SUV? Kommt uns nicht ins Modellprogramm! So war die bisherige Haltung von McLaren zu Soft-Offroadern. Doch während sich der britische Sportwagenhersteller mit dieser Einstellung immer tiefer hinein in finanzielle Probleme manövrierte, meldete die Konkurrenz einen Absatzrekord nach dem anderen – selbst mitten in der Corona-Krise und trotz des Ukraine-Krieges. Und welche Modelle verzeichnen die höchsten Marktanteile im Portfolio von Lamborghini, Aston Martin, Porsche und Co.? Na klar: Urus, DBX, Cayenne oder Macan.
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Möglicherweise hat diese SUV-Verweigerungshaltung dazu beigetragen, dass Ex-McLaren-Chef Mike Flewitt im Sommer 2022 gehen musste. An seine Stelle trat Michael Leiters. Der in Deutschland geborene CEO kam von Ferrari, wo er zuvor als Technischer Direktor (Chief Technology Officer) gearbeitet hatte. Der Wechsel von Sportwagenhersteller zu Sportwagenhersteller ist natürlich naheliegend. Aber die Personalie dürfte für McLaren aus einem anderen Grund interessant gewesen sein: Bei Ferrari hatte Leiters zuletzt das Purosangue-Projekt verantwortet; Ferraris erster SUV ist inzwischen auf dem Markt. Zuvor bei Porsche war Leiters entscheidend an der Markteinführung des Cayenne beteiligt.
"Ich liebe SUV"
Es ist sicher kein Zufall, dass Leiters im Interview mit der britischen Fachzeitschrift "Autocar" diese Aspekte seiner beruflichen Vita herausstellt: "Ich habe bei Ferrari einen SUV entwickelt, ich habe bei Porsche einen SUV entwickelt – also liebe ich SUV." Er halte Autos dieses Zuschnitts für ein attraktives und wichtiges Marktsegment, das weiter wachse. Dennoch fügt Leiters hinzu: "Wir sollten keinen klassischen SUV machen." Aber das Thema werde in Woking diskutiert; zudem sei McLaren für andere Ideen und Modelle anstelle oder zusätzlich zu einem SUV offen. Auf jeden Fall will Leiters das Angebot der britischen Marke weiterentwickeln.
Inzwischen scheint Leiters seine Mitstreiter im McLaren-Management von der SUV-Idee überzeugt zu haben. "Ich denke, dieses Unternehmen kann noch profitabler sein, wenn wir auch über neue Segmente und neue Fahrzeugkonzepte nachdenken", sagte er in im Frühjahr 2023 im Gespräch mit dem britischen "Car Magazine". McLaren-Kundinnen und -kunden würden längst gezielt nach einem Familienauto der Marke fragen. Wenn der Hersteller ein neues Segment entert, würde er direkt die Gelegenheit nutzen und neben einer neuen Design-Sprache ("bisher nicht ausreichend differenziert") auch eine andere Nomenklatur ("bisher zu verwirrend") etablieren. In Sachen Aerodynamik will Leiters, dass sich McLarens Autosparte möglichst viel Expertise aus der Formel-1-Abteilung holt.
Kein klassischer SUV
Nun, da Leiters auch die Finanzen des Edelherstellers geordnet hat, sieht der McLaren-Chef dem britischen Magazin "Top Gear" zufolge "eine sehr gute Gelegenheit, die Produktpalette zu erweitern und zu vermeiden, dass man sich zu sehr von einigen wenigen Produkten abhängig macht". Bedeutet: Nur mit Sportwagen lässt sich auf Dauer kein nachhaltig erfolgreiches Geschäftsmodell aufbauen. Daraus lässt sich schließen: Die Grundsatzentscheidung für neue Modelle abseits von Super- und Hypercars ist in Woking gefallen. Allerdings vermeidet Leiters den Begriff "SUV"; stattdessen spricht er von einem "shared performance and lifestyle vehicle". Was dafür spricht, dass dieser neue McLaren eher gegen einen Ferrari Purosangue und Aston Martin DBX antritt als gegen den Porsche Cayenne.
Wie aber könnte ein SUV aussehen, der zu McLaren passt? Ein Crossover mit reinem Verbrennerantrieb ist eher unwahrscheinlich bei einer Marke, die bisher ausschließlich Mittelmotor-Sportwagen mit Carbon-Chassis im Programm führt. Für einen (Plug-in-)Hybrid-Antriebsstrang gilt eigentlich dasselbe. Zumal McLaren eine große Konzernmutter fehlt, die die passende Plattform stellen kann. Davon profitiert bald Lotus bei seinem neuen SUV Eletre, der einen technischen Unterbau des Geely-Konzerns nutzt.
Patente zeigen E-Antriebskonzepte
Näher an der Realität dürfte ein rein elektrisch angetriebener SUV liegen. Im "Car Magazine"-Interview gibt Leiters deutliche Hinweise in diese Richtung – was bedeuten würde, dass McLarens erstes reines Elektroauto ein SUV wäre. Mit zwei- oder dreimotorigen Layouts sollten sich recht leicht McLaren-typische Leistungsdaten und ein Allradantrieb realisieren lassen. Genau zu diesem Ansatz war im Januar 2023 eine Patentschrift der Briten veröffentlicht worden. Diese zeigt ein Antriebskonzept, bei dem drei Elektromotoren rund um ein zentrales Differenzial angeordnet werden. Der Hauptmotor sitzt vor dem Differenzial, die beiden weiteren E-Maschinen an den Ausgangswellen. Für den kompletten Antrieb sieht die Patentschrift ein gemeinsames Gehäuse aus Aluminium oder Magnesium vor.
Von dieser Dreier-Kombination verspricht sich McLaren eine feinere Steuerung der Leistungsabgabe sowie eine bessere Rekuperationssteuerung beim Bremsen. Das Patent sieht aber nicht nur Hinterradantrieb vor. Das komplette Antriebsmodul kann laut Patentschrift gespiegelt auch an der Vorderachse zum Einsatz kommen – schon wäre ein Allradantrieb realisiert. Bei der Energiequelle legt sich das Patent nicht fest. Superkondensatoren, Brennstoffzellen oder Batterien sind hier möglich.
Erweiterung des Artura-Hybridantriebs?
Bereits im November 2022 wurde ein Patent veröffentlicht, das einen E-Motor in-Kombination mit einem Verbrenner an der Hinterachse zeigte, die Vorderachse aber zusätzlich mit zwei E-Motoren beaufschlagt. Das sieht nach einer Erweiterung des Hybridantriebs des neuen Artura (als Spider in der Fotoshow über diesem Artikel und als Coupé im Video nach dem ersten Absatz) aus. Zudem weist dieses Patent darauf hin, dass auch die E-Motoren allein den Antrieb kurzzeitig übernehmen könnten.
Für ein insgesamt geringes Gewicht eines Elektromodells könnte die markeneigene Leichtbau-Kompetenz zum Tragen kommen, indem McLaren bei seinem Crossover großflächig Carbon einsetzt. Unklar ist allerdings noch, ob der Werkstoff beim Chassis zum Einsatz kommt oder der Hersteller doch eher eine Kohlefaser-Karosserie über ein Aluminium-Chassis stülpt, um das Gewicht im Rahmen zu halten.
Elektro-SUV mit BMW-Hilfe?
Vielleicht gehen die Briten aber auch einen einfacheren Weg. Kommt an dieser Stelle BMW ins Spiel? Gerüchteweise verhandelt McLaren mit den Münchnern über eine Kooperation, die auf beiden Seiten einen Elektro-Sportwagen hervorbringen soll. Dabei werde auch ein Crossover-Modell diskutiert, und mit dem Wechsel von Flewitt zu Leiters könnte dieses Thema an Fahrt aufnehmen. Zumal BMW spielerisch die passende Plattform und Antriebstechnik für einen künftigen McLaren-SUV zur Verfügung stellen könnte. Für den Artura liefern die Bayern bereits die Akkuzellen, wobei Leiters im Crossover eher keine Lithium-Ionen-Batterien sieht. Ein Hinweis auf Feststoffakkus? Klar ist: BMW forscht bereits intensiv an dieser Akkuvariante, sodass sich auch auf diesem Feld eine Kooperation ergeben könnte. Im "Top Gear"-Gespräch merkt Leiters immerhin an, dass McLaren für eine Partnerschaft mit BMW offen sei.
Klar ist aber auch: Selbst wenn die Briten einen SUV bringen sollten und dieser einen reinen Elektroantrieb aufweist, heißt das nicht, dass das Modell direkt ums Eck auf seine Premiere wartet. Da viele Entscheidungen noch getroffen werden müssen (wer wird Entwicklungspartner, wie sieht das Design aus, wo wird der McLaren-SUV gebaut?), dürften mindestens noch drei Jahre bis zur Präsentation ins Land ziehen. Demnach scheint 2027 als Einführungsjahr durchaus realistisch zu sein.
Auch Taycan-Gegner geplant
Aber Leiter denkt auch über ein zweites Elektromodell nach. Gegenüber "Auto Express" bestätigt er bereits vor einiger Zeit, dass neben einem Elektro-SUV auch ein rein elektrisch angetriebener GT als Konkurrent zum Porsche Taycan Teil der Zukunftsplanung sei. Konkreter wurde der McLaren-CEO dabei aber nicht. © auto motor und sport
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