Entsteht in Deutschland ein neuer Geldadel? Milliarden Euro werden in den kommenden Jahren vererbt. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Würde sich aber etwas ändern, wenn man Erbschaft höher besteuern würde? Im Interview erklärt Armutsforscher Prof. Dr. Christoph Butterwegge die Hintergründe.
Erbschaft an sich ist ja nichts Neues. Was hat sich verändert? Warum entsteht gerade jetzt eine öffentliche Debatte?
Christoph Butterwegge: Es geht zentral um die Frage, ob Unternehmerfamilien ihr Vermögen, das sich größtenteils in Firmen befindet, steuerfrei vererben können und damit ein Privileg behalten, das sie seit 2009 hatten. Seit dieser Zeit sind über 100 Milliarden Euro an Firmenbesitz verschenkt worden, ohne dass dafür Steuern gezahlt werden mussten. Darunter waren auch viele "Cash-GmbHs", d.h. zu Firmen umdeklarierte Festgeldkonten. Wenn aber ein Beschäftigter der Firmenerben von seinen Eltern eine Mietwohnung erbt, deren Wert den Freibetrag von 400.000 Euro übersteigt, muss er darauf natürlich Erbschaftssteuern zahlen. Ich vermag überhaupt nicht einzusehen, warum gerade diejenigen begünstigt werden müssen, die besonders viel erben. Denn man muss sich klar machen: Bei der nötigen Neuregelung der Erbschaftsteuer für Firmenerben geht es nicht um den kleinen Handwerksbetrieb, sondern um riesige Firmenimperien und ganze Konzerne, die bisher vererbt oder verschenkt werden konnten, ohne dass die Begünstigten betriebliche Erbschaftsteuer zahlen müssen. Dies ist für mich ein riesiger Skandal vor dem Hintergrund, dass sich die Gesellschaft zunehmend in Arm und Reich spaltet, denn Reichtumsförderung per Steuergesetzgebung ist keine Armutsbekämpfung.
Es wird erwartet, dass im kommenden Jahrzehnt drei Billionen Euro vererbt werden. Reiche Familien bleiben also reich. Wird sich durch das Erben eine neue Sonderschicht in Deutschland bilden, ähnlich dem Adel?
Ja. Ich sehe die Tendenz zu einem neuen Feudalismus in Deutschland. Wenn aufgrund des demografischen Wandels immer weniger Kinder der Reichen immer mehr erben, bildet sich ein Geldadel, der durch die Steuergesetze der vergangenen Jahre besonders privilegiert ist. Die Reichen und Superreichen, die in anderen Ländern Oligarchen genannt werden, haben von den etablierten Parteien dabei Steuergeschenke in mehrstelliger Milliardenhöhe erhalten, obwohl sich die Armut bis in die Mitte der Gesellschaft hinein ausbreitet.
Wird also die Kluft zwischen Reich und Arm größer?
Um eine Zahl zu nennen: Von den 200 reichsten Menschen auf der Welt sind 55 Deutsche. Wir sollten keineswegs mehr die Vorstellung hegen, nur in Ländern wie Brasilien und den USA klaffe eine tiefe Lücke zwischen Arm und Reich. Vielmehr ist die Bundesrepublik inzwischen fast genauso stark sozial zerrissen. Das reichste Prozent der Deutschen besitzt mehr als ein Drittel des Gesamtvermögens, das reichste Promille über 23 Prozent. Umgekehrt besitzt die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur 1 Prozent des Gesamtvermögens, knapp 28 Prozent der Bevölkerung haben entweder gar kein Vermögen oder sogar mehr Schulden als Vermögen. Deswegen bin ich ein Befürworter des steuerlichen Zugriffs gerade im Todesfall, weil in diesem Moment "anstrengungsloser Wohlstand" (Guido Westerwelle über den Hartz-IV-Bezug) entsteht. Leistung muss sich lohnen, es ist aber keine Leistung, der Sohn oder die Tochter eines Milliardärs zu sein.
Wie wirkt sich das auf die Chancengleichheit aus?
Eine Chancengleichheit, wie sie sich die meisten Menschen wünschen, kann es in einer sozial zerklüfteten Gesellschaft wie unserer nicht geben. Das belegen PISA und viele andere Studien, die zeigen, dass in keinem anderen hochentwickelten Industrieland die Chancen so stark vom familiären Hintergrund abhängen wie in Deutschland. Und dieser Trend wird natürlich durch eine Steuergesetzgebung, die Reiche begünstigt, noch verstärkt. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber am 17. Dezember 2014 eine Korrektur der Erbschaftssteuerreformen auferlegt. Jetzt müssen die Weichen zu mehr Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich gestellt werden. Der zuständige Bundesfinanzminister Schäuble weicht allerdings schon wieder zurück, weil die Lobbyisten seither Sturm laufen und ihn als verkappten Kommunisten betrachten, nur weil er oberhalb eines Firmenerbes von 20 Millionen Euro eine Bedarfsprüfung durchführen lassen und Erben bis zur Hälfte ihres Privatvermögens zur Erbschaftsteuer heranziehen will.
Was würde es denn der Restbevölkerung bringen, wenn Erbe höher besteuert würde? Was konkret hätten die Ärmeren oder sozial Benachteiligten davon?
Geld fehlt ja an allen Ecken und Enden. Dabei ist genug für alle da, es befindet sich nur in den falschen Taschen - zunehmend in den Taschen von wenigen Reichen und Superreichen. Wenn der Staat durch Steuern dafür sorgen würde, dass ein größerer sozialer Ausgleich erfolgt, dann müsste er das Geld sowohl in die soziale wie in die Verkehrsinfrastruktur stecken. Er müsste mehr und qualitativ bessere Betreuungsangebote schaffen, aber auch den Erzieherinnen mehr Gehalt zahlen – was nur geht, wenn das Steueraufkommen steigt. Es müssten kleinere Klassen geschaffen und mehr Schulsozialarbeiter und Schulpsychologinnen eingestellt werden. Ich sehe viele Bereiche in unserer Gesellschaft, die vernachlässigt werden, wie etwa Kultur, Soziales und Pflege. Nur die Reichen können sich einen armen Staat leisten, weil sie ihre Kinder auf Internate und Privathochschulen schicken, aber auch keine Bibliothek und kein öffentliches Schwimmbad brauchen, weil sie genug eigene Bücher und den Swimmingpool im Haus haben.
Nicht-Erben finden den plötzliche Reichtum von Erben ungerecht. Erben könnten andersherum argumentieren, dass es ungerecht wäre, das Vermögen, das die Eltern eventuell hart erarbeitet haben, abzugeben. Gibt es überhaupt eine gerechte Lösung?
Ungerecht ist meines Erachtens nicht das Erben als solches. Ungerecht ist, wenn die besonders reichen Erben kaum Steuern zahlen und dafür mehr Menschen steuerlich belastet werden, die eher ein geringes Einkommen haben und meistenteils gar nichts erben. Niemand will dem Erben nehmen, was seine Eltern geschaffen haben. Wenn man aber erst ab 26 Millionen Euro auf das Erbe 30 Prozent Steuern zahlt, bleibt noch genug für ein luxuriöses Leben übrig. Auch eine progressivere Besteuerung großer Erbschaften halte ich für sinnvoll. Wenn der Staat hier nicht zugreift, wo soll er es sonst tun? Auf Arbeitserträge greift er immer stärker zu. Ein Facharbeiter, der viele Überstunden macht und 55.000 Euro im Jahr verdient, zahlt den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Ein Firmenerbe zahlt bei der gegenwärtigen Rechtslage faktisch überhaupt keine Erbschaftssteuer. Ist das etwa gerecht?
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