Arbeiten von zu Hause aus - dieses Arbeitsmodell wird immer beliebter. Und viele Menschen wünschen sich mehr davon. Doch warum gibt es diese Möglichkeit nicht häufiger und welche Nachteile bringt das Arbeiten von zu Hause neben all den Vorteilen mit sich?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Seit Beginn der Corona-Pandemie ist ein Arbeitsmodell auf dem Vormarsch, das den meisten Unternehmen und Mitarbeitenden bis dahin kaum vorstellbar erschien: Nicht jeden Tag ins Büro zu gehen, sondern vom heimischen Schreibtisch aus Aufgaben zu erledigen, Konferenzen abzuhalten und Mails zu beantworten. War dies zunächst aus der Not der Pandemie heraus geboren, gewöhnten sich mit der Zeit immer mehr Menschen daran und fanden sogar Spaß dabei.

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Gegenwärtig erlauben 61 Prozent der Unternehmen ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit des Home Office. Dies ergaben Zahlen einer Umfrage des ifo-Instituts München. An durchschnittlich 6,4 Tagen pro Monat können so die Mitarbeitenden von Zuhause aus arbeiten.

Doch gleichzeitig sind die Zahlen in Teilen der Wirtschaft auch schon wieder rückläufig. Im Handel ermöglichen aktuell 34 Prozent der Betriebe Home Office. Im letzten Jahr waren es noch 51 Prozent. Bei Firmen mit bis zu 49 Mitarbeitenden sind es im aktuellen Jahr 32 Prozent. Auch hier hat sich die Zahl innerhalb eines Jahres spürbar verkleinert. Zuvor waren es 46 Prozent.

Anders sieht es hingegen bei großen Unternehmen aus. Dies sind solche mit mehr als 500 Mitarbeitenden. Hier bieten aktuell sogar 94 Prozent die Möglichkeit des Home Office an. Und die Zahl der Tage pro Monat hat sich, anders als bei kleineren Unternehmen, sogar noch erhöht. Letztes Jahr waren es 5,3 Tage – nun sind es 7,1 Tage pro Monat.

Möglichkeit für Home Office hängt auch mit Branche und Unternehmenskultur zusammen

Dass nicht alle Branchen gleich von dieser Möglichkeit Gebrauch machen können, darauf weist die Studienleiterin des ifo-Instituts, Johanna Garnitz, hin. Dies hänge vor allem mit einem Faktor zusammen: Die Arbeit müsse überhaupt "grundsätzlich für das Home Office geeignet sein". Hier sind Menschen aus dem Büroalltag wesentlich im Vorteil. Anders sieht es offenkundig für Angestellte in Friseurbetrieben oder Kleidungsgeschäften aus. Bei Handelsbetrieben etwa sei der persönliche Kundenkontakt von entscheidender Bedeutung, erklärt Garnitz.

Bei sehr kleinen Unternehmen sind es wiederum andere Gründe, die eine stärkere Verbreitung von Home Office verhindern. Hier fehlten oft die technischen Möglichkeiten, erklärt die Wirtschaftsforscherin. Bei den etwas größeren, regional stark verankerten Unternehmen könnte der Grund für die weniger ausgeprägten Home-Office-Zeiten darin liegen, dass die Mitarbeitenden oft nicht so weit vom Arbeitsplatz entfernt wohnen, wie dies bei größeren Unternehmen der Fall ist, erläutert Garnitz.

Oftmals hänge das Ausmaß an Home Office auch mit der Unternehmenskultur zusammen, sagt die Münchner Wirtschaftsforscherin. Wenn in Unternehmen eine "offene und vertrauensvolle Unternehmenskultur" vorherrsche, sei die Unternehmensführung in der Regel offener für die Möglichkeit des Home Office. Anders sieht es laut Garnitz aus, wenn die Unternehmenskultur eher traditionell geprägt ist. Dies sei der Fall, wenn "Produktivität aufgrund von Anwesenheit gemessen wird". Dies erschwere dann die Arbeit im Home Office.

Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gehen beim Thema Home Office auseinander

Dennoch hat der Büroalltag in den Augen der Beschäftigten für viele noch seine positiven Seiten. Das geht aus einer Studie hervor, an der Matthias Dolls, ebenfalls vom ifo Institut, beteiligt war. Demnach schätzen die Menschen am Home Office zwar vor allem die Zeitersparnis und die Flexibilität. Aber auch das soziale Miteinander im Büro wollen viele nicht missen. Auch die klare Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben nennen viele Befragte als Vorteil des Arbeitens außerhalb der eigenen vier Wände.

Gleichzeitig wünschen sich die Beschäftigten laut ifo-Studie aber auch eine Erhöhung des Home-Office-Anteils an der Gesamtarbeitszeit. Dass die Unternehmen diesen Wünschen nicht ohne weiteres nachkommen, liege jedoch an den Eigeninteressen der Arbeitgeber, so Dolls.

Für die Unternehmensleitungen sei die Sorge zu groß, "dass die Produktivität leidet, wenn zu viel im Home Office gearbeitet wird", sagt der Münchner Wirtschaftsforscher. Zudem seien spontane Interaktionen und Abstimmungen im Home-Office schwieriger. Auch der Wissensaustausch zwischen den Mitarbeitern könne leiden, so die Befürchtung vieler Unternehmer.

Gewerkschaften warnen vor ständiger Erreichbarkeit und fehlenden Erholungszeiten

Auch die Gewerkschaften beobachten diesen Wandel der Arbeitswelt genau. Und so sieht man in der DGB-Führung neben den Vorteilen auch die Schattenseiten des Home Office. Positiv sei für viele der Wegfall der Pendelzeiten und die gestiegene Flexibilität, sagt Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes: "Problematisch ist allerdings die Entgrenzung der Arbeit, von der viele Beschäftigte im Home Office berichten."

Es werde länger und häufiger unbezahlt gearbeitet. Von vielen werde zudem erwartet, auch in ihrer Freizeit erreichbar zu sein. Dies habe laut Piel zur Folge, dass die notwendigen Erholungszeiten nicht mehr vollständig eingehalten werden könnten.

Um diese Faktoren abzumildern, fordert der DGB einen "rechtlichen Gestaltungsrahmen" für das mobile Arbeiten. Ziel solcher Regelungen sollte nach Ansicht der Gewerkschaften ein höheres Maß an Selbstbestimmung und ein besserer Schutz der Gesundheit sein. Besonders die Erfassung und Einhaltung der Arbeitszeiten und der Umgang mit der "Nicht-Erreichbarkeit" im Privatleben müsse nach Ansicht des DGB besser geregelt werden.

Dass beim Arbeitsmodell Home Office noch viel ausgehandelt werden muss, sieht auch Johanna Garnitz vom ifo-Institut so. Ob es künftig immer mehr Home Office geben werde, sei noch gar nicht ausgemacht. Vielmehr, so die Wirtschaftswissenschaftlerin, werde sich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erst noch "ein neues Gleichgewicht finden müssen."

Zu den Personen:
Johanna Garnitz, Fachreferentin am ifo Zentrum für Makroökonomik und Befragungen am ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München
Dr. Mathias Dolls, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen, Leiter des Aufgabenschwerpunkts Ungleichheit und Umverteilung am ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München
Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund GDB
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