Immer mehr Stromanbieter haben Ökostrom-Tarife im Programm. Wer einen solchen Tarif abschließt, kann sich aber nicht sicher sein, dass er oder sie tatsächlich ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien bezieht. Wie kann das sein?

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Stromanbieter wie E.on, RWE oder EnBW haben die Zeichen der Zeit erkannt: Unter den Verbrauchern gibt es eine große Nachfrage nach Strom aus erneuerbaren Energien. Viele wollen keinen "grauen" Kohle- oder Atomstrom mehr, sondern "grünen" Strom aus Wind-, Wasser- oder Sonnenkraft – und wählen deshalb einen der Ökostrom-Tarife, wie sie seit einiger Zeit auch die großen Konzerne anbieten.

1157 solcher Tarife gab es laut Umweltbundesamt im Jahr 2017, drei Jahre zuvor waren es noch 810. Knapp 80 Prozent der Stromunternehmen hatten 2017 mindestens ein Ökostrom-Angebot. Viele Verbraucher, die einen solchen Tarif abschließen, tun das in der Überzeugung, damit die Energiewende voranzubringen. Doch das ist nicht automatisch der Fall.

Jeder Stromkunde bezahlt für die Energiewende

Mit den Ökostrom-Angeboten der Stromkonzerne gibt es vor allem zwei Probleme. Sie sind oft nicht hundertprozentig "grün" und sie tun tatsächlich wenig für die Energiewende.

Maßgeblicher Treiber dafür ist bislang etwas anderes: die sogenannte EEG-Umlage. Sie wurde mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführt, mit dem der Umstieg auf eine umweltfreundliche Stromgewinnung gelingen soll, ohne Kohle- und Atomkraftwerke.

Die EEG-Umlage liegt derzeit bei 6,76 Cent pro Kilowattstunde und wird von jedem Verbraucher gezahlt. Bei einem Verbrauch von 3.000 Kilowattstunden pro Jahr – so viel hat in etwa ein Drei-Personen-Haushalt auf dem Zähler – sind das rund 200 Euro. Bezahlt werden damit Betreiber etwa von Wind- und Wasserkraftwerken, der Bau solcher Anlagen soll damit vorangetrieben werden.

Tatsächlich hat die EEG-Umlage einiges bewirkt: Der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien ist in den vergangenen Jahren auf inzwischen knapp 40 Prozent gestiegen.

Ökostrom braucht "Herkunftsnachweise"

EEG-geförderter Strom ist also zum Teil schon Ökostrom, aber eben nur zum Teil. Denn in das öffentliche Netz werden sowohl Strom aus Wind- und Wasserkraft als auch aus Atomkraft und Kohlekraftwerken eingespeist. Was jeder zu Hause an Strom aus seiner Steckdose bekommt, ist im Regelfall ein Mix aus allem und kommt vermutlich aus dem Kraftwerk, das dem eigenen Haus oder der Wohnung am nächsten liegt.

Diese Art der Stromproduktion wollen aber einige Verbraucher und Firmen nicht mehr. Sie wünschen sich echten, "reinen" Ökostrom. Der darf sich aber nur so nennen, wenn es für ihn einen sogenannten Herkunftsnachweis gibt. Ein Herkunftsnachweis belegt, wie und wo der Strom erzeugt wurde, er ist wie ein Zertifikat für "grünen" Strom.

Für jede Megawattstunde Ökostrom, die ein Anlagenbetreiber produziert und ins Stromnetz einspeist, erhält er ein solches Zertifikat. Diese Zertifikate verkauft er dann – je nach Menge – an einen Stromanbieter wie E.on oder EnBW. Ist der Strom verbraucht, werden die Zertifikate "entwertet".

Das Dilemma ist nun: Ein Betreiber einer Anlage oder eines Kraftwerks, das mit erneuerbarer Energie Strom erzeugt, darf nicht gleichzeitig die EEG-Umlage kassieren und Herkunftsnachweise verkaufen. Er muss sich für eines der beiden entscheiden. Da die Preise für Herkunftsnachweise aber im Moment noch recht niedrig sind, entscheiden sich die meisten Anlagenbetreiber für die Umlage. Denn sie ist einfach lukrativer.

Herkunftsnachweise tragen bislang wenig zur Energiewende bei

Es gibt also hierzulande wenig Herkunftsnachweise. Damit wird es für Stromkonzerne schwierig, gesonderte Ökostrom-Tarife anzubieten. Um es dennoch tun zu können, kaufen sie Herkunftsnachweise aus dem Ausland ein. Norwegen ist zum Beispiel ein Land, das solche Zertifikate nach Deutschland verkauft.

Hat ein deutscher Stromanbieter genügend Herkunftsnachweise, kann er einen Ökostrom-Tarif aufsetzen - obwohl der Strom, der aus der Steckdose kommt, immer noch ein Mix und nicht zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien ist. Der Strom wird damit quasi auf "grün" umgelabelt.

Dass Stromanbieter diese Möglichkeit nutzen, ist nicht verboten. Es hat aber zur Folge, dass hierzulande kein neues Wasserwerk oder eine Windkraftanlage gebaut wird. Damit kann auch der Nutzen der Ökostrom-Tarife infrage gestellt werden. Denn was sind sie wert, wenn die Energiewende dadurch gar keinen Anschub bekommt?

"Der Beitrag der Ökostromprodukte zur Beschleunigung der Energiewende muss weiterhin differenziert bewertet werden", formuliert das Umweltbundesamt vorsichtig. Derzeit führten sie kaum zum Bau neuer Anlagen und damit auch nicht zu einer zusätzlichen Reduktion der Treibhausgas-Emissionen. Allerdings hätten sie durchaus eine gesellschaftliche Funktion, indem sie die Verbraucher bei der Energiewende einbeziehe.

Label für Ökostrom-Tarife

Es könnte sich etwas ändern, wenn die Kraftwerke und Anlagen, die jetzt mit der EEG-Umlage belohnt werden, diese Förderung verlieren. Denn nach 20 Jahren ist damit Schluss. Dann könnten die Herkunftsnachweise bedeutender werden – und mit den Erlösen aus ihrem Verkauf werden dann vielleicht mehr Wind-, Wasser-, Biomasse- und Solaranlagen gebaut.

Bis es so weit ist, bleibt besonders umweltbewussten Verbrauchern nur, auf Ökostromanbieter zu setzen, die sich für den EEG-unabhängigen Ausbau erneuerbarer Energien einsetzen. Die Plattform Ecotopten hat dazu eine Übersicht erstellt.

Zudem gibt es Label für Ökostrom-Tarife, die garantieren, dass der Anbieter nicht an Atom-, Braun- oder Steinkohlekraftwerken beteiligt ist. Solche Label sind zum Beispiel das ok-Power- oder das Grüner-Strom-Label.

Offenlegung: Auch WEB.DE und GMX bieten Strom an.

Verwendete Quellen:

  • Marktanalyse Ökostrom II, herausgegeben vom Umweltbundesamt im Juli 2019
  • Verbraucherzentrale.de: Ist ein Tarif mit Ökostrom und Ökogas überhaupt sinnvoll?
  • Finanztip.de: Ökostrom: Grün ist günstiger
  • Website von "Robin Wood": Ökostrom ist nicht gleich Ökostrom
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