Seit Monaten haben viele Menschen aufgrund von Homeoffice und Kurzarbeit viel freie Zeit dazu gewonnen. Die Folge ist ein "historisch niedriger" Tierbestand im Tierheim München. Judith Brettmeister, Mitarbeiterin und Zuständige für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, gibt Einblicke aus erster Hand.

Ein Interview

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Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf Tierheime und welche Entwicklungen gab es in den letzten Monaten?

Judith Brettmeister: Wir hatten eigentlich einen Anstieg der Abgaben von Haustieren bei uns befürchtet. Denn wenn eine große Pandemie ausbricht und viele Leute ins Krankenhaus müssen, kann es gut sein, dass sie niemanden haben, der sich derweil um ihre Vierbeiner kümmern kann, und sie sie deswegen weggeben müssen. Wir hatten sogar schon extra Boxen vorbereitet, um die Tiere aufzunehmen, aber das ist glücklicherweise ausgeblieben. Es gab nämlich genau den gegenteiligen Effekt.

Es gab also überraschend viele Menschen, die sich dazu entschlossen haben, ein Haustier zu adoptieren?

Ja, das kann man so sagen. Die Leute hatten wohl durch die neu gewonnene Zeit einen Anreiz, sich ein Tier in ihr Leben zu holen. Im Moment haben wir einen historisch niedrigen Tierbestand. So etwas habe ich noch nie erlebt, seit ich hier arbeite. Wir haben sonst immer so um die tausend Haustiere da, jetzt sind wir bei ungefähr 350. Wir hatten zuvor eine ewige Warteliste für Hunde, die aus persönlichen Gründen abgegeben werden mussten und für die wir einfach keine Plätze frei hatten. Diese Liste ist jetzt abgearbeitet, wir haben sogar wieder Plätze frei.

Auffällig ist aber auch die ungewöhnlich hohe Anzahl an Wildtieren, die wir aktuell bei uns haben. Das liegt daran, dass die Leute viel Zeit hatten und sich viel draußen aufgehalten und bewegt haben. Dadurch haben sie viele verletzte Vögel, Füchse, teilweise auch Rehkitze und ähnliches gefunden und sie dann zu uns, als größte Wildtier-Station Bayerns, gebracht.

Tiere aus dem Tierheim zu Corona-Zeiten? So läuft es ab

Wie genau laufen die Tiervermittlungen denn unter Corona-Bedingungen ab?

Wir mussten das Tierheim leider für die Öffentlichkeit schließen. Die Tierpfleger könnten sich anstecken und dann würde hier alles zusammenbrechen. Das wäre die Katastrophe schlechthin, weil wir niemanden hätten, der die Tiere versorgen kann.

Die Leute haben aber auf unserer Homepage die Möglichkeit, unsere Tiere anzusehen und bei Interesse bei der entsprechenden Abteilung anzurufen. Unsere Tierpfleger klopfen die Interessenten dann auf Herz und Nieren ab: Ist diese Person wirklich für dieses Tier geeignet und umgekehrt? Da wird natürlich Menschenkenntnis verlangt und auch ein hoher Vertrauensbonus von unserer Seite, weil wir ja nichts angucken und überprüfen können.

Wenn die Person dann bestimmte Auflagen erfüllt, gibt es auch grünes Licht für die Vermittlung. Bei einem Hund etwa sollte der Betreffende nie länger als vier Stunden außer Haus sein, also am besten entweder einem Halbtagsjob nachgehen oder fest im Homeoffice arbeiten. Aber auch bei Katzen müssen auf einige Dinge geachtet werden, zum Beispiel einen Balkon mit sicherndem Netz. Nach telefonischer Absprache kann das Tier dann hier abgeholt werden.

Das lief in den letzten Monaten sogar sehr gut, denn wenn jemand viel zu Hause ist, dann kann er ein Tier auch besser eingewöhnen. Es gibt keine große Hektik und die Person ist rund um die Uhr für das Tier da und kann sich gut darum kümmern. Insofern hat sich Corona gerade bezüglich der Hundevermittlungen als sehr günstig erwiesen.

Was gibt es denn für andere Möglichkeiten, das Tierheim zu unterstützen, außer ein Tier zu adoptieren?

Ganz knallhart: mit Spenden. Immer Spenden, weil wir müssen ja langfristig denken. Im Moment steht das Tierheim finanziell relativ gut da. Aber wenn ein wirtschaftlicher Einbruch kommt, dann erwischt es uns als allererstes. Da müssen wir jetzt schon vorsorgen, damit die Tiere weiter mit Futter versorgt werden können und die Tierpfleger ihr Gehalt bekommen. Mit den Pflegern steht und fällt das Ganze. Wir haben zirka hundert Leute beschäftigt, das ist schon ein kleineres Unternehmen, was wir hier betreiben.

Wir haben auch ganz viele Anfragen bekommen von Leuten, die unbedingt anfangen wollten, ehrenamtlich zu helfen. Das ging allerdings nicht, weil zum Beispiel für das Gassigehen vorherige Kurse nötig sind, die alle nicht stattfinden konnten. Also konnten wir nur auf die langjährigen Gassigeher, die schon Erfahrung haben, zurückgreifen. Die kamen dann mit ihrer eigenen Leine und konnten teilweise den Hund auch selber rausholen und wieder reinsetzen, sodass es da gar keine Berührungspunkte gab.

Illegaler Welpenhandel boomt seit Lockerungen

Aktuell kehren wir ja langsam wieder zur Normalität zurück. Welche Folgen bringen die Lockerungen der Corona-Maßnahmen für das Tierheim?

Wir werden das Tierheim am 1. August wieder öffnen, sodass dann auch wieder Futter- und Sachspenden für unseren Flohmarkt in unser kleines Spendenhäuschen gelegt werden können.

Allerdings bringen die Lockerungen auch einen Nachteil mit sich: Seit einer Woche boomt der illegale Welpenhandel wieder. Es ist wirklich unfassbar. Kaum öffnen sich die Grenzen, schon ist der erste Welpe da. Wir haben in der letzten Woche sieben Welpen reinbekommen, teilweise von Händlern, teilweise von den Leuten, die die Hunde gekauft haben und ganz ahnungslos zum Tierarzt gegangen sind.

Das große Problem beim Welpenhandel ist, dass die meisten Welpen viel zu jung aus dem europäischen Ausland hergebracht werden und davor noch keine schützende Tollwut-Impfung erhalten können. So kann die Krankheit, die in jedem Fall tödlich ist, hier nach Deutschland verschleppt werden und sich verbreiten. Aktuell gibt es hierzulande zum Glück keine Fälle, aber das soll natürlich auch so bleiben. Darum sollte man beim Hundekauf dringend auf eine seriöse Herkunft achten, oder sich einfach gleich in einem Tierheim umsehen.

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