Dresden (dpa) - "Oh, wie schön!" Zwei ältere Damen bleiben erstaunt vor dem historischen Geschäft in der Dresdner Neustadt stehen. Vor dem Laden aus dem 19. Jahrhundert stauen sich Touristenbusse, drinnen ist kaum noch Platz. Die über 100 Jahre alten Räume mit Käsetheke sind ein Besucher-Magnet.
"Der schönste Milchladen der Welt" ist auf dem Schaufenster zu lesen. Wände, Decke und Fußboden des 1891 prachtvoll vom Keramikhersteller Villeroy & Boch ausgestatteten Verkaufsraums der Molkerei Gebrüder Pfund sind mit unzähligen handbemalten Kacheln, Fliesen und Fries aus Porzellan bestückt.
Dutzende von Engeln und Putten, spielende kleine Kinder, Ranken und Blumen, Hirten und allerlei Getier erzählen von einem Land, in dem Milch und Honig fließen. Jedes Bild steht für ein Kapitel aus der Geschichte der Milch und des Unternehmens, das ein Landwirt aus dem Dorf Reinholdshain begründete, erklärt Ladenleiterin Ina Stephan. Früchte, weidende Kühe, ein Kaiserbildnis und sogar Flaggen und Wappen leuchten von Wänden und Stuckdecken. "Es gibt immer wieder Neues zu entdecken." Hasen und Eichhörnchen, Täubchen und Kätzchen, bunte Bänder, gläserne Messzylinder und Milchkannen.
Fabrikantensohn Paul Gustav Leander Pfund kam 1879 mit sechs Kühen nach Dresden, um die hygienisch untragbare Milchversorgung der Stadt bei rasch wachsender Bevölkerung umzugestalten. Mit Eintritt seines Bruders in die 1880 gegründete Dresdner Molkerei Pfund GmbH expandierte das Geschäft, Pfund entwickelte moderne Verarbeitungsmaschinen und es gelang ihm, "Condensirte Milch" herzustellen. 1886 gründete er die erste Kondensmilchfabrik in Deutschland, der Export blühte, neue Produkte wie Milchseife und Molkenlimonade entstanden.
Die Pfundsche Molkerei war ein gut florierendes Unternehmen - mit mehreren Filialen, eigener Krankenkasse, Dienstwohnungen, Bad und Kindergarten. Nach dem Tod des Gründers 1923 wurde die Firma von den Nachkommen weitergeführt. Wie durch ein Wunder gab es keine Kriegsschäden. "Die vielen Engel im Laden haben uns beschützt", sagt Frank Zabel, Geschäftsführer der heutigen Pfunds Molkerei. Auch den Sozialismus überstand das 1972 verstaatlichte Geschäft. Die geplante Zerstörung des historischen Wandschmucks zugunsten von Plastikpaneelen konnte verhindert werden.
Dabei wäre der Laden schon in den 1950er Jahren fast verschwunden. "Offiziere der Alliierten wollten ihn demontieren und nach Amerika verschiffen", erinnert sich Gründer-Urenkel Paul Pfund. Später wollte die staatliche Handelsorganisation aus dem Schmuckstück einen modernen sozialistischen Selbstbedienungsladen machen, erzählt der 76-Jährige, der in der Nähe wohnt und zuweilen vorbeischaut. Den Abriss der Porzellanpracht konnten Denkmalpfleger und Kunsthistoriker vereiteln, den reich verzierten Majolikabrunnen aber nicht retten.
Mit der Wende war dann zunächst Schluss, das Geschäft fiel in Dornröschenschlaf. Erst nach Rückübertragung an die Alteigentümer und der erneuten Gründung der Dresdner Molkerei Gebrüder Pfund GmbH erstrahlte der Laden langsam wieder im alten Glanz. Die meisten Fliesen konnten restauriert, fünf Prozent aber mussten mit Hilfe des Herstellers erneuert werden. 1995 eröffnete der Laden wieder, zu Hochzeiten kommen 1500 bis 2000 Besucher pro Tag. "Sie tauchen ein in eine andere Welt und lassen sich verzaubern", sagt Pfunds-Chef Zabel.
An der etwa vier Meter langen Käsetheke werden wie anno dunnemals Käse und Milch verkauft. Die Ware wird aus den originalen riesigen Eisschränken geholt, die einst mit gefrorenen Stangen bestückt wurden. Inzwischen laufen hinter den Türen allerdings moderne Kühlgeräte. Auch Kühe werden nicht mehr vor den Augen der Kunden gemolken, dafür sprudelt der Milchbrunnen wieder, originalgetreu nachgebildet, schildert Ladenchefin Stephan. Wegen der Hygiene umfließt die Schildkröten im Becken jedoch nur Wasser. © dpa
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.