Der frühere Daimler-Chef Edzard Reuter ist bereits am Sonntag (27.10.2024) im Alter von 96 Jahren in Stuttgart gestorben. Das gab die Helga- und Edzard Reuter-Stiftung bekannt.
"Der Tod von Edzard Reuter erfüllt uns mit großer Trauer", erklärte Susanne Eisenmann, die Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung, die Reuter und seine Frau 1995 ins Leben gerufen hatten, gegenüber der Deutschen Pressagentur (dpa). Reuter hinterlässt ein Lebenswerk, das sowohl wirtschaftliche Erfolge und Herausforderungen als auch ein tiefes Engagement für gesellschaftlichen Zusammenhalt umfasst.
Reuter prägte die Daimler-Benz AG
Von 1987 bis 1995 führte Reuter als Vorstandsvorsitzender die Daimler-Benz AG und verfolgte eine ehrgeizige Vision: Er wollte den Stuttgarter Automobilkonzern zu einem diversifizierten Technologieunternehmen ausbauen, das nicht nur Autos herstellt, sondern auch in der Luft- und Raumfahrt tätig ist. Unter seiner Führung entstand die Deutsche Aerospace AG (DASA), eine Luft- und Raumfahrttochter, und das Unternehmen erwarb Beteiligungen an AEG, Dornier und MTU, die das Portfolio deutlich erweiterten. Doch seine Strategie führte letztlich zu hohen finanziellen Verlusten, und Kritiker warfen ihm vor, erhebliche Mittel des Unternehmens fehlgeleitet zu haben. Reuter wurde in der Öffentlichkeit als "Kapitalvernichter" gesehen. Seine Ära endete schließlich mit einem Strategiewechsel, der Daimler zurück zum Kerngeschäft der Automobilproduktion führte. Die Spaltung des Konzerns im Jahr 2021 in die Mercedes-Benz Group und Daimler Truck markierte das endgültige Ende von Reuters Vision eines technologisch breit aufgestellten Konzerns.
Trotz der Kritik hielt Reuter an seinen Überzeugungen fest und verteidigte seine Strategie. "Wir haben im Einzelnen bei unserem Versuch, einen Technologiekonzern aufzubauen, gewaltige Fehler gemacht – gar kein Zweifel", erklärte er, "aber der grundsätzliche Weg ist nach meiner festen Überzeugung absolut richtig gewesen." Seine Vision für Daimler basierte auf der Überzeugung, dass sich die Automobilindustrie fundamental verändern würde und der Konzern sich bereits frühzeitig auf diese Entwicklungen vorbereiten müsse. Auch in späteren Interviews betonte Reuter, dass es wichtig sei, auf die Zukunft ausgerichtete Entscheidungen zu treffen, auch wenn diese riskant seien und zunächst zu Verlusten führen könnten.
Einsatz für Demokratie und Freiheit für Berlin
Reuters Leben war von einem tiefen gesellschaftspolitischen Bewusstsein geprägt, das weit über seine Rolle als Wirtschaftsführer hinausging. Als Sohn des berühmten Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter, der sich für Demokratie und die Freiheit der Stadt einsetzte, wuchs Edzard Reuter in einer politisch aktiven Familie auf. 1935, im Alter von sieben Jahren, floh er mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten in die Türkei. Zwölf Jahre lebte er im Exil in Ankara, wo sein Vater sich als Berater und Lehrer betätigte. Diese prägenden Erfahrungen ließen ihn früh erkennen, wie bedeutend Werte wie Demokratie, Freiheit und die Fähigkeit zur Integration sind.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Reuter mit seiner Familie nach Deutschland zurück und begann ein Studium der Mathematik und Theoretischen Physik in Berlin und Göttingen, bevor er sich an der Freien Universität Berlin dem Studium der Rechtswissenschaften widmete. Nach seiner Ausbildung arbeitete er zunächst bei der Ufa und Bertelsmann, bevor er 1964 zu Daimler-Benz nach Stuttgart wechselte. Über die Jahre stieg er in verschiedenen Positionen auf, bis er schließlich 1987 Vorstandsvorsitzender des Unternehmens wurde. Diese Karriere markierte einen Höhepunkt, der jedoch durch zahlreiche Herausforderungen geprägt war.
Reuter setzte sich für ein friedliches Miteinander ein
Reuters Verbundenheit mit gesellschaftlichen Themen zeigte sich besonders durch die Gründung der "Helga- und Edzard Reuter-Stiftung", die er zusammen mit seiner Frau Helga ins Leben rief. Die Stiftung setzt sich für ein friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher ethnischer, religiöser und kultureller Hintergründe ein und fördert zahlreiche Projekte zur Integration. "Die Frage, inwieweit es gelingt, die vielen Menschen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten nach Deutschland zugewandert sind, in unsere Gesellschaft zu integrieren, ist eine politische und gesellschaftliche Zukunftsaufgabe ersten Ranges", erklärte Reuter zu den Zielen der Stiftung. Er war überzeugt davon, dass Vielfalt eine Bereicherung für die Gesellschaft ist und Integration nur durch Verständnis, Toleranz und gemeinsame Anstrengungen gelingen kann.
Sein gesellschaftliches Engagement war tief in seiner Überzeugung verwurzelt, dass sich Deutschland und Europa nur durch Solidarität und gemeinschaftliche Werte entwickeln können. Reuter beobachtete die politischen Entwicklungen in Europa mit Besorgnis und kritisierte die zunehmenden nationalistischen Strömungen, die er als Bedrohung für die europäischen Werte betrachtete. Er warnte davor, dass die Erosion dieser Werte negative Auswirkungen auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität haben könnte. "Dass die gemeinsamen Wertvorstellungen, auf denen Europa basiere, einmal derart erodieren könnten, habe er sich nie vorstellen können", äußerte er sich besorgt.
Obergrenzen für Wirtschaftsbosse forderte Ezard Reuter
Auch als Wirtschaftsführer setzte Reuter Zeichen: Er forderte ethisches Handeln und Verantwortung von Führungskräften in der Wirtschaft und sprach sich für eine Obergrenze für Managergehälter aus. In einem Interview betonte er, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht auf Kosten von sozialem Zusammenhalt und gesellschaftlicher Verantwortung gehen dürfe. Sein Engagement für Anstand und Moral im Wirtschaftsleben führte dazu, dass er sich zunehmend als gesellschaftlicher Mahner positionierte, der auf die Verantwortung von Managern und Unternehmen hinwies. Reuter sah in der wirtschaftlichen Macht nicht nur eine Chance, sondern auch eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft.
Für seine Verdienste wurde Reuter 1998 zum Ehrenbürger von Berlin ernannt. Die Kuratoriumsvorsitzende Susanne Eisenmann würdigte ihn nach seinem Tod als "Mäzen und Stifter, der über Jahrzehnte Herausragendes geleistet hat". Reuters Vermächtnis bleibt in der Arbeit seiner Stiftung bestehen, die weiterhin für seine Vision eines friedlichen, multikulturellen Miteinanders in Deutschland und Europa eintritt. Reuter selbst glaubte fest daran, dass Menschen die Fähigkeit besitzen, auch große Probleme zu bewältigen, und hielt bis zuletzt daran fest, dass eine offene und gerechte Gesellschaft durch Zusammenhalt und gegenseitiges Verständnis möglich ist. © auto motor und sport
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.