Im SWR spricht Klaus Kienle über den Verdacht, gefälschte 300 SL verkauft zu haben. Während der Recherchen zum Film kam ein weiterer Fall ans Licht.
In einer Dokumentation des SWR geht es um den Mercedes 300 SL Flügeltürer, dessen teils prominente Besitzer und Betrug in Millionenhöhe. Klaus Kienle, Gründer und ehemaliger Geschäftsführer des zwischenzeitlich insolventen und nunmehr von der Mercedes-Benz Heritage GmbH übernommenen Restaurierungsbetriebes, spricht zum ersten Mal öffentlich über den Verdacht, Oldtimer mit gefälschten Fahrgestellnummern verkauft zu haben, und schildert seine Sicht der Dinge.
Video: Das wissen wir über den Betrugsversuch bei Kienle
Der Betrug mit dem 300 SL
Zeugen berichten von Fälschungen und den Methoden bei Kienle. "Wir sind wie ein Werk", habe Kienle während einer Betriebsversammlung zu Mitarbeitern gesagt und damit Eingriffe in Motor- und Rahmennummern erklärt. Dabei dürfe noch nicht einmal der Hersteller diese Nummern ändern.
Betrogene kommen zu Wort, ein Gutachter spricht über seine Arbeit. Während der Recherchen zum Film taucht ein weiterer Fall auf: Der ehemalige Rennfahrer Gunter Thiel hatte seinen 300 SL bei Kienle restaurieren lassen. Als er sein Auto zurückbekam, seien ihm Unstimmigkeiten aufgefallen, berichten seine Söhne. Es hätten Teile gefehlt und Nummern nicht gestimmt. Das habe ein Gutachten ergeben.
SWR-Dokumentation zu Kienle
Thiel habe sich an Polizei, Staatsanwaltschaft und den damaligen Mercedes-Chef Dieter Zetsche gewandt. "Jeder hat sich nicht bemüht, eigentlich in die Tiefe zu gehen", sagt einer von Thiels Söhnen. Der SWR ist dabei, als ein Gutachter einen 300 SL Roadster von 1957 untersucht – mit erschütterndem Ergebnis für den Besitzer. Die Dokumentation "Skandal um Oldtimer – der tiefe Fall des Klaus Kienle" ist am Dienstag, 15. Oktober 2024, um 21 Uhr im SWR zu sehen und zudem in der ARD Mediathek abrufbar.
Rückblick: So kam der Fall Kienle ans Licht
Der "Fall Kienle" kam im Frühjahr 2023 ins Rollen und erreichte innerhalb etwa eines Jahres mit der Insolvenz der Traditionsfirma inklusive Übernahme durch Mercedes ihren vorläufigen Höhepunkt. Der Insolvenzbericht nennt laut einem Bericht der "Stuttgarter Zeitung" mehrere Gründe für die Pleite des Ditzinger Oldtimer-Betriebes Kienle Automobiltechnik GmbH. Im Bericht steht demnach auch, was Mercedes für Ersatzteile, Maschinen und immaterielle Vermögensgegenstände bezahlt hat und was die Gläubiger bekommen. Einen Vorgang, der "für Kienle potenziell strafrechtlich brisant" sein könnte, bestreitet der Anwalt des Firmengründers und ehemaligen Inhabers.
Nachdem während der Corona-Pandemie das Handelsgeschäft mit Oldtimern eingebrochen sei, habe das defizitäre Werkstattgeschäft dies nicht auffangen können, so der Insolvenzbericht. Kostenvoranschläge seien zu niedrig angesetzt gewesen und Mehrkosten nicht berechnet worden, "um die guten Kundenbeziehungen nicht zu belasten", so der Bericht weiter. Kienle habe von seinen Kunden hohe Vorschüsse verlangt – bis zu 100 Prozent des Kostenvoranschlages – und damit seine laufenden Kosten bezahlt.
Angespannte finanzielle Lage
Das Firmengrundstück hatte der Restaurierungsbetrieb im November 2021 verkauft und zurückgeleast, um Liquidität für den weiteren Geschäftsbetrieb zu erhalten. Mit Verweis auf die schwierige Wertermittlung einiger Positionen des Ersatzteillagers und des Fahrzeugbestandes hatte eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Jahresbilanz 2021 eingeschränkt testiert.
Laut einer Mitteilung der Kanzlei Grub Brugger sei die Insolvenz "eine Folge der laufenden Ermittlungen". Wegen des von den Behörden öffentlich geäußerten Verdachts des "gewerbsmäßigen Betrugs mit dem Verkauf von gefälschten Oldtimern" hätten zahlreiche Kunden geplante Aufträge zurückgezogen. Der Insolvenzbericht von Anfang Februar 2024 bestätigt das: Die Akquise neuer Aufträge sei schwierig geworden, Werkstattaufträge seien zurückgezogen worden.
Die finanzielle Lage des Unternehmens war angespannt, das zeigen Zahlen aus den Jahren 2020 und 2021. Das Ersatzteillager, das 40.000 Position umfassen soll, war 2021 teilweise an Banken und Gläubiger sicherungsübereignet. Das bedeutet, dass die Teile zwar noch im Besitz der Firma sind, die Erlöse aus einem möglichen Verkauf jedoch einem Gläubiger gehören. Nach der Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens Ende Oktober 2023 seien "mehrfach Fahrzeuge und Ersatzteile abhandengekommen", zitiert die Stuttgarter Zeitung den Insolvenzbericht. Klaus Kienle habe darum Hausverbot erhalten.
Dubioser Oldtimer-Verkauf
Ausgelöst hat die Insolvenz laut Bericht "eine Auseinandersetzung über ein von Kienle für 1,5 Millionen Euro verkauftes Auto." Die Käuferin habe die Herausgabe der Fahrzeugpapiere verlangt. Kienle habe den Kaufpreis zwar kassiert, aber nicht an den Eigentümer weitergeleitet. Die Käuferin habe ihre Ansprüche durchsetzen können, was zur Pfändung sämtlicher Kienle-Konten geführt habe.
Damit können die Gläubiger rechnen
Laut Bericht können die Kienle-Gläubiger wohl knapp 80 Prozent ihrer Forderungen abschreiben. Anerkannten Forderungen von 16 Millionen Euro stünden 3,26 Millionen Euro verfügbare Mittel gegenüber. Voraussichtlich liegt die Befriedigungsquote bei 20,37 Prozent. Der größte Teil der liquiden Mittel stammt aus dem Verkauf wesentlicher Teile des insolventen Unternehmens an die Klassiksparte von Mercedes-Benz.
Mercedes bezahlte 3,05 Millionen Euro
Berater hatten Kienle im Jahr 2022 unter anderem empfohlen, einen Investor aufzunehmen. Anfang 2023 hatte Mercedes Classic eine Übernahme des weltweit bekannten Restaurators erwogen, aber zunächst nicht weiter verfolgt. Im Zuge des Insolvenzverfahrens übernahm die Mercedes-Benz Heritage GmbH schließlich zum 1. Februar 2023 Mitarbeiter, Ersatzteile und Werkzeuge der Kienle Automobiltechnik GmbH. Dafür bezahlte der Hersteller laut Insolvenzbericht insgesamt 3,05 Millionen Euro. Nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung teilt sich die Summe so auf: "1,5 Millionen für das Ersatzteillager, 350.000 Euro für Maschinen und 1,2 Millionen für immaterielle Werte wie die Kundendaten und das Knowhow der übernommenen Mitarbeiter."
Die Durchsuchung
Am 31. Mai 2023 hatten das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg und die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Firmengebäude der Kienle Automobiltechnik GmbH in Heimerdingen, die Wohnung des Geschäftsführers Klaus Kienle sowie seiner beiden Söhne Alexander und Marc durchsucht.
Die Staatsanwaltschaft war auf der Suche nach Beweisen im Kontext der doppelten Fahrgestellnummer zweier Mercedes 300 SL Roadster. Kienle steht im "Verdacht des gewerbsmäßigen Betrugs mit dem Verkauf von gefälschten Oldtimern".
LKA und Staatsanwaltschaft haben bei der Durchsuchung Ende Mai 2023 "unter anderem zwei Fahrzeuge des Typs 300 SL, einen Motor für den Pkw 300 SL, ein Chassis Typ 300 SL und einen Gitterrohrrahmen für den Typ 300 SL beschlagnahmt". Darüber hinaus "wurden umfangreich digitale Speichermedien sowie schriftliche Unterlagen beschlagnahmt." Die Auswertung der sichergestellten Beweismittel und die daraus resultierenden Ermittlungen dauerten an, erklärten LKA und Staatsanwaltschaft auf Nachfrage von auto motor und sport. Für eine Durchsuchung ist ein Anfangsverdacht nötig. Der muss stark genug sein, um eine Durchsuchung zu rechtfertigen.
Die doppelte Fahrgestellnummer
Im Herbst 2022 hatte Ralph Grieser, Inhaber des Oldtimerhändlers Depot 3 in Mülheim-Kärlich, einen roten Mercedes-Benz 300 SL Roadster. Das Auto stand in der Schweiz und hat die Fahrgestellnummer 198042-10-002786. Es hatte seit 1969 einem Landwirt im Kanton Schaffhausen gehört. Davor besaß der Züricher Geschäftsmann Hans-Ulrich Lenzlinger den roten Roadster.
Der rote Roadster war 2021 in der Schweiz abgemeldet worden. Bei der Anmeldung auf seine Firma Depot 3 sei aufgefallen, dass ein 300 SL mit identischer Fahrgestellnummer schon einmal in Deutschland zugelassen gewesen sei. Dieses Auto war allerdings gelb. Nach der Anmeldung war klar: Es muss zwei 300 SL Roadster mit dem Baujahr 1961 und derselben Fahrgestellnummer geben.
Auf dem Genfer Autosalon im Frühjahr 1961 war ein 300 SL Roadster in Phantasiegelb ausgestellt. Einen Roadster in dieser Farbe hatte Kienle 2019 in seiner Hauszeitschrift beworben und 2020 auf einen Kalender gedruckt.
Grieser ist sicher, das Original zu besitzen. "Zwei Auto-Forensiker haben unabhängig voneinander die Identität und Originalität unseres roten 300 SL Roadster festgestellt." Der Händler bezieht sich dabei auch auf einen weiteren 300 SL: "Wir haben das Auto, das sieben Fahrgestellnummern vorher gebaut worden ist. Das war für mich das Referenzauto."
Gekauft hatte Griesers Firma den Roadster als Handelsauto wegen der Vorgeschichte und des originalen Zustands: "Das Auto hat eine sehr gute Historie: Erstbesitz bis 1969, bis Oktober 2022 beim Zweitbesitzer und 2021 in der Schweiz außer Betrieb gesetzt." Unter anderem seien das Stoffverdeck, die Front- und Seitenscheiben sowie die Teppiche noch die ersten und das Fahrzeug habe nie eine Vollrestaurierung bekommen. Allerdings wurde es einmal rot lackiert. Ursprünglich waren die Karosserie gelb und das Hardtop schwarz.
Der doppelte Roadster
Grieser informiert die Behörden und macht sich auf die Suche nach dem zweiten 300 SL. Ihm gehe es darum, dass das zweite Auto gefunden werde, erklärte er gegenüber auto motor und sport. Den entscheidenden Hinweis bekommt er, als am 6. Juli 203 vor dem Landgericht Stuttgart der Fall zweier 300 SL Roadster mit identischer Fahrgestellnummer verhandelt wird: Der gelbe Roadster sei in Malaysia.
Grieser nimmt Kontakt mit dem Besitzer auf und bringt zur Besichtigung einen Sachverständigen mit. Der hat laut Gutachten den Auftrag, zu untersuchen, ob der phantasiegelbe 300 SL Roadster das originale Auto mit der Fahrgestellnummer 198042-10-002786 sei, ob es über Matching Numbers verfüge und ob "ein automobiler Fachmann dies erkennen" könne, falls das Fahrzeug nicht original sei.
Das Ergebnis ist eindeutig: "Nicht nur für einen automobilen Fachmann sind die vorliegenden Spurenbilder so eindeutig, dass auf eine Manipulation zurück geschlossen werden müsste", schreibt der Sachverständige
Mercedes hat beim 300 SL an diversen Stellen Nummern eingeschlagen. Die Fahrgestellnummer findet sich am Rahmen, am Rahmenkopf ist ab Werk eine weitere Nummer eingeschlagen. An Motor, Getriebe und Hinterachse sind ebenfalls Nummern eingeschlagen, an der Vorderachse links und rechts eine Nummer. Auch Lenkungs-, Tür- und Tankschloss sowie das Koffer- und Handschuhkastenschloss haben jeweils eigene Nummern. Alle Nummern sind in der Datenkarte vermerkt.
Gefälschte Nummern am 300 SL
Der Gutachter hat die Nummern am gelben 300 SL in Malaysia dokumentiert und mit Griesers 300 SL verglichen, den er ebenfalls untersucht hat. Die Motornummer am gelben Auto sei "erkennbar nachgeschlagen", schreibt der Gutachter. "Weitere Identitätsnachweise wie die Bodynummer am Armaturenbrett, die Lenkungsnummer, die Rahmenkopfnummer und die Nummern an den Vorderachshälften wurden entfernt, was für ein Fahrzeug bereits eindeutige Hinweise darstellen, die gegen eine Originalität sprechen." Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass es sich bei dem untersuchten Auto um ein Fahrzeug mit einer anderen Fahrgestellnummer handeln müsse. Dieses Auto mit der Fahrgestellnummer 198042-10-002765 sei 1961 in Weiß mit roter Innenausstattung ausgeliefert und 1983 in Frankfurt gestohlen worden.
Kienle dementiert die Vorwürfe
Auch Kienle hat die Geschichte des phantasiegelben Roadsters recherchiert. Über einen Anwalt erklärt der Restaurator am 16. Oktober 2023 gegenüber auto motor und sport: "Der gelbe Mercedes 300 SL, der sich 2019 erstmals und für kurze Zeit bei Kienle befand, trug die Fahrgestellnummer 198-042-10-002786."
Die Recherchen zur Geschichte des phantasiegelben Roadsters reichen laut Kienle 30 Jahre zurück und "belegen, dass das Fahrzeug mindestens seit Anfang der 1990er-Jahre dieselbe Fahrgestellnummer trägt, die es auch hatte, als es 2019 erstmals zu Kienle kam." Der Restaurator habe das Auto im Rahmen eines Handelsgeschäfts vermittelt und "den gelben Mercedes 300 SL weder als Dublette aufgebaut noch dessen Fahrgestellnummer manipuliert." Aus Sicht von Klaus Kienle "ist die Ursprungsannahme der Ermittlungsbehörden, die ja auch Anlass für die Durchsuchung war, widerlegt".
Der Firmengründer hatte kurz nach der Durchsuchung die Vorwürfe in einem Gespräch mit auto motor und sport Anfang Juni 2023 bestritten: "Wir haben keine Duplikate." Bei der Durchsuchung seien die Fahrgestellnummern von etwa 30 Fahrzeugen überprüft und für korrekt befunden worden, erklärte der Seniorchef auf Nachfrage. Laut einer Pressemitteilung des Restaurators von Anfang Juni 2023 "steht aktuell noch nicht einmal fest, welches der beiden Fahrzeuge das Original und welches eine Rekonstruktion ist."
Kienle gab sich im Sommer 2023 "fest davon überzeugt, dass sich die bislang geäußerten Verdächtigungen als haltlos herausstellen werden, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen."
Mercedes 300 SL waren das Spezialgebiet von Kienle Automobiltechnik in Ditzingen bei Stuttgart. Die 1984 gegründete Firma galt als einer der größten Restaurierungsbetriebe für Oldtimer der Marke Mercedes und weltweit anerkannter Spezialist für 300 SL Flügeltürer sowie die bis 1981 produzierte Staatslimousine 600. Zu den Kunden gehörten prominente Sammler, Unternehmer und Sportler.
Das sagt der 300-SL-Club
Wilfried Porth, Präsident des Mercedes-Benz 300 SL-Club Deutschland e.V. empfiehlt Kaufinteressenten "auf jeden Fall ein Herstellergutachten". Dabei würden wesentliche Punkte geprüft: "Ist das ein Stahl von damals, ist er irgendwo geflickt, wurden die Nummern an der falschen Stelle eingeschlagen?" Die 20.000 Euro für eine Materialprobe und einen Datenkartenabgleich im Classic Center seien bei einer siebenstelligen Summe ein vergleichsweise kleiner Betrag. Mercedes Classic sei bei der Dokumentation "gut aufgestellt" und könne deshalb herausfinden, ob es sich um eine Dublette handele, so Porth.
Vor allem, wenn ein 300 SL aus dem Ausland kommt, viele Vorbesitzer hat oder restauriert wurde, sei die Unsicherheit groß. "Da das Auto zu sehr hohen Preisen gehandelt wird, gibt es immer Versuche, Geld zu machen", sagt Porth. Das gelte vor allem für die 29 Alu-Flügeltürer, die für fünf bis sechs Millionen gehandelt werden: "Da gibt es schon mal zwei", erklärt der Clubpräsident.
Prozess wegen doppelter FIN
Am 6. Juli 2023 begann am Stuttgarter Landgericht ein Prozess, in dem es ebenfalls um eine doppelte Fahrgestellnummer bei zwei Mercedes-Benz 300 SL Roadster geht. Die Besitzer beider Autos sind überzeugt, jeweils das Original zu besitzen. Beide Autos waren bei Kienle in der Werkstatt, eines wurde dort 1999 restauriert. Am ersten Prozesstag war ein Vergleich gescheitert, der während des zweiten Verhandlungstermins Anfang 2023 zustandekam. © auto motor und sport
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