In den USA fordern Hausbesitzer Amazon-Paketboten auf, vor Türkameras zu tanzen, um gute Bewertungen zu bekommen. In Europa würde der Datenschutz das verbieten. Gut, dass wir ihn haben.
Wie fänden Sie folgende Szene? Ein Kunde verlässt den Friseursalon. Er wedelt mit einem Geldschein, den er einfach ins Trinkgeld-Sparschwein auf dem Tresen stecken könnte. Bevor das geschieht, fordert er aber seinen Friseur auf, ein Tänzchen hinzulegen, damit er es danach bei TikTok unter folgender Überschrift posten kann. "Was ist schöner? Der Haarschnitt oder das Tänzchen? Trinkgeld nur noch bei Showeinlage."
USA-Trend: Tanzen für Trinkgeld, Tanzen für Likes!
Das muss man nicht lustig finden. Im Gegenteil: Es ist ziemlich würdelos, wenn man andere tanzen lässt, damit man ihnen Trinkgeld gibt. Geht es dabei um sozial Schwächere, dann wird es noch schlimmer. Insbesondere dann, wenn man ohnehin schon fragwürdige Mechanismen des modernen Arbeitslebens ausnutzt.
In den USA ist es ein Trend, Amazon-Boten nur dann gut zu bewerten, wenn sie bei der Ablieferung eines Paketes vor der Hauskamera tanzen. Die US-Bundeshandelskommission FTC hatte schon 2021 dazu aufgefordert, die Überwachung mit Türklingelkameras zu verbieten, um Persönlichkeitsrechte zu schützen.
Menschen sind keine Tanzbären
Da Paketboten von ihren Arbeitgebern an den positiven Bewertungen im Netz gemessen werden, geraten sie in eine Drucksituation. Tanzen oder bestraft werden? Das mutet man in der aufgeklärten Welt aus guten Gründen keinem Tanzbären im Zirkus zu. Dennoch wurde ein Video eines tanzenden Paketfahrers über sechs Millionen Mal auf der TikTok angeschaut und über 600.000-mal gelikt.
Zusätzlich wurde das Video mit dem Hip-Hop-Song "Teach Me How to Dougie" unterlegt. Lassen wir jetzt den in der nicht autorisierten Nutzung des Liedes möglicherweise liegenden Urheberrechtsverstoß einmal beiseite. Datenschutzrechtlich wäre das Video in Europa ein Problem.
Klare Ansage des Datenschützers
Stefan Brink, oberster Datenschützer aus Baden-Württemberg, der das Thema schon bei Mastodon kritisiert hatte, findet klare Worte:
"Wer Kundenbewertungen bei Personalentscheidungen eine maßgebliche Bedeutung zumisst, macht seine Mitarbeitenden nicht nur erpressbar, er verstößt auch gegen Prinzipien des Beschäftigtendatenschutzes: Solche personenbezogenen Bewertungen darf ein Arbeitgeber nur erheben, wenn er die Daten auch verwerten dürfte (Grundsatz der Erforderlichkeit). Dies scheitert aber schon daran, dass Kundenbewertungen nicht nach objektiven Maßstäben erfolgen und daher unbrauchbar sind. Auch auf Basis der bloßen Menge an positiven oder negativen Bewertungen ein Urteil zu bilden, wäre willkürlich. Ein klarer Verstoß gegen den Datenschutz."
Datenschutz ist Menschenschutz
Gut, dass der Datenschutz in Europa vor solchen Auswüchsen schützt. Die Praxis aus den USA könnte hier teuer werden. Man wird das reichweitenstarke Verbreiten nicht als persönliche Kommunikation werten können. Das Recht greift also nicht nur gegenüber TikTok und Amazon, sondern auch gegenüber der hochladenden Person.
Hier können die Datenschutzaufsichtsbehörden Bußgelder prüfen oder Paketboten können auf Schadenersatz wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegen die Hochladenden klagen. Ob Richter sich davon überzeugen lassen würden, dass der Paketbote freiwillig getanzt hat, wäre eine spannende Rechtsfrage.
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