König Abdullah ibn Abd al-Aziz von Saudi-Arabien ist tot. Der Monarch starb im Alter von 91 Jahren. Sein Halbbruder Salman ibn Abd al-Aziz wird neuer König von Saudi-Arabien. Welche Aufgaben der neue König lösen muss, was der Machtwechsel für den arabischen Raum und den Westen bedeutet und warum die Märkte nervös reagieren, erklärt der Nahost-Experte Udo Steinbach im Interview.

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Herr Steinbach, wie muss man sich das Herrschaftssystem in Saudi-Arabien vorstellen?

Steinbach: Es ist ein Königtum, in dem ein Alleinherrscher regiert, der sozusagen zwei Dimensionen hat. Die eine Seite stellt die Familie, der er verantwortlich ist: die Familie Saud – und das sind nicht wenige Menschen, man spricht von 3.000 bis 6.000 Prinzen. Also, das ist sozusagen ein komplexer Laden, mit dem der König fertig werden muss. Das zweite ist der Raum der sunnitisch-wahabitischen Geistlichkeit. Die Machtausübung des Königs, die Legitimität des Königs beruht auch auf deren Zustimmung. Und die hat damit auch einen großen Einfluss auf seine Politik. Man hat also einen Alleinherrscher, der in vielfältigen und komplexen Bezügen steht, die er nicht ignorieren darf, wenn er seine Legitimation zu herrschen nicht verlieren will.

König Abdullah galt als beliebt im Volk. Wie ist das bei dem neuen König Salman?

Salman hatte eine Reihe hochrangiger Funktionen, wie beispielsweise Gouverneur von Mekka. Und da hat er sich Ansehen erworben. Das Problem von Salman wird nicht sein Ansehen in der Öffentlichkeit sein, sondern eher das Management der Politik, sowohl nach innen als auch nach außen. Und natürlich die Frage, wie er den komplexen Familienapparat handhaben wird.

König Abdullah galt als zarter Reformer und hat beispielsweise die König-Abdullah-Universität gegründet, in der Frauen und Männer gemeinsam studieren und forschen. Wird Salman die Politik der sanften Reformen fortführen?

Es wird aller Voraussicht nach keinen innenpolitischen Bruch geben. Die Reformen, die König Abdullah in den vergangenen Jahren durchgesetzt hat, werden wohl Bestand haben. Aber auch von Salman heißt es ja bereits, dass er krank sei. Nach Lage der Dinge sieht es also nicht danach aus, dass er neue, weitreichende innenpolitische Reformen durchsetzen wird, zum Beispiel, was die Stellung der Frau betrifft oder das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Das klingt danach, dass Salman eher ein Übergangskönig ist?

Mit Sicherheit ist Salman ein Übergangskönig. Er hat kein eigenes Profil, das ihn wesentlich von Abdullah unterscheiden würde. Er ist 79 Jahre alt und man munkelt, dass auch er krank ist. Deswegen müssten schon jetzt die Weichen im Königshaus gestellt werden, um die Generation der Enkel an die Macht zu lassen und eine stabile Thronfolge zu bekommen.

Könnte es zu Grabenkämpfen in der Königsfamilie kommen?

Nein. Die Königsfamilie sitzt in einem Boot, das ziemlich gefährdet ist. Einerseits gefährdet, was die innere Situation in Saudi-Arabien anbelangt – die Saudis fürchten, dass die inneren Unruhen aus der Region, aus Syrien, dem Irak, dem Jemen, eindringen und das Land destabilisieren könnten. Das allein schweißt sie schon zusammen. Das andere ist, dass das gesamte außenpolitische Umfeld so fragil ist, dass es nicht angezeigt zu sein scheint, einen ganz neuen Kurs zu fahren. Wenn sich Saudi-Arabien verändern wird, wird es graduell geschehen – in etwa in dem Rhythmus und der Geschwindigkeit, in dem es schon unter König Abdullah geschehen ist.

Was sind die wichtigsten Aufgaben, die Salman angehen und lösen muss?

Die entscheidende Frage, die an den neuen König herangetragen werden wird, ist, wie er die Beziehungen zum Iran gestaltet. Der Iran ist in den vergangenen Jahren das große Schreckgespenst saudischer Politik geworden. Die Saudis sehen überall die iranische Hand. Und wo sie diese Hand sehen, unterstützen sie die Gegenseite. Das hat zur Destabilisierung des arabischen Raums beigetragen. Die Frage, die sich stellt: Werden die Saudis dem amerikanischen Präsidenten folgen und eine Entspannung in ihrem Verhältnis zum Iran suchen oder werden sie weiterhin auf Konfrontation setzen? Der aktuelle Kurs ist sehr kostspielig, weil man die Gegner des Iran finanziell unterstützen muss. Politisch ist er äußerst riskant, weil man eine Großmacht wie den Iran herausfordert. Und der Iran hat viele Hebel auf der arabischen Halbinsel, um sich im Jemen, in Saudi-Arabien, in Bahrain einzumischen. Ich glaube, das ist die große Frage: ob man sich die Konfrontation mit dem Iran weiter leistet oder man dann doch versucht, zu einem 'modus vivendi' zu gelangen.

Was erwarten Sie?

Noch einmal: Die Frage wird sein, wie handlungsfähig der neue König mit Blick auf die Gerüchte um seine Gesundheit ist. Abdullah hat in jüngster Zeit ja nicht mehr viel bewegen können – nicht zuletzt, weil er krank war. Wenn der neue König wirklich handlungskräftig ist, wenn er wirklich entschlossen ist, kann man davon ausgehen, dass er den Versuch unternehmen wird, das Verhältnis mit dem Iran zu entspannen. Er kann sich dann weiterhin auf die amerikanische Politik verlassen. Damit wären zwei Dinge gesichert: Erstens, dass die teure Konfrontation abgebaut wäre, und zum Zweiten, dass die Allianz mit den USA, die ja wesentlich für die Stabilität des Königsreiches ist, nicht weiter unterminiert wird.

Welche Gefahr geht vom Islamischen Staat nach dem Tod von König Abdullah für Saudi-Arabien aus?

Die Saudis fürchten natürlich den Spill-Over-Effekt (Übertragungseffekt eines Ereignisses, Anm.d.Red.) vom Irak nach Saudi-Arabien. Deswegen unterstützen sie den IS auch nicht mehr länger. An dieser Politik wird sich natürlich nichts verändern. Ganz im Gegenteil: Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Sicherheitsmaßnahmen in Saudi-Arabien und an den Grenzen zu den Nachbarn, wo es ja überall lichterloh brennt, verstärkt werden und die Sicherheit im Vordergrund der Politik des neuen Königs stehen wird.

Die Märkte haben nervös auf den Tod von König Abdullah reagiert, der Ölpreis ist leicht gestiegen. Ist ein weiterer Anstieg zu erwarten?

Zunächst einmal ist es absolut verständlich, dass die Märkte so reagieren, wenn eines der am meisten Erdöl exportierenden Länder ins Trudeln geraten könnte. Wenn es zu einer Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran käme, dann wäre das möglicherweise tatsächlich mit einer Änderung der Ölpolitik, der Förderpolitik, der Kosten- und Preispolitik verbunden. Aber darüber zu spekulieren, wäre verfrüht.

Der deutsche Islamwissenschaftler Prof. Dr. Udo Steinbach (70) leitete von 1971 bis 1974 das Nahostreferat bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Anschließend wurde er Leiter der türkischen Redaktion der Deutschen Welle, ehe er zwischen 1976 und 2006 Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg war. Von Februar bis Dezember 2007 stand er dem GIGA Institut für Nahoststudien vor. Seit 2008 leitet Steinbach das Governance Center Middle East/North Africa an der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin.
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