Die heutige Technik macht es möglich, dass jeder Kunde im Laden für das gleiche Produkt einen anderen Preis bezahlt. Für Firmen würde das bedeuten, dass sie aus jedem das Maximum an Kaufkraft herausholen könnten. In der Praxis gibt es aber einige Hürden: den Datenschutz, das Know-how und nicht zuletzt den Kunden selbst.
Es ist fast 20 Jahre her, da leistete sich das damals noch recht kleine Unternehmen Amazon eine kleine Frechheit: Es verkaufte DVDs zu unterschiedlichen Preisen, je nachdem welchen Browser der Käufer benutzte.
Das war ein ziemlicher Skandal, Amazons Image nahm Schaden. Keinen dauerhaften, wie man heute weiß. Dennoch war der Vorgang jedem Unternehmen eine Warnung, das über individualisierte Preise nachdachte.
Nicht umsonst wird diese Form der Preisgestaltung oft "Preisdiskriminierung" genannt. Ein negativer Begriff, der suggeriert, dass Menschen gegenüber anderen benachteiligt werden.
Sei es, weil sie einen bestimmten Browser benutzen. Sei es, weil sie keine Stammkunden sind oder keine Kundenkarte besitzen. Sei es, weil ihre vorherigen Käufe oder ihr Verhalten im Laden nahelegen, dass sie mehr Geld haben als andere.
Bei Flugpreisen ganz normal
So plump wie seinerzeit Amazon hat danach kein Unternehmen mehr agiert. Das heißt aber nicht, dass Preisdiskriminierung der Vergangenheit angehört.
Beispiel Flüge: Hier haben sich die Kunden über die Jahre daran gewöhnt, dass so ziemlich jeder von ihnen einen anderen Preis für die gleiche Leistung bezahlt. Je nachdem wann er gebucht hat und über welche Plattform.
Oder auch Hotelbuchungen: Immer wieder gibt es Berichte, wonach Nutzer bei Online-Reiseportalen unterschiedliche Preise für eine Unterkunft angezeigt bekommen - je nachdem ob sie eingeloggt waren oder nicht.
Auch über Amazon gab es vor drei Jahren wieder negative Meldungen über unterschiedliche Preise. Dieses Mal sollen angeblich Apple-Nutzer benachteiligt gewesen sein - was Amazon aber dementierte.
Lebensmittelhersteller experimentieren mit Bildanalysen
Verboten ist das alles nicht. Dennoch fühlt sich der Kunde betrogen, wenn er davon erfährt. Das ist online so - und das wäre erst recht so, wenn es individualisierte Preise auch in den stationären Handel schaffen würden.
Man stelle sich vor: Zwei Kunden stehen vor einem Weinregal, schauen sich den gleichen Wein an, zahlen aber unterschiedliche Preise dafür.
Technisch ist das denkbar. Denn alles, was man dazu braucht, sind Kameras und Daten. "Einige Lebensmittelhersteller experimentieren schon mit Bildanalysen, künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen", erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Florian Stahl.
Wie diese Experimente aussehen, haben wir bei den drei größten Lebensmittelhändlern in Deutschland nachgefragt. Die Anfragen blieben leider unbeantwortet.
Smarte Preisschilder im Laden
Ein Element für einen smarten Laden mit individuellen Preisen könnten die sogenannten Smart Labels sein. Das sind elektronische Mini-Displays, die an jedem Produkt angebracht sind. In diese Smart Labels könnte ein Trigger eingebaut werden, der den Preis ändert.
Ein solcher Trigger könnte zum Beispiel der Gesichtsausdruck des Kunden sein. Ist er gut drauf, könnte der Preis etwas höher ausfallen. Ist er schlecht drauf, etwas niedriger.
Denkbar wäre aber auch eine mobile App, so der Wirtschaftsinformatiker Frédéric Thiesse. Beacons, das sind kleine Sender im Laden, könnten dann via Bluetooth Informationen zu einem Produkt auf diese App übertragen, unter anderem auch den Preis. Und der könnte, je nachdem welche Daten die App über den Kunden hat, individuell ausfallen.
Hat etwa ein Kunde eine Zeitlang immer ein bestimmtes Produkt gekauft, tut das aber jetzt nicht mehr, könnte man ihn mit einem guten Angebot vielleicht dafür gewinnen, es wieder zu kaufen.
Preisdiskriminierung durch Payback
Ob es solche Ideen jemals in einen Supermarkt schaffen werden, bleibt offen. Denn es gibt einige Hürden.
"Erstens: Die Händler wissen in der Regel nicht, welche Daten sie überhaupt erheben müssen, um die Preise zu individualisieren. Es fehlt an technischer Infrastruktur und an Know-how", sagt Thiesse, der den Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Systementwicklung an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg leitet.
Dazu kommen Fragen des Datenschutzes, manche Daten dürfen die Händler nämlich gar nicht erst erheben.
Und dann ist da noch der Kunde. "Es ist unklar, wie er auf individuelle Preise reagieren würde", so Thiesse. Seine Vermutung: Eher negativ. Befragungen hätten ergeben, dass die meisten Menschen Preisdiskriminierungen schlecht finden - und zwar auch dann, wenn sie selbst davon profitieren.
Deswegen ist so manche Preisdiskriminierung eher versteckt und läuft etwa über Kundenkarten oder das Payback-System. "Die Diskriminierung passiert hier durch die Gutschriften, die man beim Kauf eines Produktes erhält", sagt Florian Stahl, der an der Universität Mannheim lehrt und forscht. "Die sind nicht für alle Kunden gleich, auch wenn sie das gleiche Produkt kaufen."
Ein Payback-Beispiel: Kunde A und Kunde B kaufen jeweils ein Duschbad. Kunde A bekommt für den nächsten Einkauf das Angebot, seine Payback-Punkte zu verdreifachen, Kunde B kann seine Punkte verfünffachen. Zurückgerechnet auf das Produkt Duschbad, das beide gekauft haben, ist der Preis für die beiden Kunden dann unterschiedlich.
"In so einen Laden würde niemand gehen"
Im Gegensatz zu dem Szenario der zwei Kunden, die vor dem gleichen Wein stehen, aber unterschiedlich viel für ihn bezahlen sollen, ist das Payback-System aber für die meisten Menschen offenbar akzeptabel.
Dass das Wein-Szenario tatsächlich irgendwann Realität wird, glauben die Experten nicht. "In so einen Laden würde niemand gehen", sagt Florian Stahl.
Und Frédéric Thiesse ergänzt: "Hinzu kommen speziell für den Lebensmittelhandel ein harter Preiswettbewerb und niedrige Margen, sodass die Händler nur wenig Spielraum haben, überhaupt an den eigenen Preisen zu drehen."
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