In Madagaskar ist die Situation im Bildungsbereich prekär: viele Kinder brechen die Schule ab, es fehlt an Lehrpersonal und viele Familien haben nicht genügend Geld für den Schulbesuch ihrer Kinder. Auf unserer Projektreise in den Süden des Landes, sprechen wir mit Familien, Kindern und Lehrpersonal, um uns einen Überblick über die Lage zu verschaffen.
Einige von uns denken mit Sicherheit gern an die eigene Schulzeit zurück: immer mit den Freundinnen und Freunden zusammen sein, Neues lernen und sich für eine verheißungsvolle Zukunft vorbereiten. Doch für viele Kinder in Madagaskar ist die Schulzeit nur ein kurzer Moment. Ein Großteil muss die Schule vorzeitig abbrechen oder hat keine Möglichkeit überhaupt jemals eine Schule zu besuchen. 44 Prozent der Kinder in Madagaskar beenden nicht einmal die Grundschule.
Großer Mangel an Lehrpersonal
Auf unserer Reise durch den Süden Madagaskars sehen wir viele Schulgebäude, oftmals sind es bunte Häuser, vor denen aufgeregte Kinder stehen. Ein großes Problem in Madagaskar ist jedoch der Mangel an ausgebildetem Lehrpersonal. Nur rund 20 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer ist adäquat ausgebildet. In Madagaskar sind mehr als 62 Prozent des Lehrpersonals sogenannte Freiwillige, die nicht vom Staat, sondern von der Gemeinschaft, also den Eltern, bezahlt werden. Auf einen Lehrer kommen im Schnitt 61 Schülerinnen und Schüler. In Deutschland ist ein Lehrer oder eine Lehrerin für 15 Schülerinnen und Schüler zuständig.
In Fort Dauphin, einer kleinen Stadt direkt am Meer, besuchen wir eine weiterführende Schule. Hier erzählt uns das Lehrpersonal, wie sie versuchen, gemeinsam mit der Initiative von UNICEF, das Interesse der Kinder für naturwissenschaftliche Fächer zu wecken. Insgesamt lehren sieben von ihnen Naturwissenschaften. Einer von ihnen, Lambo Faralahy, erzählt uns, dass er in seiner Klasse signifikante Unterschiede erkennen kann: Es gäbe ein immer größeres Interesse an Mathematik und Physik. Wieso? „Weil wir praktische Beispiele nutzen.“ Er ließe die Kinder ausgestattet mit Maßen und Kartons Zylinder und Pyramiden bauen, um ihnen Formen und Zusammenhänge zu erklären. Dieser praktische Unterricht motiviere viele von ihnen und helfe zudem, vieles besser zu verstehen.
Vorbereitung auf die große Prüfung
Wir werden in einen Computerraum geführt – der ganze Stolz der Schule. Hier sitzt die Klasse 9, die sich derzeit auf die große staatliche Abschlussprüfung vorbereiten müssen. Nur wenn diese bestanden wird, ist es möglich, mit der Schule weiterzumachen. Mehrere Schülerinnen und Schüler teilen sich einen Computer. Jeanot Randriamanantena, Lehrer und Leiter des Computerraums, erzählt, wie sehr der neue Computerraum die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer unterstützt, da er es ihnen ermöglicht, den Unterricht gemäß dem nationalen Lehrplan auch in ihrer Abwesenheit fortzusetzen. Auch das Wissen der Schüler wird dadurch erweitert. „Wir sind so glücklich, weil es das erste Mal ist, dass wir eine so wunderbare Ausstattung nutzen können“, sagt er.
Die Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse hätten derzeit Vorrang bei der Nutzung der Computer, da es nicht genügend für alle gibt, sie sich aber auf die Prüfungen vorbereiten müssen. „Es gibt Übungsmaterial von der Regierung, damit können sie sich vorbereiten, zum Beispiel durch Probetests. Aber es gibt ihnen auch die Möglichkeit, erste Erfahrungen mit Computern und dem Internet zu machen, zum Beispiel für Recherchen.“
Armut: Ein wiederkehrender Grund
Doch nicht nur der Mangel an Lehrpersonal ist dafür verantwortlich, dass Kinder in Madagaskar oft nicht ausreichend ausgebildet werden können. Die massive Armut in weiten Teilen des Landes ist ein schwerwiegender Faktor, wie für so vieles in Madagaskar. 81 Prozent der Menschen lebt in extremer Armut. Durch diese Armut sind viele Kinder gezwungen, zum Einkommen der Familie beizutragen – weil diese sonst nicht überleben würde. Die Zeit, die sie zum Beispiel beim Verkaufen auf dem Markt oder auf den Feldern verbringen, verlieren sie in der Schule. Auch haben viele Familien kein Geld, um sich die Bücher, Hefte und Schulgebühren zu leisten.
Auch Klima spielt große Rolle
Der Klimawandel wirkt, wie so oft, wie ein Brennglas auf die bereits bestehenden Probleme – Auswirkungen wie immer länger anhaltende Dürren oder wiederkehrende Zyklone verschärfen die Lebenssituation derjenigen, die sich am schlechtesten dagegen wehren können. Bei vielen Menschen, die bereits in Armut leben, führen ausfallende Ernten, zerstörte Häuser zur Bedrohung ihrer Existenz, von der sie sich nur schwer wieder erholen. Denn sie haben nicht die finanzielle Grundlage, um wieder von vorn anzufangen.
Einige verlassen ihr Zuhause, was beispielsweise durch lange Dürren, nicht mehr bewohnbar ist. Bildung hat in solchen Fällen oft keine Priorität für die Eltern, viel wichtiger ist es einen Ort zum Leben und Arbeiten zu finden. Durch eine Flucht erhöht sich in den meisten Fällen das Risiko für die Menschen, in Unsicherheit zu leben. So können sie oft nur an den nächsten Tag denken und wie sie weiter überleben können. An Schule und die Zukunft ihrer Kinder ist da kaum zu denken.
Ohne Bildung keine Zukunft
Dabei ist Bildung ein entscheidender Faktor, um ein Land auch für die Zukunft zu stärken: denn nur gut ausgebildet können die Kinder aus dem Kreislauf der Armut entkommen. Vor allem für Mädchen und junge Frauen ist Bildung entscheidend, denn der Besuch in der Schule kann sie davor schützen, in Kinderehen gedrängt oder schwanger zu werden. Denn wenn sie in der Schule sind, werden sie eher als Kinder und nicht als Frauen angesehen, die verheiratet werden können.
Die Wichtigkeit von Bildung begegnet uns auf unserer Reise immer wieder. In Ankaranabo, einem sogenannten Ecovillage, haben wir Zafia kennengelernt. Der 13-Jährige führt uns zu seinem Zuhause, wo er mit seiner Mutter und Geschwistern lebt. Er zeigt uns, wo er schläft, und erzählt von sich und seinem Leben. Zwei Jahre lang konnte er nicht zur Schule gehen. Seiner Mutter fehlte das Geld für die Materialien und Zafia musste sie bei der Arbeit unterstützen: Er verkauft Kohle und Gemüse auf dem Markt. Außerdem war er zuständig für das Wasserholen zum Bewässern der Felder. Die nächste Wasserquelle war weit entfernt, sodass er mehrere Stunden für seine Aufgaben brauchte. Zeit, die er nicht in der Schule verbringen konnte. Doch eigentlich war genau das, wonach er sich immer zurücksehnte.
Eine Schule gibt es in Anakaranbo seit dem Jahr 2007. Doch für die weiterführende Schule mussten die Jugendlichen 15 Kilometer weit laufen. Seit 2023 ist die Schule in Ankaranabo, auch dank der Unterstützung von UNICEF, für höhere Klassen zugänglich. Zudem wurde die Infrastruktur verbessert, es gibt nun eine Wasserquelle in der Nähe der Schule. Vorher mussten die Kinder für Wasser weit laufen.
Der innovative Ansatz des Ecovillages in Ankaranabo legte einen starken Fokus auf die Schulbildung der Kinder. Immer wieder hören wir: Nur wenn die Kinder eine ausreichende Bildung erfahren, gibt es in der Zukunft Hoffnung. Nicht nur für die Kinder und ihre Familien, sondern für die gesamte Gesellschaft in Madagaskar. Denn je ungebildeter die nächsten Generationen sind, desto schwieriger wird es, sich aus dem Kreislauf der Armut herauszumanövrieren.
Und Zafia?
Inzwischen hat Zafia es geschafft, erzählt er uns mit einem schüchternen Lächeln. Er sitzt auf einer Bank vor seinem Haus, seine Mutter ist immer in der Nähe und betrachtet ihren Sohn stolz. Er hat hart gearbeitet, aber jetzt kann er wieder zur Schule gehen, auch dank UNICEF. Eine Wasserpumpe wurde nur wenige Meter von seinem Haus installiert, sodass er viel weniger Zeit dafür aufwenden muss. Zeit, die er jetzt wieder in der Schule und mit seinen Freunden und Freundinnen beim Lernen verbringen kann.
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