Im ZDF-Sommerinterview hat Christian Lindner die FDP als eine Partei präsentiert, deren größtes Anliegen gute Bildung ist. Den Erfolg der AfD hat er auf Angela Merkels Migrationspolitik zurückgeführt. Was ist dran an diesen Darstellungen? Ein Faktencheck:

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"Herr Walde, Sie zeichnen ein Zerrbild von der FDP." Im Sommerinterview mit Thomas Walde, das das ZDF am Sonntag ausgestrahlt hat, hat Christian Lindner immer wieder versucht, eine anderes Bild der FDP zu präsentieren, als jenes, das der Interviewer vor Augen hatte - und wohl auch viele Wähler haben. Umso mehr lohnt es sich, die Aussagen Christian Lindners zu überprüfen.

Ist die FDP tatsächlich eine "Bildungspartei"?

Wer an die FDP denkt, dem fällt wohl nicht zuerst der Begriff der "Bildungspartei" ein. Zu sehr galten die Liberalen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten als Partei der Besserverdienenden, als die Steuersenkungspartei oder auch als eine Partei, die Klientelpolitik betreibt.

Wie glaubhaft ist Christian Lindner also, wenn er sagt: "Der wichtigste Punkt für uns ist Bildung. Die Erstausbildung und das lebenslange Lernen."

Wer die Webpräsenz der Freien Demokraten besucht, dem fällt sofort der Slogan "Innovation Nation" ins Auge. Die FDP wolle "Deutschland wieder zu einem Land der Innovation machen" heißt es. Es folgen Statements zur Migrationspolitik und zum Asylstreit, ehe in der Tat der Satz zu lesen ist: "Wir wollen Themen wie Bildung, Digitalisierung und Entlastung der Bürger voranbringen". Bildung ist hier also ein Punkt von vielen, nicht unbedingt ein Kernanliegen.

Anders sieht es im Wahlprogramm der Liberalen aus. Geht man davon aus, dass die wichtigsten Punkte zuerst genannt werden, steht Bildung hier tatsächlich an erster Stelle. Unter dem Motto "Weltbeste Bildung für jeden" fordert die Partei auf über 15 Seiten unter anderem Investitionen in Bildung und Forschung, nachgelagerte Studiengebühren, elternunabhängige Ausbildungsförderung, bessere Auswahl und Ausbildung von Lehrern und eine Unterrichtsgarantie für Schüler.

Dass die FDP Bildung programmatisch zu ihrem wichtigsten Punkt erklärt hat, ist also nicht von der Hand zu weisen. Anzulasten ist ihr, dass sie die Chance, in einer Jamaika-Koalition mitzuregieren und so Verbesserungen im Bildungsbereich zu erreichen, ausgeschlagen hat.

Hat die Migrationsfrage die AfD stark gemacht?

Thomas Walde kam im Sommerinterview immer wieder auf das Thema Populismus zu sprechen, unter anderem, als es um die Liberalisierung des Arbeitsmarktes ging. Walde fragte, ob es nicht selbstverständlich sei, dass Menschen, deren Arbeitsplatz nicht sicher ist, sich den Populisten zuwenden. Christian Lindner widersprach: "Die Migrationsfrage hat die AfD groß gemacht, nicht soziale Verwerfungen." Hat er Recht?

In einer Studie, die noch vor der Bundestagswahl durchgeführt wurde, kam der Leipziger Soziologie-Professor Holger Lengfeld zu dem Schluss, dass Menschen die AfD oft nicht aus ökonomischen Gründen unterstützten, sondern "weil sie gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung und die etablierten Parteien protestieren wollen", wie Lengfeld in einem Interview mit der "Zeit" erklärte. Demnach ist die AfD nicht die Partei der "Kleinen Leute", der Modernisierungsverlierer.

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vom Februar 2018 zeigte indes, dass die AfD bei der Bundestagswahl in Westdeutschland in Wahlkreisen stark war, in denen die Einkommen niedrig sind und viele Beschäftigte in der Industrie arbeiten. Im Osten dagegen waren es Landstriche mit einem hohen Anteil älterer Menschen und mit einer hohen Dichte von Handwerksbetrieben, tendenziell also Gegenden, die dünner besiedelt sind.

Monokausale Erklärungen für den Erfolg der AfD griffen der Studie zufolge zu kurz: "Die AfD ist eben nicht die Partei der Arbeitslosen, der Einkommensschwachen oder der Ostdeutschen, die Realität ist vielschichtiger", erklärt einer der Autoren der Studie, Christian Franz.

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