Seit der Coronakrise arbeiten immer mehr Menschen von zuhause aus. Viele verzichten dabei auf ihre übliche Bürokleidung und tragen lieber bequeme Freizeitklamotten. Doch das kann Einfluss darauf haben, wie gut sie arbeiten – und entspannen.
Ich arbeite von zuhause aus, in einem Büro mit Schreibtisch, Computer und allem, was ich sonst so zum Arbeiten brauche. Das war schon vor Corona so. Doch im Gegensatz zu heute, kam ich früher auch mal raus – zu Kundenterminen, Events, Meetings oder Präsentationen. Neuerdings finden auch die hauptsächlich via Video-Konferenz statt. Das spart zwar Zeit, führt aber dazu, dass ich fast nur noch zuhause rumhänge. Und mich dementsprechend kleide. Zumindest bis vor kurzem.
Endlich nicht mehr aufbrezeln
Ich besitze drei Jogginghosen, eine davon trug ich eigentlich immer. Es sei denn, sie waren zufällig alle gleichzeitig in der Wäsche – dann lieh ich mir eine von meinem Mann aus. Anfangs genoss ich es noch, mich morgens nicht mehr "aufbrezeln“ oder mir am Abend zuvor Gedanken darüber machen zu müssen, welches Outfit zum jeweiligen Anlass passt. Keine hohen Schuhe mehr, kaum Schminke – stattdessen: aufstehen, Jogginghose an, Kaffee machen, ab an den Schreibtisch. Oder auch nicht. Vielleicht doch lieber erstmal schön gemütlich in die Badewanne?
Das Homeoffice-Dasein hat viele Vorteile, aber auch einige Tücken: Die Grenze zwischen Job und Privatem verschwimmt, die vielbeschworene Work-Life-Balance gerät aus dem Lot. Trotz täglicher To-Do-Listen und Deadlines fiel es auch mir irgendwann immer schwerer, meinen Arbeitstag zu strukturieren, mich zu motivieren, zu konzentrieren. Ich ließ mich schnell und gerne ablenken – von Instagram, vom Paketboten, vom kleinen Hunger... Kurzum: Ich war zur personifizierten Jogginghose geworden und lief Gefahr, zu verlottern.
Mode kann die Leistung verbessern
"Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Sollte Karl Lagerfeld (der zuletzt übrigens selbst welche designte) am Ende doch recht behalten? Fakt ist: Mode wirkt. Nicht nur auf andere, sondern auch aufs Ich. Das weiß jeder, der schon mal einen scharfen Anzug oder ein richtig tolles Kleid getragen hat. Wissenschaftliche Experimente bestätigen das. Eines der bekanntesten untersuchte den Effekt von Kleidung auf mentale Prozesse wie Aufmerksamkeitsspanne, Selbstbewusstsein oder abstraktes Denkvermögen.
Die Studie wurde 2012 im "Journal of Experimental Social Psychology" veröffentlicht und stellte einen Zusammenhang zwischen Kleidung, Hirnaktivität und Produktivität fest. Anders ausgedrückt: Wer sich bestimmten Aufgaben entsprechend kleidet, kann damit seine Arbeitsleistung verbessern. Oder verschlechtern.
Kleidung kann Souveränität oder Mut verleihen, Kreativität oder Sinnlichkeit stimulieren, Zugehörigkeit oder Individualität ausdrücken. Eine ausgebeulte Jogginghose schafft nichts von alledem, doch sie ist funktional und bequem. Und verführt, nun ja, zur funktionalen Bequemlichkeit – auch beim Arbeiten. Und lässt erstmal vergessen, dass das Sich-Aufbrezeln früher mal ziemlich Spaß gemacht hat. Wozu sich unnötig Mühe geben? Für Video-Konferenzen reicht ein schickes Oberteil doch vollkommen aus, oder?
Oben hui, unten pfui
Nicht unbedingt. Oben hui, unten pfui: Auch wenn unser Gegenüber nur den Torso sieht, kann der Untenrum-Schlabber-Look (egal, ob Jogginghose, Badeshorts, Strumpfhose oder gar Unterwäsche) dem eigenen Hirn signalisieren: "So richtig wichtig ist das alles gerade eh nicht." Gemütliche Freizeitklamotten können dazu verleiten, abzuschalten – im Kopf.
Die gute Nachricht: Diesen Effekt können wir nutzen – erst recht, wenn es uns schwerfällt, uns und unseren Arbeitstag im Homeoffice zu strukturieren oder eine klare Grenze zwischen Job und Privatem zu ziehen: indem wir unsere Kleidung wieder unserer Tätigkeit entsprechend wählen. Und genau deshalb habe ich meine Jogginghosen eben nicht aus meinem Kleiderschrank verbannt, sondern ziehe sie noch immer fast täglich an. Allerdings erst dann, wenn die Arbeit getan und es Zeit ist, zu entspannen.
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