Der Verein "Hand aufs Herz" kümmert sich um misshandelte, vernachlässigte und kranke Pferde. Das Besondere: Jedes Pferd bekommt die Zeit, die es braucht. pferde.de sprach mit Vereinsgründerin Heike Warthold über Vertrauen, das wieder wachsen kann, Lehrmeister auf vier Hufen und das Glück, das in kleinen Momenten liegt…
Verliebt in Pferde? War Heike Warthold schon als Kind. "Ich konnte bereits damals an keinem Pferd vorbeigehen. Und war überglücklich, als ich meinen Eltern endlich Reitstunden aus dem Kreuz leiern konnte", erzählt sie lachend. Da war sie zehn Jahre alt. "Und mir war sofort klar: Ich will mein eigenes Pferd!"
Darauf musste sie aber noch ein paar Jahre warten. "Mein Vater hat gesagt: Ich kaufe Dir ein Pferd, aber den Unterhalt musst Du selbst bezahlen können. Damit meine er, wenn ich eine Lehre mache." Und er hielt sein Versprechen: "Kaum hatte ich meinen Lehrvertrag unterschrieben, kaufte er mir ein Pferd." Warthold muss bei der Erinnerung lachen: "Es war nur schön, ansonsten ein absoluter Fehlkauf. Schon nach wenigen Tagen hat er meinen Vater getreten und ihm dabei zwei Rippen gebrochen."
Das änderte aber nichts an ihrer Liebe zu Pferden. "Ich machte klassische Dressurarbeit, ritt Vielseitigkeit, kam dann zur Westernreiterei", erzählt sie. Und schließlich zu ihrem ersten spanischen Pferd. "Da war es endgültig um mich geschehen. Ich habe mich total in diese Rasse verliebt." Schon da hatte sie ein Herz für schwierige Pferde. Doch sie ahnte nicht, dass genau diese Pferde einmal ihre Lebensaufgabe werden würden…
India, die spanische Stute mit gebrochenem Schädel
Alles fing vor sieben Jahren mit der Andalusier-Stute Lavanda an: "Sie kam von einer tollen Tierschützerin, die sie aus Spanien gerettet hatte. Dort lebte Lavanda in einer großen Herde. Ihre Besitzer hatten kein Geld mehr, konnten die Pferde nicht mehr versorgen. Die Tierschützerin rettete so viele Pferde wie möglich, päppelte sie auf." Die meisten Pferde konnte sie vermitteln, doch Lavanda blieb zurück. "Sie ließ sich zuerst überhaupt nicht anfassen. Irgendwann fragte die Tierschützerin mich, ob ich ihr nicht helfen könnte."
Warthold nahm Lavanda zu sich. "Sie brauchte ihre Zeit, aber dann taute sie auf und wurde richtig verschmust." Ein Erfolg, der sich schnell rumsprach. Kurz darauf kam India zu ihr, eine pechschwarze Andalusier-Stute. "Auch sie wurde aus Spanien gerettet, hatte einen gebrochenen Schädel. Vermutlich wurde sie mit einer Serreta eingeritten", so Warthold. Als sie bei ihr ankam, hatte die bildschöne Stute kein Vertrauen zu Menschen. "Wenn ich ihr das Futter brachte, wollte sie mich angreifen. Sie war richtig gefährlich. In der ersten Woche habe ich bei ihr gedacht: ‚Oh Gott, was habe ich da nur gemacht?'"
Kurzer Spaziergang? Ein emotionaler Marathon
Mit viel Geduld kam sie Stück für Stück an India heran. Dabei schenkte ihr die Stute nichts. "Bei jedem neuen Schritt, den wir gingen, tauchten neue Probleme auf. Beim Schmied hat sie zu Beispiel erst ausgeschlagen. Dann ließ sie das, hat sich dafür hingeschmissen. Es dauerte, bis sie uns vertraute."
Ein weiteres Problem: Jeder kurze Spaziergang mit ihr wurde zum emotionalen Marathonlauf: "Sie stand eigentlich nur auf ihren Hinterbeinen, kam nur kurz auf die Vorderbeine, damit sie nach hinten auskeilen konnte. Nach 700 Metern mit ihr war ich vollkommen durchgeschwitzt und fertig."
Der Lohn? Momente voller Glück
Im Umgang wurde India immer lieber, doch das Steigen blieb. "Ich wusste irgendwann nicht mehr, was ich machen sollte. Es war nicht nur anstrengend, sondern auch gefährlich", erinnert sich Warthold. Schließlich kam sie auf eine Idee: Warum das Steigen nicht mit einem Kommando verbinden und so India "umerziehen"? "Ehrlich, das war eigentlich eine verrückte Idee. Ich habe die schlimmste Eigenart plötzlich belohnt. Aber ich hatte Glück, es funktionierte." Tatsächlich lernte India schnell, dass nun ein Kommando zum Steigen gehörte. "Als sie dann ohne Kommando stieg, habe ich mich einfach umgedreht und bin weggegangen. Sie kam direkt hinter mir her, aber ich habe sie ignoriert. Danach ist sie nie wieder ohne Kommando gestiegen."
Das nächste Problem kam beim Anreiten. "An ihrem ganzen Verhalten merkte ich: Das kennt sie – und will sie nicht." Auch hier half nur eins: Viel Geduld – und immer wieder auf Signale von India achten. "Heute kann ich aufsteigen, nur beim Absteigen haben wir noch Probleme", sagt Warthold lachend. "Aber das kriegen wir auch noch hin." Den India schenkt ihr auch Momente, die voller Glück sind. "Am Anfang ließ sie sich überhaupt nicht an den Ohren anfassen. Ich bin da drangeblieben und irgendwann durfte ich sie dort berühren. Und dann kam der Moment, wo sie mir ihr Ohr angeboten hat nach dem Motto ‚kannst du mal gucken, da ist was‘. Da hatte ich Gänsehaut, so schön war das!"
Die Pferde tragen Narben auf ihren Seelen
Heute sagt Warthold, dass India für sie eine Lehrmeisterin auf vier Hufen ist. "Ich habe so viel von ihr gelernt. Natürlich Geduld, aber auch, Dinge nicht persönlich zu nehmen und mit Enttäuschungen umzugehen. Wenn es einen Schritt vorwärts und dann zwei zurückgeht – dann ist es so. Sie hat mir beigebracht, im Hier und Jetzt zu leben. Gestern ist vergangen, morgen ist noch nicht da. Nur der Moment zählt. Wenn der super läuft – klasse! Und wenn nicht, dann versuchen wir es morgen eben noch einmal."
Seit vier Jahren ist India bei ihr – "und sie wird wohl auch noch ein wenig bleiben", so Warthold. Dabei hatte der Verein "Hand aufs Herz" schon einige Anfragen für die schöne Stute. "Aber wir suchen nicht schnell ein neues Zuhause, wir suchen nach dem Menschen, der sich in das Pferd wirklich verliebt. Und dann auch Zeit auf sich nimmt, um es wirklich kennenzulernen." Eine Einstellung, die "uns manchmal das Genick bricht, weil die Interessenten das nicht verstehen oder zu weit weg leben. Aber wir wissen, welche Narben unsere Pferde auf ihren Seelen haben. Und dass es mit ihnen immer wieder Tage geben wird, an denen nichts läuft. Das sollen die Interessenten nicht nur hören, sondern auch erleben!"
"Hand aufs Herz": Kleiner Verein mit großartigem Team
Warthold weiß, dass der Verein nicht die ganze Welt retten kann. "Wir können auch nicht tausend Pferden helfen. Aber die, die wir vermitteln, bekommen das für sie bestmögliche neue Zuhause kommen – für immer!" Bis es so weit ist, vergeht im Schnitt ein Jahr. Ist ein möglicher neuer Besitzer gefunden, beginnt die Testphase. "Wir gucken uns auch genau an, wie die Menschen mit den Pferden umgehen. Und greifen schon ein, wenn jemand am Halfter ruckt." Beim Verein lernen die Interessenten Horsemanship. "Das heißt, eine klare Sprache für die Pferde – und ein berechenbares Verhalten." Zur Arbeit gehört viel Lob. "Unerwünschtes Verhalten wird, wenn möglich, einfach ignoriert. Die Strafe ist also die Abwesenheit von Lob."
Für ihre Pferde hat Warthold vor fünf Jahren einen Stall gepachtet, Paddockboxen gebaut. "So können unsere Pferde immer raus, haben aber auch die Möglichkeit, sich zurückzuziehen." Vor einem Jahr gründete sie mit ihren Helfern den Verein "Hand aufs Herz". "Wir sind ein kleiner, gemeinnütziger Verein", sagt Warthold. Dabei hat sie ein ganz tolles Team hinter sich. "Ohne sie würden das nicht funktionieren. Sie helfen ehrenamtlich und sind immer für den Verein und die Pferde da."
Ein Team werden? Das braucht Zeit
Das Zusammenwachsen dauert, das weiß Warthold. Wie bei Manni. "Er kam mit einer strangulierten Zunge zu uns", so Warthold. Ihre Befürchtung: "Er will vorwärts und hatte wohl zu viel Go. Da wurde er dann anscheinend mit einer Fahrradkette geritten…" Die Folge: "Er hat gebissen, ließ sich nicht führen, nicht longieren." Mit viel Vertrauensarbeit wurde er zu einem richtigen Verlasspferd.
"Dann kam Jenni zu Besuch, sah ihn und hat sich direkt verliebt. Sechs Monate kam sie jeden Tag und hat gelernt, was mit ihm geht – und was nicht." Danach kam er zu ihr. "Zwei Monate lief es gut, dann ging nichts mehr. Also kam sie mit ihm wieder zu uns. Ich habe zu ihr gesagt, dass ich ihn auch wieder zurücknehme. Aber das wollte Jenni nicht. ‚Ich gehe da mit ihm durch‘, war ihre Antwort. Nach zwei Monaten lief es wieder – und seitdem sind die beiden ein tolles Team!"
Aktuell sind fünf Pferde beim Verein. Neben India ist da noch Pisquito, ebenfalls ein PRE (Pura Raza Española, also Reine Spanische Rasse). "Er hat einen Chip im Bein, für die Züchter war er deshalb nichts mehr wert." Auch Kai-Uwe kam als Problempferd. "Er kannte keine Distanz, rempelte jeden Menschen einfach an. Heute ist er total lieb. Und er hat ein schlimmes Sommerekzem, braucht jeden Tag mehrmals Pflege."
Michel: Mit Kindern ein Schatz auf vier Hufen
Und dann hat der Verein noch Kalle und Michel, zwei bulgarische Forst-Ponys. "Sie wurden für sehr schwere Holzarbeiten eingesetzt. Als sie bei uns vom Laster kamen, habe ich geheult. Sowas hatte ich noch nicht gesehen." Kalle, der Schimmel, war nicht nur abgemagert. "Ihm wurden auch die Zähne ausgeschlagen und am Körper hat er überall Narben." Für ihn werde sie kein neues Zuhause suchen. "Er ist schon weit über 20 und hat immer noch seine Tage, da holt ihn seine Vergangenheit an."
Für seinen Kumpel Michel sucht der Verein dagegen ein neues Zuhause. "Er war zuerst so mager, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass er mal wie ein gesundes Pony aussehen könnte." Der zehnjährige Wallach hat sich zu einem echten Verlasspony entwickelt. "Er liebt Working Equitation und ist da eine richtige ‚Rampensau‘. Er denkt mit und macht immer alles richtig."
Was sie an ihm besonders liebt. "Er lobt sich selbst. Wenn er etwas gut gemacht hat, dann brummelt er immer ‚hohoho‘." Auch mit Kindern ist er ein Schatz auf vier Hufen. "Wir haben Kindergruppen bei uns. Sie lernen nicht Reiten, sondern den Umgang mit Pferden und der Natur. Mit ihnen gehen wir manchmal Schwimmen und dann kommt Michel mit."
Finanziell lebt der gemeinnützige Verein "Hand aufs Herz" von Spenden. Die neueste Idee: eine Patenbox. "Die ist auch ein tolles Geschenk, das gleichzeitig unseren Pferden hilft." Denn das ist das, was für den Verein zählt: Pferden ein neues Leben schenken… © Pferde.de
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