Von Familienmitgliedern bis hin zu Fremden auf der Straße: Viele Mütter machen die Erfahrung, dass ihnen die unterschiedlichsten Menschen ungebetenen Rat zum Umgang mit ihren Kindern geben. Oft kommt die Kritik von anderen Müttern. Warum neigen manche Mütter zur Besserwisserei gegenüber anderen?

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Es können subtile Hinweise sein, aber auch persönliche Angriffe, mit denen manche Mütter ihren eigenen Erziehungsstil zum allein richtigen erklären und andere kritisieren. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt die Hamburger Diplom-Psychologin Christine Geschke, welche Mechanismen hinter diesem Verhalten stecken.

Frau Geschke, warum ist die Kindeserziehung ein so emotionales Streitthema?

Christine Geschke: Es gibt keinen deklariert richtigen Erziehungsstil mehr, so wie es früher war. Heute erfahren Kinder sehr viel Aufmerksamkeit, Eltern stehen im Zugzwang, ihre Kinder möglichst nach ihren Fähigkeiten und Anlagen zu fördern. Das heißt, sie stehen unter einem enormen Erwartungsdruck.

Das setzt Mütter natürlich unter Stress, weil sie auch kein vorherrschendes Modell haben, an dem sie sich orientieren könnten. Stattdessen gibt es verschiedene Ansätze, die alle etwas für sich haben, aber manches spricht eben auch dagegen.

Ein Beispiel: Gezielt bestimmte Fähigkeiten zu fördern, hat einerseits den Vorteil, dass die Kinder Kompetenzen erwerben und sich später durchsetzen können, weil sie etwas besser können als andere. Auf der anderen Seite läuft man Gefahr, die Kinder zu überfordern und in ihrem freien Spiel einzuschränken. Das kann später zum Burn-out führen.

Müssten Mütter dann nicht Verständnis füreinander haben? Was bringt manche Mütter dazu, zusätzlichen Druck auf andere auszuüben, indem sie deren Erziehungsstil kritisieren?

Durch die Ungewissheit entsteht bei Müttern eine kognitive Dissonanz. Man weiß nicht so recht: Soll man die Kinder eher so oder anders erziehen?

Das erzeugt ein inneres Dilemma, einen Zustand, in dem man sich sehr unwohl fühlt. Fördert man seine Kinder oder lässt man ihnen mehr Freiraum? Das ist nicht so eindeutig zu beantworten. Deshalb erzeugt das eine schwer auszuhaltende innere Spannung.

Man muss aber eine Entscheidung treffen. Und die muss man auch vor sich selbst rechtfertigen. Die Entscheidung muss also entsprechend gefüttert werden, damit diese unangenehme innere Unsicherheit nicht wieder auftaucht. Das kann sich so äußern, dass man eine Meinung so stark vertritt, dass man alles, was anders ist, ablehnt und kritisiert. Um den inneren Spannungszustand loszuwerden, erhöht man die eine Seite und entwertet die andere.

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Was rät man Frauen, die dazu neigen, andere Meinungen herabzusetzen, wie kann man besser mit der eigenen inneren Spannung umgehen?

Es ist wichtig, dass man sich selbst ehrlich beobachtet und versteht. Warum kritisiert man andere?

Eigentlich ist es ja menschlich nachvollziehbar, wenn man weiß, dass es an der eigenen Unsicherheit liegt. Man möchte das Beste für sein Kind, aber man weiß nicht, wie das geht.

Dann sollte man anders an die Frage herangehen, wie man für das Wohl des Kindes sorgen kann. Man kann mit einem liebevollen Blick auf das eigene Kind schauen: Fühlt es sich wohl, ist es ein fröhliches Kind, das Spaß am Leben hat?

Man muss auch einsehen, dass es keine perfekten Mütter gibt. Es gibt Mütter, die auf ihre Art gut sind. Wenn man sich fragt: "Bin ich die ideale Mutter?", dann muss die Antwort wahrscheinlich Nein lauten.

Und so entsteht eine Negativdifferenz zwischen dem Ideal und dem eigenen Erziehungsstil. Und das macht immer unzufrieden und verunsichert. Wenn man stattdessen sagt: "Ich bin eine gute Mutter, so wie ich es hinbekomme. Ich gebe mir Mühe und damit ist es gut für mich." Wenn das das Ziel ist, dann entspannt sich die Situation. Dann werden auch eigene und die Fehler anderer eher verziehen.

"Nicht immer in den Kampf gehen"

Und was raten Sie auf der anderen Seite Müttern, die immer wieder mit Kritik konfrontiert sind?

Ich bin grundsätzlich dafür, Fragen zu stellen. Nicht in den Kampf zu gehen, sondern den Leuten vielleicht den Wind aus den Segeln zu nehmen und zu sagen: "Ja, vielleicht gelingt mir nicht immer alles. Gelingt Ihnen immer alles gut?" Das wäre in einer unmittelbaren Situation eine Möglichkeit, damit umzugehen.

Ansonsten hilft es, wenn man versucht, zu verstehen, warum das die eigene Mutter oder die Freundin oder die Schwester immer wieder tut. Im besten Fall meint sie es gut.

Die Großelterngeneration sieht ja oft bei ihren Kindern, die selbst Eltern geworden sind, die Schwierigkeiten. Sie sehen, wie Eltern heute im Zugzwang stehen, alles richtig machen zu müssen. Und vielleicht wollen sie ihnen ja auch ein bisschen die Last nehmen, indem sie sagen: "Mensch, sei doch mal ein bisschen lockerer, es hat euch ja auch nicht geschadet."

Statt in den Verteidigungsmodus zu gehen und sich zu wehren, sodass am Ende zwei Standpunkte in Konfrontation miteinander gehen, kann man auch offen darüber sprechen und zugestehen: "Es verletzt mich. Ich fühle mich kritisiert. Was möchtest du mir damit sagen?"

Über die Expertin: Christine Geschke ist Diplom-Psychologin mit eigener Praxis in Hamburg.
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