Wer erbt eigentlich, wenn es kein Testament gibt? Eine einfache Frage, zu der folgenschwere Irrtümer kursieren. Die gesetzliche Erbfolge ist anders, als die meisten denken. Zum Beispiel ist eine Witwe nicht automatisch Alleinerbin.
"Ich brauche kein Testament, das Gesetz regelt ja alles vernünftig!" Das hört man immer wieder. Doch das ist ein großer und oft folgenschwerer Irrtum.
Liegt kein Testament vor, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Und diese verläuft häufig ganz anders, als es sich Laien vorstellen. Im Ernstfall heißt das: Unerwünschte Personen kommen zum Zuge, zudem entstehen Erbengemeinschaften, vor denen Fachanwälte ausdrücklich warnen.
Kein Testament: Ehepartner ist nicht automatisch Alleinerbe
Einer der häufigsten Irrtümer: Wenn ein Ehepartner mit Kindern ohne Testament stirbt, erbe sein Ehepartner alles, werde also Alleinerbe. Weit gefehlt.
Klaus Michael Groll, Fachanwalt für Erbrecht und Gründungspräsident des Deutschen Forums für Erbrecht, klärt auf: "Der überlebende Partner erbt zusammen mit den Kindern des Verstorbenen, bildet mit ihnen also eine Erbengemeinschaft. Bei der Zugewinngemeinschaft, dem gesetzlichen und häufigsten Güterstand, erbt der Partner die eine, das Kind oder die Kinder zusammen die andere Hälfte. Bei Gütertrennung der Eheleute hängen die Erbquoten aller Erben von der Zahl der Kinder ab."
Was die meisten ebenfalls nicht wissen: Stirbt ein kinderloser Ehepartner, erbt gesetzlich nicht etwa der andere allein, sondern zusammen mit den Eltern beziehungsweise einem Elternteil des Verstorbenen. Sind beide Eltern bereits verstorben, erbt der überlebende Ehepartner zusammen mit den Geschwistern des Verstorbenen. Sind diese nicht mehr am Leben, sogar mit den Neffen und Nichten des Verstorbenen.
Rechtsanwalt Groll dazu: "Man stelle sich eine Erbengemeinschaft zwischen der Witwe und Ihrer Schwägerin vor, zwei Personen, die sich entweder kaum kannten oder sich gar nicht grün waren. Und die beiden sollen nun einen komplexen Nachlass auseinandersetzen oder gar über längere Zeit gemeinsam verwalten!"
Patchwork-Familien: Streit oft vorprogrammiert
Konfliktträchtige Erbengemeinschaften können bei der gesetzlichen Erbfolge nach Grolls Erfahrung vor allem auch bei Patchwork-Familien entstehen.
"Da finden sich plötzlich Kinder des Verstorbenen aus verschiedenen Ehen oder nichtehelichen Beziehungen in einer Erbengemeinschaft", sagt er. Das Problem seien nicht nur persönliche Spannungen oder gar Feindschaften, sondern die Beteiligten wohnen meist weit voneinander entfernt, manchmal in verschiedenen Ländern, was den Rechtsstreit noch komplizierter macht.
Warnung vor Erbengemeinschaft
Lebt nur noch ein Elternteil und stirbt ohne Testament, erben alle Kinder des Letztverstorbenen zusammen. Auch sie bilden wieder eine Erbengemeinschaft.
Warum wird auch in diesem Fall so gewarnt? Was halten Fachleute daran für so gefährlich?
Natürlich gelinge laut Groll eine friedliche Erbauseinandersetzung immer mal wieder. Doch aus drei Gründen komme es schon aufgrund der Gesetzeslage immer wieder zum Krach. "Erstens: In einer Erbengemeinschaft gehört, so merkwürdig das auch klingen mag, jeder Nachlassgegenstand jedem Miterben ganz, nur alle zusammen können einen solchen Gegenstand veräußern. Auch kann keiner einen seiner Erbquote entsprechenden Anteil an einem einzelnen Gegenstand verkaufen oder verschenken", so Groll. "Zweitens: Jeder Miterbe hat ein volles Mitentscheidungsrecht, kann also auch blockieren, sogar schikanieren. Die Erbengemeinschaft wird handlungsunfähig."
Jeder Miterbe kann den Nachlass sprengen
In der Tat müssen die Geschwister, die eine Erbengemeinschaft bilden, gemeinsam entscheiden: Verkauft man einen Nachlassgegenstand oder nicht? Wenn ja, an wen? Führt man eine Dachsanierung durch oder nicht? Vermietung – ja oder nein? Zu welchem Preis? Keiner kann allein über einzelne Gegenstände oder Anteile verfügen. Konfliktpotenzial von morgens bis abends.
Und drittens, aus Grolls Sicht das Schlimmste: "Jeder Miterbe kann den Nachlass sprengen, auch gegen den Willen der Miterben."
Wie heftig, ja grausam die Folgen einer Erbengemeinschaft dann sein können, erläutert Groll an einem Beispiel: "Der Vater stirbt. Gefällt es einem der drei Kinder, stellt es beim Amtsgericht einen sogenannten Teilungsversteigerungsantrag. Dann wird die von der Mutter und den Kindern zusammen geerbte Immobilie versteigert, eine Immobilie, in der die Mutter des Antragstellers vielleicht schon sehr lange lebt, eine Immobilie, die sich seit Jahrzehnten im Familienbesitz befindet. Dagegen können sich weder die Mutter noch die Geschwister wehren."
Um solche fatalen Fälle zu vermeiden, sei es enorm wichtig, ein geeignetes Testament zu machen. Fachanwälte für Erbrecht beraten, wie man eine Erbengemeinschaft vermeiden und den Nachlass dennoch gerecht, steuersparend und friedenstiftend vererben kann.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Prof. Dr. Klaus Michael Groll, Fachanwalt für Erbrecht und Gründer des Deutschen Forums für Erbrecht
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