Der Bundesgerichtshof muss bald über wichtige Fragen der Meinungsfreiheit entscheiden. Konkret geht es um die Frage, ob sich Facebook mit Blick auf Hassrede strengere Regeln geben darf, als das Gesetz vorsieht - und welche Implikationen das hätte.

Rolf Schwartmann
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Rolf Schwartmann dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der Bundesgerichtshof hat am 22. Juli über zwei Fälle verhandelt. Worum geht es? Darum, ob Facebook sich Hausregeln geben darf, die für die Äußerung sogenannter Hassrede strengere Maßstäbe an die Meinungsfreiheit anlegen als das Gesetz?

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Wenn das der Fall ist, wie konkret müssen die Grenzen dessen, was man dort sagen darf, in den Nutzungsbedingungen benannt sein? Darf der Dienst die Nutzungsbedingungen noch anwenden, wenn sie nicht verständlich sind? Und was wäre die Folge fehlerhafter Nutzungsbedingungen? Und muss Facebook Verfahrensfragen in den Nutzungsbedingungen regeln?

"Schon der Wahnsinn" – der erste Fall

In einem der verhandelten Fälle war auf Basis der Nutzungsbedingungen auf dem Stand von 2018 folgende Äußerung gelöscht worden:

"Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sogenannte Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen."

"Goldstücke" – der zweite Fall

Im anderen Fall hatte Facebook auf derselben Grundlage eine Aussage über eine Person mit Migrationshintergrund, die es ablehnt, von einer Polizistin kontrolliert zu werden, entfernt.

"Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat … kein Respekt … keine Achtung unser Gesetze … keine Achtung gegenüber Frauen … DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN … KLAUEN … RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN."

Verstörende Aussagen und verbotene Aussagen?

Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass diese Aussagen verstörend sind und sich jenseits dessen bewegen, was man dem konstruktiven Meinungsaustausch zumessen kann. Aber sind sie deshalb verboten?

Der Kabarettist Harald Schmidt hat kürzlich darauf hingewiesen, dass das Gesetz in der Auslegung der Gerichte die Grenze dessen festlege, was man im Rahmen der Meinungsfreiheit sagen darf. Persönliche Gefühle des Verletztseins Einzelner jenseits des Rechts könnten dafür kein Maßstab sein. Dieses Gefühl, so Schmidt sinngemäß, bestimme aber die Debatte um verbotene Meinungen.

Nutzungsbedingungen - das Rechtsgefühl von Facebook

Vor dem Bundesgerichtshof ging es um das Rechtsgefühl von Facebook, so wie es in den Nutzungsbedingungen niedergelegt ist. Das soziale Netzwerk nimmt für sich in Anspruch, das Recht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Grundgesetz in seinen Nutzungsbedingungen so einschränken zu dürfen, dass dort ein freundlicher Umgangston herrscht.

Das bedeutet aber auch, dass bestimmte Aussagen im Machtbereich des Dienstes auch dann zu löschen sind, wenn das Gesetz sie nicht verbietet. Facebook habe nach vorläufiger Einschätzung auch dann das Recht auf Löschung, wenn keine Straftat vorliege, deutete das Gericht an.

Muss Facebook für eine konstruktive Debattenkultur sorgen dürfen?

Der Bundesgerichtshof hat in seiner mündlichen Verhandlung auf die Bedeutung der Berufsfreiheit hingewiesen. Es sprechen gute Gründe dafür, dass Facebook im Rahmen seiner Berufsfreiheit das Recht zusteht, Regeln für eine konstruktive Debattenkultur in seinem Kommunikationsraum zu schaffen.

Würde der Bundesgerichtshof dieser Position beipflichten, so wäre ihm zuzustimmen. Ein privates Unternehmen muss bei aller Macht, die es besitzt, das Recht haben, Grenzen für erlaubte Äußerungen zu stecken. Wie ein Wirt gegen Hetze am Stammtisch in der Kneipe vorgehen darf, so muss es Facebook bei Hetze in seinem Herrschaftsbereich dürfen.

Unternehmerfreiheit versus Grundrechtsbindung

Das Bundesverfassungsgericht unterstellt meinungsmächtige Datendienste zwar einer vergleichsweise strengen mittelbaren Grundrechtsbindung. Würde man ihnen aber das Recht nehmen, Kommunikationsregeln für ihren Dienst zu setzen, dann wäre die Berufsfreiheit entkernt und die Grenze zwischen grundrechtsgebundenem Staat und Unternehmen als Grundrechtsträger verwischt. Das wäre verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar.

Facebook muss in den Nutzungsbedingungen klare und verständliche Grenzen ziehen

Der Bundesgerichtshof hatte schon vor der Verhandlung in seiner Pressemeldung die Relevanz des Rechts zur Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen betont. Danach sind Nutzungsbedingungen, also Hausrecht, unter anderem unwirksam, wenn sie "nicht klar und verständlich" sind.

Daran, dass das der Fall ist, dürfte man beim Hausrecht von Facebook jedenfalls insofern erhebliche Zweifel haben, wenn es um eine allgemeinverständliche Definition von Hassrede geht. In der mündlichen Verhandlung hat der Bundesgerichtshof zudem angedeutet, Nutzer könnten sich auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG berufen.

"Frauen sind die besseren Menschen" als Hassrede?

"Wir definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: (…) Geschlecht (…)." Wir definieren Angriffe als (…) Aussagen über Minderwertigkeit (…)." So heißt es in Nutzungsbedingungen von Facebook.

"Frauen sind die besseren Menschen" ist der Titel einer Facebookgruppe. Muss sie nach den Regeln von Facebook nicht also gelöscht werden, weil sie Frauen pauschal zu besseren Menschen erklärt und damit die anderen Geschlechter zu schlechteren Menschen degradiert und sie damit diskriminiert? Ist der Satz "Frauen sind die besseren Menschen" als Aussage über die Minderwertigkeit des diversen und des männlichen Geschlechts damit nach den Regeln von Facebook Hassrede?

Weitrechende Konsequenz: Unklare Nutzungsbedingungen sind unwirksam

Das kann kaum gemeint sein. Weil die Auslegung aber nach den eigenen Regeln von Facebook möglich ist, sind sie aber nicht "klar und verständlich", so wie es das Gesetz verlangt. Teilt der Bundesgerichtshof diesen Befund, dann müssten die Nutzungsbedingungen für unwirksam erklärt werden.

Dass dies der Fall ist, lässt sich mit guten Argumenten vermuten. Schließlich gelten auch in anderen Bereichen hohe Anforderungen an die Klarheit und Verständlichkeit von Nutzungsbedingungen. Sie etwa im Falle von Banken oder Versicherungen bei Unklarheit aufzuheben, bei sozialen Netzwerken aber nicht, würde gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes verstoßen.

Gesetzesrecht würde Vertragsrecht ersetzen

Entschiede der Bundesgerichtshof so, wäre die Konsequenz weitreichend, weil die vertragliche Grundlage zur Löschung von Aussagen wegfallen würde. Entfallen die Nutzungsbedingungen, dann tritt das Gesetzesrecht an deren Stelle. Konkret sind das die Vorschriften des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG).

Es verpflichtet Anbieter sozialer Netzwerke aber erst dann zur Löschung von Aussagen, wenn sie gegen im Gesetz benannte Straftatbestände verstoßen. Bei den Aussagen, die der Bundesgerichtshof zu prüfen hat, nämlich "Goldstücke" und "Schon der Wahnsinn", käme der Tatbestand der Volksverhetzung in Betracht. Er verbietet es etwa, so zum Hass aufzustacheln, dass dies geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Aber erfüllen sie damit auch die Anforderungen an die Voraussetzungen der Volksverhetzung oder verlangt diese Norm eine konkretere Verbindung zwischen Wort und Tat? Diese Frage müsste aus dem Gesetz beantwortet werden, wenn die Nutzungsbedingungen von Facebook unwirksam wären. Hier böte es sich für den Gesetzgeber an, durch eine Modifikation des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Klarheit zu schaffen.

Bundesgerichtshof erörtert Mängel der Nutzungsbedingungen beim Verfahren

Bemerkenswert waren Fragen der Richter in der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensmängel bei Facebook anmahnen. Es ging darum, dass die Grundrechtsposition der Nutzer eine verfahrensmäßige Sicherung erfahren müsse. Konkret: dass Nutzer bei einer Löschung und vor einer Sperre angehört werden müssen.

Was ist die Position des Betroffenen zur Löschung, wie lange bleibt ein Inhalt gelöscht, wie lange wird man möglicherweise gesperrt und wo kann man sich innerhalb welcher Fristen bei Facebook beschweren? Darüber, dass die Nutzungsbedingungen nur sehr vage Regelungen zu derartigen Verfahrensfragen enthalten, hatten die Richter kritische Fragen. Für Facebook ist das nicht praktikabel. Im Shitstorm müsse es schnell gehen und eine Sperre müsse auch ohne Anhörung möglich sein.

Gegendarstellungsverfahren - Novelliertes NetzDG als Vorbild für den Bundesgerichtshof?

Eine Regelung zur Einführung eines Beschwerdeverfahrens wurde kürzlich in das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) eingeführt. Dessen neuer § 3 b sieht für Anbieter sozialer Netzwerke die Pflicht zur Einführung eines Gegendarstellungsverfahrens vor.

Dieser Gedanke könnte sich nach den Andeutungen in der mündlichen Verhandlung vielleicht in der Entscheidung des Gerichts wiederfinden. Spannend wäre dann die Frage nach den Konsequenzen des Fehlens eines Beschwerdeverfahrens, insbesondere ob es Einfluss auf die Wirksamkeit der Nutzungsbedingungen hätte.

Hausaufgaben für Facebook?

Falls die Nutzungsbedingungen unwirksam wären, dann hätte Facebook zugleich gewonnen und verloren. Einerseits wäre entschieden, dass Hausrecht strenger sein darf als Gesetzesrecht.

Andererseits müsste Facebook aber anspruchsvolle Hausaufgaben erledigen und Formulierungen finden, die es Nutzern des Dienstes möglich machen, Hassrede von erlaubten Aussagen zu unterscheiden. Die unschönen Äußerungen müssten dann allerdings, bis das geschehen ist, wieder freigeschaltet werden.

Vielleicht muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden - BGH-Entscheidung noch im Juli?

Träfe der Bundesgerichtshof seine Entscheidung so, dann könnte Facebook gegen das Urteil auch vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Hielte er die Nutzungsbedingungen für wirksam, so stünde den Klägern dieses Recht zu. Dort würde dann letztverbindliche Klarheit geschaffen. Ab dem 29. Juli 2021 kann mit der Verkündung einer Entscheidung gerechnet werden, spätestens aber drei Wochen danach.

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