Ihr Leben ist hart: Tagsüber tragen die Pferde in Südindien Touristen durch die Berglandschaft. Nachts sind sie sich selbst überlassen. Doch Tierschützer bringen Hilfe für die Streunerpferde.

Mehr zum Thema Haustiere

Das Pferd atmet schwer. Immer wieder legt es sich hin und schwenkt seinen Kopf Richtung Magen. Ein tierärztliches Team sieht es – und handelt sofort. Das Pferd wird operiert. Dabei holen die Retter verklumpten Plastikmüll aus dem Bauch. Es war Rettung in letzter Sekunde. Beghar, wie sie das Pferd nennen, überlebt. Der Name bedeutet übersetzt "heimatlos". Denn Beghar ist ein Streunerpferd.

Sein Schicksal ist trauriger Alltag vieler streunender Pferde im Süden Indiens. Dort haben die Pferde schon immer ein hartes Leben geführt. Einst als Rennpferde bejubelt, werden sie im Süden Indiens oft als Reitpferde für Touristen eingesetzt. "Ähnlich wie ihre Besitzer arbeiten sie oft viele Stunden unter schwierigen Bedingungen, um sich um ihre Familien zu kümmern, die Tag für Tag auf sie angewiesen sind", so die Tierschützer von "Worldwide Veterinary Service" (WVS). Für die Pferde gab es ein bisschen Futter – aber keine tierärztliche Versorgung, weil viele Besitzer keinen Zugang dazu haben oder sie sich einfach nicht leisten können.

Futter? Finden Pferde in Essensresten…

Deshalb haben die "WVS"-Tierschützer vor rund zehn Jahren die erste mobile medizinische Hilfe für Pferde in dem Bergdorf Ooty und Umgebung ins Leben gerufen. Tierärzte kümmerten sich um die verletzten Pferde, behandelten die Hufe, sprachen mit den Besitzern. Sie brachten ein bisschen Licht ins Pferdeleben.

Dann kam Corona – und Indien verhängte eine Einreisesperre, die Menschen durften ihre Häuser nicht mehr verlassen. Im Bergdorf Ooty konnten die Bewohner ihre Pferde und Esel nicht mehr versorgen – und ließen sie frei. Seitdem streunen sie durch die Straßen, suchen in Weggeworfenem nach Essensresten – mit oft schrecklichen Folgen: Verpackungsmüll und andere Kunststoffabfälle landen im Darm der Tiere und schädigen sie lebensgefährlich. Andere verletzen sich an scharfkantigen Teilen oder im Straßenverkehr.

Wegen Corona wurden die Pferde freigelassen.
Wegen Corona wurden die Pferde freigelassen. © Foto: Worldwide Veterinary Service

Für Streunerpferde gibt es viele Gefahren

Mittlerweile dürfen wieder Touristen kommen. Doch das Leben der Pferde hat sich nicht wieder geändert. "Das Problem besteht darin, dass die meisten Besitzer die Pferde nicht in Ställen halten, sondern sie auf der Straße herumlaufen lassen", so Nagina Reddy von der "Society for the Prevention of Cruelty to Animals" (SPCA). Damit sparen sie nicht nur Kosten. Die Streunerpferde vermehren sich auch. Und so haben sie statt eines Arbeitspferdes dann zwei tierische Helfer…

Für die Pferde heißt das: Überall lauern Gefahren. Oft werden sie im Straßenverkehr verletzt oder geraten in Panik. Weil es kaum Gras gibt, suchen sie in überquellenden Mülleimern nach Futter. Immer wieder kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen mit anderen Streunern – darunter Hunde, aber auch andere Pferde – im Kampf um das bisschen Futter. Und ohne schützende Unterstände sind die Pferde brennender Hitze oder Regen ausgeliefert.

Mobile Klinik für die Streunerpferde

Um das Leid der Streunerpferde zu lindern, engagiert sich auch die "Welttierschutzgesellschaft e.V." (WTG). Gemeinsam mit ihrer Partnerorganisation, den Tierschützern von "WVS", betreuen sie die Pferde. So gibt es zum Beispiel einmal im Monat eine dreitägige mobile Pferdeklinik in Ooty. Streunende Pferde werden aufgelesen und einem gründlichen Gesundheitscheck unterzogen. Sie werden geimpft und gegen Parasiten behandelt. Auch Zahn- und Hufpflegechecks werden durchgeführt. Ein großer Erfolg der Tierschützer: Sie haben eine Weidefläche für die Streunerpferde bekommen, wo sie Futter finden und geschützt sind.

Auch für Pferdebesitzer sind die Teams da. Sie können ihre Pferde kostenfrei untersuchen lassen. Dazu wird ihnen wichtiges Tierschutzwissen rund um den guten Umgang mit den Pferden und ihre Bedürfnisse vermittelt. Im Auftrag der Gemeinde werden diese Pferde auch gechipt, sodass sie ihren Besitzern zugeordnet werden können. Insgesamt konnten die Tierschützer, die sich über Spenden finanzieren, allein von April 2022 bis März 2023 mehr als 2.000 Pferden in Not helfen.

Tierärzte vor Ort werden extra geschult.
Tierärzte vor Ort werden extra geschult. © Foto: Worldwide Veterinary Service

Ausbildung in Schulen – und für Tierärzte

Auch in Schulen sind die Tierschützer aktiv. "Dabei geht es um Themen von routinemäßigen Impfungen über Entwurmungsbehandlungen bis hin zum Zugang zu Nahrung, Wasser und Schatten", so die "Welttierschutzgesellschaft". "Die Kinder verinnerlichen so nicht nur schon sehr früh ein Tierschutzbewusstsein, sondern vermitteln diese Inhalte auch an ihre Familie."

Du liebst Pferde genauso sehr wie wir?
Dann bist Du bei Pferde.de genau richtig. Denn hier erhältst Du exklusive Storys aus dem Reitstall und spannende Ratgeber rund um die Welt der Pferde.

Damit es den Pferden auch auf Dauer besser geht, werden auch die Tierärzte vor Ort geschult. "Da in der tiermedizinischen Ausbildung in Indien leider kaum Wissen und Fähigkeiten zur Versorgung von Pferden und Eseln vermittelt wird, fehlt es auch in Ooty an entsprechenden Kenntnissen", erklärt die "Welttierschutzgesellschaft" auf ihrer Website. Was sie dagegen tut? "Daher legen wir einen weiteren Fokus unseres Einsatzes auf die Aus- und Weiterbildung: Sechs Mal im Jahr bieten wir sechstägige Kurse zum Thema ‚Tiergesundheit und –wohl von Pferden und Eseln‘ an." Diese Fortbildung kommt an: Die Kurse sind mittlerweile weit im Voraus ausgebucht und es kommen Bewerbungen aus ganz Indien.  © Pferde.de

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.