Fast jede zweite Rentnerin bekommt nur eine Niedrigrente. Altersarmut ist vor allem eine Gefahr für Frauen. Werden die modernen berufstätigen Frauen es später einmal besser haben? Eine Analyse.
Wer heute schon das Gefühl hat, er habe ständig zu wenig Geld, obwohl er doch arbeiten geht, der sollte einmal über diese Zahl nachdenken: 606 Euro im Monat.
Das klingt nicht, als ob man davon wirklich leben könnte, aber so hoch ist die durchschnittliche Rente, die Frauen hierzulande laut Zahlen der deutschen Rentenversicherung von der gesetzlichen Rentenkasse ausgezahlt bekommen.
Daran wird eine moderate Rentenerhöhung, wie sie jetzt beschlossen worden ist, auch nicht viel ändern.
Nun kann man entgegnen, es handele sich dabei größtenteils um jene Frauen, die aus Nachkriegsgenerationen stammen, ein eher klassisches Rollenbild lebten und familienbedingt wenig arbeiteten und in die Rentenkasse einzahlten.
Den jetzigen Frauengenerationen wird es da einmal viel besser gehen. Nur ... stimmt das?
Heute sind mehr Frauen erwerbstätig
Zunächst einmal die gute Nachricht: Tatsächlich arbeiten heute 18 Millionen der Frauen hierzulande, das sind dreiviertel aller Frauen im Alter von 20 bis 64 Jahren.
Damit hat die Bundesrepublik die dritthöchste Frauenerwerbsquote der Europäischen Union, belegen Daten des Statistischen Bundesamts.
"Gerade die Frauen haben erheblich von der Bildungsexpansion nach dem Krieg profitiert", sagt Katja Möhring, Professorin für Makrosoziologie der Universität Mannheim, die sich die Erwerbsverläufe von Frauen angesehen hat und ihr Risiko für Altersarmut erforscht.
An Gymnasien und Hochschulen stellen Frauen mittlerweile mehr als die Hälfte der Absolventen, sie erzielen im Schnitt die besseren Noten und haben sich auch vermehrt in besser bezahlte Jobs hineingearbeitet als ihre Vorgängerinnen.
Als Rentnerinnen werden sie nicht nur von der gesetzlichen Rente allein leben, sondern auch von dem Geld aus Betriebsrenten, privaten Sparverträgen oder Immobilienvermögen.
Allerdings macht die gesetzliche Rente den allergrößten Teil des Einkommens im Ruhestand aus.
Und damit erschöpfen sich die erfreulichen Zahlen auch schon.
Frauen oft nur Teilzeitangestellte
Denn auch wenn drei von vier Frauen erwerbstätig sind, sind sie es oft nur in Teilzeit. Fast jede zweite Beschäftigte, 46 Prozent der arbeitenden Frauen, ist nicht in einem Vollzeitarbeitsverhältnis aktiv, sagen Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung. Das ist ebenfalls die dritthöchste Quote innerhalb der EU.
Und es geht in den allermeisten Fällen nicht um Arbeitsverhältnisse, die lediglich ein paar Stunden verkürzt sind, sondern zumeist um richtig kleine Jobs: Ein Drittel der erwerbstätigen Frauen arbeiten höchstens halbtags. Weitere 17 Prozent nur 20 bis 30 Stunden.
"Und unheimlich viele Frauen steigen nach der Familienpause nur über Minijobs wieder in den Beruf ein", sagt Katja Möhring, "das bringt ihnen für die Rente gar nichts."
Bei den Männern arbeitet nicht einmal jeder Zehnte weniger als 100 Prozent. Vor allem, wenn Kinder im Haushalt leben, packt zwar mit Zweidritteln die Mehrheit der Mütter in Teilzeit mit an. Väter dagegen sind dann schon wieder zu 94 Prozent vollzeitbeschäftigt.
Geringere Löhne für Frauen
Dazu kommt, dass viele arbeitende Frauen nicht gerade gut bezahlt sind. Im Schnitt verdienen sie 21 Prozent weniger als Männer, belegen Daten des Statistischen Bundesamts. Warum?
Das liegt eben nur zum Teil an den Teilzeitarbeitsverhältnissen. Von allen geringfügig Entlohnten sind schließlich knapp Zweidrittel weiblich, bemerkt die Hans-Böckler-Stiftung.
Gerade in vielen schlecht bezahlten Branchen arbeiten überwiegend Frauen, etwa in der Gesundheits- und Pflegebranche, in Erziehungs- und Bildungswesen oder im Gastgewerbe.
Die Frage ist also, ob die Mehrheit der Frauen mit solchen Berufsprofilen später wirklich auf deutlich üppigere Altersbezüge kommt als ihre Vorgängergenerationen.
Wer sich die Niedrigrentner von heute ansieht, so wie es Martin Brussig vom Institut für Arbeitsmarkt und Qualifikation getan hat, der stellt fest, dass es zu rund 86 Prozent Frauen sind, die Minirenten haben.
Fast die Hälfte der Rentnerinnen bezieht aktuell nur Niedrigrenten, das ist eine enorm hohe Quote. Bei den Männern sind es nur sechs Prozent. Ostdeutsche Frauen stellen sich dabei aktuell besser als ihre Geschlechtsgenossinnen im Westen, da sie traditionell mehr gearbeitet haben.
Bei den künftigen Generationen jedoch, werde sich stark bemerkbar machen, dass nach der Wiedervereinigung die Arbeitslosenquote im Osten stark gestiegen ist.
Das traf Frauen wie Männer, meint Peter Haan, der Projektleiter beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Mitautor der Studie "Entwicklung der Altersarmut bis 2036" für die Bertelsmannstiftung.
Wie kommt es zur Altersarmut?
Vor allem drei Faktoren sind es laut Martin Brussig, die Menschen im Rentenalter an die Armutsschwelle bringen:
1. Dauer der Berufstätigkeit und das Einkommen
Während das Gros der Männer hier auf 40 bis 50 Berufsjahre kommt – in denen Rentenbeiträge gezahlt wurden – und im Schnitt auf insgesamt 47 Entgeltpunkte, kommen Frauen zurzeit nur auf etwas mehr als 20 Entgeltpunkte.
Rentnerinnen aus den Westbundesländern brachten es selten auf mehr als zehn Berufsjahre, Ostfrauen immerhin auf 35 bis 50 Jahre im Job.
Dennoch, so sagt die Statistik der Rentenversicherung: Auch langjährige Einzahlerinnen in die Rentenkasse bekommen wegen ihrer durchschnittlich geringeren Löhne zurzeit nur gut 1.060 Euro Rente. Das sind rund 400 Euro weniger als langjährig versicherte Männer.
2. Familienstand und Kinderzahl
Während Männer einen "Heiratsbonus" haben, weil sie mehr arbeiten, wenn sie Frau und Kinder haben, sind bei verheirateten Frauen – und vor allem Müttern - die Renten durchweg niedriger wegen ihrer geringeren Erwerbstätigkeit.
Einen Grund dafür sehen Kritiker im Ehegattensplitting. Es begünstigt das Modell des Einverdienerhaushalts und macht das Weiterarbeiten für den Partner umso unattraktiver je mehr er verdient.
Verheiratete Frauen haben einen "Heiratsmalus", sie bekommen im Vergleich zu unverheirateten Frauen rund 200 Euro weniger Rente. Bei verheirateten Frauen mit Kindern ist die Rente sogar nur ein Drittel so hoch wie bei kinderlosen Rentnerinnen.
Es zeigt sich, "dass längere Unterbrechungen zur Kinderbetreuung selbst bei vorheriger und anschließender Vollzeittätigkeit häufig in niedrige Renten führen", sagt Martin Brussig.
Arbeiteten Frauen nach längerer Kinderpause lange in Teilzeit, so hatten sie "zu 89 Prozent niedrige Renten". Stiegen sie schnell wieder in den Beruf ein, waren sie "nur" zu 50 Prozent von niedrigen Renten betroffen.
"Eine besondere Risikogruppe sind außerdem die geschiedenen Frauen", sagt Soziologin Möhring, "vor allem, wenn sie bis zur Rente nicht wieder heiraten."
Wer im Alter alleine lebt, hat generell ein höheres Risiko, im Alter als arm zu gelten. Vor allem wenn er hohe Großstadtmieten bezahlen muss.
3. Ausbildung und Berufsstand
Personen ohne abgeschlossene Lehre sind viel häufiger von Niedrigrenten betroffen als jene mit Berufsausbildung.
Bei Akademikern ist die Rentenhöhe im Schnitt am höchsten und die Armutsgefährdung sehr viel geringer ausgeprägt.
Außerdem scheint die Betriebsgröße eine entscheidende Rolle zu spielen: Niedrigrentner haben zuvor überproportional häufig in Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern gearbeitet.
Je größer der Betrieb, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass noch Betriebsrenten oder andere Altersbezüge gezahlt werden. Oder die Löhne generell höher sind.
Dass das am Donnerstag beschlossene "Rentenpaket" der Bundesregierung hier tatsächlich der ganz große Wurf gegen das Problem der Altersarmut ist, bezweifeln Kritiker.
Verwendete Quellen:
- Statistik der Deutschen Rentenversicherung 2018
- Statistisches Bundesamt: Erwerbstätigkeit von Frauen, Verdienste und Verdienstunterschiede, Wirtschaftsrechnungen
- WSI: Teilzeitquoten der abhängig Beschäftigten
- WSI Report: Große Unterschiede in den Arbeitszeiten von Frauen und Männern
- IAQ: Erwerbsverläufe von Frauen und Männern mit niedrigen Altersrenten
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