Umweltverbände wettern, die Konzerne mosern – dabei hat der ausgehandelte Atom-Deal einen klaren Gewinner: die Atomwirtschaft. Das Risiko bleibt beim Steuerzahler, und das könnte richtig teuer werden.
Angela Merkel hatte sich festgelegt: Für den Ausstieg aus der Atomenergie sollten die Konzerne zahlen. "Risiken auf Staat und Steuerzahler abzuwälzen, lehne ich ab", sagte die Bundeskanzlerin im Mai 2014 in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Nicht ganz zwei Jahre später steht der Kompromissvorschlag der Atomkommission. Und auch wenn die Atomkonzerne kräftig zur Kasse gebeten werden: Das Restrisiko verbleibt bei Staat und Steuerzahler.
RWE, Eon, EnBW und Vattenfall müssen die gesamten Kosten für den Rückbau der Kernkraftwerke übernehmen und sich mit 23 Milliarden Euro an den Kosten für einen Fonds beteiligen, der die Entsorgung des Atommülls abwickeln soll.
In der Summe enthalten ist ein Risikoaufschlag von sechs Milliarden Euro. Diesen zusätzlichen Betrag zahlen die Konzerne dafür, dass es für sie nicht mehr teurer wird. Kostet die Zwischen- und Endlagerung mehr als geplant, geht die Rechnung an den Staat.
"Im Ergebnis haben sich die Unternehmen damit freigekauft", sagt Swantje Fiedler. Die Leiterin der Abteilung Energiepolitik beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) gehörte zu den Experten, die von der Atomkommission angehört wurden. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigt sie sich enttäuscht. "Es wurde die Chance verpasst, eine gerechtere Lösung zu finden."
Eine schwierige Kalkulation
Der entscheidende Punkt: Die Kosten für den Rückbau der Kernkraftwerke sind relativ solide kalkulierbar. Sie werden bei rund 20 Milliarden Euro liegen, diese Summe haben die Konzerne bereits in den Bilanzen zurückgestellt.
Die Entsorgung des Atommülls jedoch birgt zahlreiche Unwägbarkeiten: Bei Großprojekten steigen die Kosten ohnehin fast immer, außerdem existieren im Nuklearsektor schlicht kaum Erfahrungswerte - ganz abgesehen davon, dass auch noch kein Endlager existiert und die Frage der Endlagerung ohnehin erst 2050 aktuell wird.
Bis dahin soll der Fonds seinen Wert so steigern, dass die Inflation und die weiteren Kostensteigerungen aufgefangen werden können, was bei der derzeitigen Zinsentwicklung mehr als fraglich ist.
In einer Stellungnahme kamen Wirtschaftsprüfer zum Ergebnis, dass die Gesamtkosten bis 2099 rund 170 Milliarden Euro betragen könnten.
Das würde bedeuten, dass in realistischen Szenarien schon jetzt 32 bis 69 Milliarden Euro zurückgestellt werden müssten – bislang sind es rund 39 Milliarden. Es droht also eine drastische Unterfinanzierung des Fonds für die Entsorgung. Entsteht eine Lücke, müsste der Steuerzahler einspringen.
"Es wurde offenbar nicht diskutiert, ob und wie eine Nachschusspflicht für die Unternehmen eingebaut werden könnte", sagt Swantje Fiedler. "Das müsste ja nicht für alle Ewigkeit sein, und man könnte auch Grenzen definieren."
Fiedler verweist auf die Schweiz. Dort werden die erwarteten Kosten für die Entsorgung alle fünf Jahre neu berechnet, und die Zahlungen der Konzerne entsprechend angepasst. Interessanterweise sind auch die Unternehmen unzufrieden mit dem Vorschlag der Kommission. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es, der Betrag überschreite ihre Belastungsgrenze.
Energiewende verschlafen
Alle vier Firmen haben die Energiewende verschlafen und liefern seit Jahren schlechte Zahlen. Eine RWE-Sprecherin sagte, der Konzern müsse nun um seine Kreditwürdigkeit bangen. Das Unternehmen drücken 25 Milliarden Euro Schulden, eine Abwertung würde die Essener weiter belasten.
An der Börse allerdings wurde der Vorschlag der Kommission mit Erleichterung registriert: Die Aktien der Anbieter legten nach der Verkündung am Mittwoch zunächst zu, bei RWE sogar um gut sieben Prozent.
Analysten erklärten den Aufschwung mit der Planungssicherheit, die der Deal den Unternehmen gibt. Genau das war eines der Ziele, wie Kommissionspräsident Jürgen Trittin gestern betonte. Schon am Donnerstag war die Euphorie an den Märkten allerdings verflogen, der Aktienwert von RWE sank wieder leicht.
Die missliche Lage der Energieversorger war eines der größten Argumente für den Atomkompromiss: Wenn das Geld erst einmal im Fonds liegt, gibt es keine bösen Überraschungen mehr, selbst wenn ein Konzern pleitegehen und gar nichts mehr zahlen könnte. Auch das war ein realistisches Szenario, das über den Verhandlungen schwebte.
"Man könnte sagen, die Kommission hat sich für den Spatz in der Hand entschieden", sagt Swantje Fiedler vom FÖS. Um welchen Preis, das wird sich vielleicht erst in sehr ferner Zukunft zeigen.
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