daher bereit sein, höhere Preise für Fleisch, Wurst, Eier, Käse, Milch oder Brot zu zahlen. "Gleichzeitig kann man den Preis nicht unendlich in die Höhe treiben. Das ist eine Gratwanderung", sagt Schweisfurth, der die Werkstätten im Jahr 1996 von seinem Vater übernommen hat.
Ein Herrmannsdorfer Bio-Hendl kostet pro Kilo 11,90 Euro, ein Ei 38 Cent. Damit unterscheidet sich die Ware preislich nicht von anderen Standard-Produkten aus dem Bio-Supermarkt. Mit billiger Massenware könne man wohl mehr verdienen, meint Schweisfurth. Trotzdem rentiere sich auch die handwerkliche biologische Landwirtschaft, an der sich mittlerweile etwa 100 Partnerbauern beteiligen. Doch der Weg dahin ist weit.
Vor Kunden wird nichts verheimlicht
Wer sich für die Produkte interessiert, kann sich nicht nur in den zwölf Geschäften in und um München von der Qualität überzeugen. Besucher sind auch auf dem Herrmannsdorfer Hof jederzeit willkommen. Dort machen sie sich ein eigenes Bild von den Haltungs- und Herstellungsbedingungen. "Es ist sehr wichtig für uns, dass alles transparent ist. Es darf nichts geben, was man den Kunden verheimlicht, weil es vielleicht nicht gut ankommt."
Dazu gehören auch die unschönen Seiten der Landwirtschaft, vor allem der Masttierhaltung. Denn Bio-Betriebe kommen ums Töten nicht herum, schließlich produzieren sie Fleisch- und Wurstwaren. So dürfen Interessierte auch beim Schlachten dabei sein - nichts für schwache Gemüter. Doch "wer Fleisch ist, sollte sich auch mit diesem Punkt auseinandersetzen", findet Schweisfurth.
Zweimal die Woche ist Schweine-Schlachttag, an dem jeweils 35 Tiere von der Gruppe getrennt, betäubt, gestochen und schlachtwarm in der Metzgerei verarbeitet werden. Dabei sollen die Schweine weder Angst noch Schmerzen haben, zum einen, um die Würde des Tieres zu achten, zum anderen, weil Stresshormone die Fleischqualität beeinträchtigen.
Bio ist nicht nur heile Welt
Auch in Bio-Betrieben ist das Leben nicht für alle Tiere fair. In der Legehennenzucht ist es Standard, männliche Küken zu töten, weil sie spezialisierten Hybridrassen angehören, die nicht genug Fleisch ansetzen, als dass sich ihre Aufzucht lohnen würde. Auch in den Herrmannsdorfer Landwerkstätten greift man auf dieses System zurück: Zwei hühnerhaltende Partnerbauern beliefern den Hof mit Bio-Eiern. Doch man versucht, neue Wege zu finden. Das Zweinutzungshuhn, das aus alten Rassen mühsam gezüchtet wurde, eignet sich sowohl zur Eier- als auch zur Fleischgewinnung. Die Brüder der Legehennen dürfen ihr Leben also auch genießen – zumindest bis sie nach drei bis dreieinhalb Monaten ihr Schlachtgewicht erreicht haben.
Auch in der Kälberzucht gibt es nach Ansicht von Schweisfurth Defizite: Die meisten Kälber aus der Bio-Milchviehhaltung würden nach vier Wochen an konventionelle Betriebe verkauft. Statt mit Bio-Vollmilch werden sie mit Milchaustauscher, einem Ersatz für Muttermilch, aufgezogen. "Das Füttern mit Bio-Vollmilch ist natürlich teuer. Die könnte man ja auch an die Molkerei liefern und bekommt dafür einen guten Preis. Da müssen wir wieder was ändern, denn sonst gehen die Tiere für Bio verloren."
Den Unterschied muss man schmecken
Bei vielen findet ein Umdenken in Sachen Ernährung statt. Pferdefleisch- und Dioxinskandal, aber auch ein immer höheres Bewusstsein für die Ethik der Nutztierhaltung und die Qualität von Lebensmitteln hat beste Bedingungen geschaffen, damit sich auch die Herstellung hochwertiger Waren wieder lohnt.
Trotzdem ist sich Schweisfurth sicher: Altruistische Beweggründe, also die Sorge um Tierwohl und Umwelt, können das Kaufverhalten nicht dauerhaft beeinflussen. "Bei der Kaufentscheidung überwiegen egoistische Motive", lautet seine Erfahrung. Um Kunden bei der Stange zu halten, müsse vor allem der Geschmack stimmen. Viele Menschen hätten jedoch verlernt, wie nicht-industriell, ökologisch produzierte Lebensmittel schmecken. Sie müssten erst hingeführt werden, um die Güte der meist teureren Qualitätsprodukte zu schätzen: "Es ist nicht so einfach, es ist Aufbauarbeit nötig. Dafür ist das Gespräch mit dem Kunden enorm wichtig."
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