Die MOTORRAD Safety League 2024 ermittelte in den Halbfinalen 8 Finalisten, die im Juli 2 Tage zum Training auf die Nordschleife eingeladen werden. Doch die Hürde ist hoch, wie das erste Halbfinale im FSZ Augsburg eindrücklich unterstreicht.

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Ernst hat es nicht leicht. Seine im 1950er-Style strahlende Harley Electra Glide ist für den ganz engen Tanz um die Hütchen sicher nicht gemacht – das sagt ja schon ihr Name. Aber er müht sich redlich. Und Slalom kann der 61-jährige Allgäuer richtig gut. Da kann sich so mancher Jungspund auf seinem Supersportler noch etwas abschauen. Aber reicht das, um mindestens 35 Mitkonkurrenten beim ersten Halbfinale in Augsburg hinter sich zu lassen? 5 Hürden haben sich die Trainer von ADAC und MOTORRAD für die Teilnehmer überlegt – alles andere als ein Kindergeburtstag.

Video: ADAC Motorrad Safety League 2023

Wildcard für 300 von 3.000 Motorradfahrerinnen und -fahrer

Es ist Halbfinale der Safety League, hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer in den zahlreichen bundesweiten ADAC-Trainings durch Können und Lernbereitschaft auffiel, hat es bis hierher geschafft. 300 Motorradfahrerinnen und -fahrer von gut 3.000 in diesem Jahr können das von sich behaupten. Für sie gab es die "Wildcard". Wenn Lostrommel und Terminabsprache passte, gab es die Einladung zum Halbfinale, entweder hierher nach Augsburg oder in die ADAC-Fahrsicherheitszentren (FSZ) nach Lüneburg, an den Sachsenring oder an den Nürburgring.

Ernst schwingt seine Harley durchs letzte Tor aus zwei Hütchen. Er bremst hart, zieht die Kupplung und klatscht mit seiner rechten Hand auf den Buzzer. 1.19,89 Minuten für den Parcours der Wertungsprüfung 3, der Gleichmäßigkeitsfahrt. Kein Strafpunkt auf der knapp einen Kilometer langen Strecke und ein Zeitunterschied von etwas mehr als einer Sekunde. Nicht schlecht?

Schon. Aber Simon Schmucker ist der Star dieser Übung. Der KTM Super-Duke-Pilot schafft beide Läufe in etwas mehr als 1.15 Minuten und hat am Ende eine Differenz von gerade einmal zwei Hundertsteln. Dafür gibt es Applaus, nicht nur von Ernst, die ganze Gruppe feiert Simon. Überhaupt entwickelt sich eine ungeheure Gruppendynamik an diesem Tag. 37 sich völlig fremde Motorradfahrer (die einzige Frau musste absagen), die gegeneinander in 5 Gruppen um den Finaleinzug kämpfen, sind sofort auf einer Wellenlänge.

Wer da noch mitzählen kann, muss ein Genie sein

Uwe Schindbeck ist zwar auch schon gut über 40 Jahre alt, hat aber erst vor vier Jahren seinen Motorradführerschein gemacht. Er erzählt Hikmet Polat, wie es dazu kam. Auch Hikmet ist noch nicht allzu lang dem Motorradvirus verfallen. Vielleicht beratschlagen die beiden auch deshalb, wie der Parcours wohl am besten zu meistern ist. Die anderen kommen dazu, während sich einer mit seiner BMW in der Startbox bereit macht. Amüsiert nimmt Trainer Norbert die Idee der Taktik-Beratung auf, doch einfach ab Start im Sekundentakt mitzuzählen. "Jungs, da stehen 2 ganz enge, versetzte Tore am Ende der Strecke, durch die ihr jeweils gut 2 Meter voll konzentriert durchmüsst. Wer da noch mitzählen kann, muss ein Genie sein." Gelächter – alle haben ihren Spaß.

Auch bei der Bremsübung, bei der es nicht nur aufs Können beim Drücken am Lenker ankommt, sondern vor dem Anhalten in einem markierten Feld auch auf das zeitige Runterschalten. Das gelingt nicht immer. Voll konzentriert auf den Bremspunkt, wollen einige danach dann doch im dritten Gang anfahren – und würgen ab. Andere vergessen in der Aufregung, einmal rechts und einmal links am Ausweichpunkt vorbeizufahren. Trainer Martin notiert dann jeweils 5 Strafsekunden.

Video: MOTORRAD Safety League 2022 Halbfinale in Augsburg

Bremsen in Schräglage auf der Kreisbahn

Begeistert sind die Teilnehmer von der Anlage in Augsburg, die durch ihre schiere Größe und entsprechend lange Parcours viel Fahrzeit bietet. Zwar halten sich die Trainer aus Fairness-Gründen mit Tipps zurück, aber worauf es bei den jeweiligen Übungen ankommt, geben sie natürlich preis – der Lerneffekt ist auch im Halbfinale garantiert. "Blickführung und das Spiel mit Bremse und Kupplung sind das Geheimnis bei mir", nimmt Trainer Dennis die nächste Gruppe in Empfang. Er fährt in der Kreisbahn einmal vor, was hier erwartet wird: Aus schneller Schräglage soll zielgenau das Tempo verlangsamt und durch ein sehr eng gestecktes Tor gefahren werden. Ernst schafft das bravourös mit seiner Harley. Er kommt zwar nicht an die Topzeiten heran, weil seine Koffer für ordentlich Schräglage viel zu früh aufsetzen. Aber er räumt kein einziges Hütchen ab oder muss das Bein absetzen – null Strafsekunden!

Theorie & Teamwork

Und dann ist richtig Teamwork angesagt. In der nächsten Wertungsprüfung wird nicht gefahren, sondern in einem Raum werden Aufgaben zu Motorradtechnik, gesetzlichen Bestimmungen und Lärmvermeidung gestellt. An einer R 12 nineT kleben dazu Zahlen, Helm und Protektoren liegen dabei. Ist das wirklich genug Profiltiefe auf dem Reifen? Wo checke ich die Bremsflüssigkeit? Hat der Helm die erforderliche Prüfnorm, und ist der Sastec-Protektor in der Held-Jacke richtig zertifiziert?

Es wird wild diskutiert, ums Motorrad gerobbt, Innenfutter umgestülpt und allerhand aufgeschrieben. Viele Teilnehmer merken, dass sie zwar zügig um einen Kurs zirkeln können, aber bei einigen Wissenspunkten dann doch mit den Achseln zucken müssen. Gut, wenn dann etwa ein Kfz-Mechaniker in der Gruppe ist. Mit gemischten Gefühlen aus dieser Aufgabe zieht die Gruppe um Ernst, Uwe, Simon, Hikmet und die anderen zu Trainer Sven. Er hat nach Meinung aller Teilnehmer die härteste Prüfung aufgebaut: langsamer Slalom, dabei Hütchen greifen und punktgenau absetzen, anschließend Gas geben, zwei Tore durchfahren und dann am Berg wenden – und alles wieder zurück. Es hagelt Strafsekunden, weil Hütchen umgefahren, fallen gelassen oder vergessen werden, das Vorderrad beim Wenden übers Gras fährt oder zigmal der Fuß den Sturz vermeiden muss.

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Es ist eben Safety-League-Halbfinale, kein Kindergeburtstag. Aber alle geben sich größte Mühe, haben Spaß zusammen und zeigen auf den unterschiedlichsten Motorradkonzepten großartige Leistungen. Am Ende haben sich zwei durchgesetzt. Willkommen im Finale!  © Motorrad-Online

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