"Ich kauf', ich kauf', was ist egal" sang schon Herbert Grönemeyer in seinem Lied "Kaufen" vor knapp 35 Jahren. Und in der Tat, wer aus einem Supermarkt kommt, stellt oft fest: Schon wieder ist der Einkaufswagen voller als man eigentlich wollte. Woher kommt das?
In der Natur herrschen beinharte Gesetze. Das Krokodil schnappt seine Beute, während die nichts ahnend am Ufer trinkt. Der Gepard nutzt seine unglaubliche Geschwindigkeit und die Spinne wartet geduldig, bis die Fliege im Netz zappelt. Jedes Tier hat bei der Beutejagd so seine eigenen Tricks.
Der moderne Mensch hingegen braucht all das nicht mehr, denn es gibt ja Supermärkte, die uns das Jagen abnehmen. Ganz im Gegenteil: Im Supermarkt werden wir vom (Schnäppchen-)Jäger zum Gejagten. An jeder Ecke, so scheint es, lauern Fallen, die uns zum Kaufen verführen sollen.
Und die Supermärkte haben leichtes Spiel noch bevor die eigentliche Jagd beginnt. Denn sie erwischen uns im denkbar ungünstigsten Moment. Dann, wenn wir im Geiste verwundbar sind: Wir sind gestresst nach der Arbeit, müssen aber noch das Abendbrot besorgen. Gekauft wird auch nichts Schönes, sondern das, was wir jeden Tag brauchen. Augen zu und durch, lautet meist die Devise.
Obst und Gemüse als "Kauf-Helfer"
Die wenigsten gehen gerne einkaufen, deswegen wollen die meisten das schnell hinter sich bringen. "Für den Händler ist das natürlich nicht so gut, denn je schneller ein Kunde durch den Supermarkt geht und je fixierter er auf seine Einkaufsliste ist, desto weniger kauft er", erklärt Gunnar Mau diese negative Grundhaltung. Mau erforscht an der Zeppelin Universität Friedrichshafen, aber auch für Händler, das Kaufverhalten von Kunden und Konsumenten.
Und eben die wollen so schnell wie möglich wieder aus dem Supermarkt raus. Deshalb versuchen Händler bereits ganz am Anfang, den Kunden in seiner Eile ein wenig zu bremsen. Am besten mit Waren, die von vielen und am häufigsten gekauft werden.
"Im klassischen Supermarkt ist das die Obst- und Gemüseabteilung. Dadurch werden die meisten Kunden gebremst. Der zweite wichtige Effekt ist: Habe ich erst einmal etwas gekauft, ist eine Hemmschwelle überwunden und die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich weiter kaufe," erklärt Mau.
"Wer mehr sieht, kauft mehr"
Hinzu kommt, dass gerade Obst und Gemüse Frische und Qualität ausstrahlen und damit ein positives Bild des Marktes zeichnen. Andere Produkte, die man ebenfalls häufig braucht und kauft, werden dann über den Markt verteilt, damit die Kunden möglichst viel Ware sehen. "Denn wer mehr sieht, kauft auch mehr", erklärt Mau diese simple Logik.
Und damit sich der Kunde auf dem Weg zu diesen Produkten auch ein wenig umsehen kann, stellt ihm der Supermarkt-Händler weitere unauffällige "Bremser" in den Weg. Dann stehen mitten im Weg Werbeaufsteller herum oder Körbe mit Aktionsware.
Auch die Breite der Gänge ist nicht zufällig, denn je enger der Gang, desto langsamer muss der Kunde laufen. Hier ist beim Händler Fingerspitzengefühl gefragt, wie Gunnar Mau erläutert: "Zu eng dürfen die Gänge auch nicht sein, denn sonst hat der Kunde das Gefühl, im Weg zu stehen, und geht schnell weiter."
Die Musik: unauffällig und nicht zu schnell
Eine der wichtigsten Stellschrauben, an denen Händler drehen können, ist die Orientierung. Je besser sich der Kunde im Markt zurechtfindet, desto mehr kauft er ein. Das gilt zum Beispiel für die Anordnung der Produkte nach Marke, Sorte oder Preis, aber auch die Beleuchtung spielt eine große Rolle.
Um aus der Masse der vielen Produkte herauszustechen, werden bestimmte Produkte oder Produktgruppen besonders ausgeleuchtet. "Eine optimale Beleuchtung gibt Orientierung, unterstreicht aber gleichzeitig auch die Emotionalität der Produkte", erklärt Mau.
Emotionalität ist auch ein Kriterium bei der Auswahl der Musik, die beim Einkaufen im Hintergrund läuft. Die sollte natürlich störende Geräusche im Supermarkt übertönen und nicht zu schnell sein. Bei schneller Musik läuft man automatisch schneller und ist damit auch schneller wieder aus dem Supermarkt raus.
Vor allem aber sollte die Musik zum Kundenkreis passen. In manchen Supermärkten wird die Musik deshalb auch an die Tageszeit und damit an die jeweils aktuelle Kundschaft angepasst.
Die Klassiker: große Wagen und Kombi-Platzierung
Der klassische "Trick" der Supermärkte dürfte den meisten bekannt sein: der große Einkaufswagen. "Wenn der Einkaufswagen größer ist, kaufen wir natürlich auch mehr", sagt Mau. Für Menschen, die nur schnell eine Kleinigkeit kaufen wollen und ohne Wagen in den Supermarkt gehen, stehen im Markt noch zusätzlich Körbe bereit. Denn wer beide Hände voll hat, der kauft nichts mehr.
Bei den Produkten selbst braucht es oft nicht viel, damit der Kaufimpuls der Kunden anspringt. Meist reicht schon ein Aufkleber, auf dem "neu" steht, damit der Kunde aufmerksam wird. Neue Produkte stehen dann auch gerne neben Produkten, die man häufig kauft, um in den Blick des Kunden zu geraten. Und natürlich der Klassiker: Was zusammenpasst, steht auch nebeneinander, zum Beispiel Nudeln und Tomatensoße.
Natürlich soll auch an der Kasse noch einmal zum Kauf verführt werden, gerade während die Kunden warten. Aber auch hier gibt es Grenzen. Gar keine Schlange an der Kasse ist nicht gut, denn dann ist der Kunde gleich weg. Ist die Schlange an der Kasse aber zu lang, ist der Kunde genervt und kauft ebenfalls nichts. Die ideale Schlangenlänge aus Sicht des Händlers hängt zwar vom Geschäft ab, liegt laut Mau aber oft bei zwei bis drei Kunden.
Trick oder Orientierungshilfe?
Aber ist ein Einkauf im Supermarkt wirklich ein einziges Abwehren von Kaufverlockungen? "Klar versuchen Händler, dass wir mehr Sachen kaufen, als wir eigentlich brauchen. Aber gerade Händler wollen keine billigen Tricks, denn die Kunden sind ja nicht dumm. Händler wollen, dass wir wiederkommen, deshalb versuchen sie lieber, dass wir uns in ihrem Markt wohlfühlen und bei ihnen kaufen statt bei anderen," erklärt Mau.
Ob ein Händler nun mit Tricks arbeitet oder ob er lediglich versucht, dem Kunden das Einkaufen so angenehm und leicht wie möglich zu machen, ist also auch ein bisschen Interpretationssache. Hinzu kommt, dass nicht hinter allem eine List des Händlers stecken muss, wie Experte Mau aufklärt: "Vieles von dem, was als Tricks von Supermärkten verkauft wird, passiert einfach so."
Bestes Beispiel ist laut Mau der Mythos, dass Supermärkte nach einer bestimmten Laufrichtung ausgerichtet sind. "Bei einer Studie wurden Händler gefragt, warum man in ihrem Supermarkt links oder rechts herum läuft. Die meisten Händler haben geantwortet: Weil es eben so reingepasst hat."
So "tricksen" Supermärkte - der Überblick:
- Am Anfang stehen bei klassischen Supermärkten oft Obst und Gemüse, bei Discountern andere Produkte, die häufig gekauft werden. So müssen die meisten Kunden erst einmal stoppen. Außerdem: Wenn hier bereits etwas gekauft wird, fällt die erste Kaufhemmung und man kauft weiter.
- Produkte, die ins Rampenlicht sollen, werden speziell ausgeleuchtet; danach braucht das Auge wieder Ruhephasen, denn sonst wirkt der Effekt nicht.
- Die Hintergrundmusik soll störende Geräusche übertönen und von den meisten Kunden als angenehm empfunden werden.
- Einkaufswagen sind größer als nötig, denn wer einen großen Wagen hat, der kauft auch mehr. Für eilige Kunden stehen Einkaufskörbe im Markt bereit.
- Spezielle Einkaufswagen für Kinder und Kassen ohne Quengelbereich - Supermärkte wollen es Familien leichter machen. Wer Kinder hat, kauft mehr.
- Neue Produkte stehen neben Topsellern, damit Kunden auf sie aufmerksam werden.
- Produkte, die zusammenpassen, stehen auch nebeneinander.
- Supermarkt-Gänge sind nicht breiter als nötig, damit Kunden langsamer laufen müssen.
- Produkte, bei denen die Marge am höchsten ist, stehen auf Blickhöhe, denn dann werden sie am häufigsten gekauft.
- Die optimale Schlangenlänge an der Kasse sind zwei oder drei Kunden. Dann ist niemand genervt und hat gleichzeitig noch Zeit, die Ware an der Kasse anzusehen.
- Obstdrinks für Kinder stehen eher in der Obstabteilung als bei den Süßwaren, weil sie dort positiver wahrgenommen werden.
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