Anders als von vielen Atomkraft-Befürwortern behauptet können neuartige Reaktoren der vierten Generation aus wissenschaftlicher Sicht in den kommenden Jahrzehnten nicht zum Einsatz kommen.
"Alle Technologien brauchen noch mindestens zwei bis drei Jahrzehnte, bis eine Einführung möglich ist", sagte der Physiker Christoph Pistner vom Öko-Institut am Donnerstag bei der Vorstellung einer Studie zur Untersuchung neuer Reaktortypen. Mitautor Christian von Hirschhausen von der Technischen Universität Berlin erwartet eine Marktreife und eine Wettbewerbsfähigkeit nicht in den kommenden "fünf bis sechs Jahrzehnten". Die 652-seitige Studie wurde im Auftrag des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) erstellt. Die Förderung betrug 274 000 Euro.
"Die alternativen Reaktorkonzepte kommen zu spät, um die Pariser Klimaziele zu erreichen", sagte BASE-Präsident Christian Kühn. Trotz teils intensiver Werbung von Herstellern sehe seine Behörde keine Entwicklung, die den Bau alternativer Reaktortypen in den kommenden Jahren in großem Maßstab wahrscheinlich mache. "Im Gegenteil: Wir müssen erwarten, dass aus sicherheitstechnischer Sicht die möglichen Vorteile dieser Reaktorkonzepte von Nachteilen und den nach wie vor ungeklärten Fragen überwogen werden." Die Reaktorkonzepte lösten zudem weder die Notwendigkeit, ein Endlager für die strahlenden Abfälle zu finden, noch drängende Fragen des Klimaschutzes.
Mit Blick auf den ersten internationalen Atomgipfel in Brüssel betonte Kühn, dass es natürlich eine nationale Entscheidung sei, wie die Energieproduktion erfolge. Generell zeige sich aber im nationalen wie im internationalen Diskurs zur Zukunft der Atomkraft, dass wirtschaftliche und sicherheitstechnische Fragen "unterbelichtet" seien.
Die Studie untersuchte sieben Reaktortypen, die sich teils stark von den weltweit meistverbreiteten Leichtwasserreaktoren unterscheiden. Darunter sind etwa blei- und gasgekühlte Reaktoren, Salzschmelzenreaktoren oder beschleunigergetriebene Systeme. Die Reaktoren sollen nach Ansicht ihrer Entwickler gegenüber den jetzigen Kraftwerken Vorteile haben - etwa bei Sicherheit und Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit sowie Brennstoffausnutzung. Auch soll hier weniger hochradioaktiver Abfall anfallen.
Die wissenschaftliche Arbeit des Öko-Institutes, der TU Berlin sowie des Physikerbüros Bremen kommt zum Schluss, dass kein Reaktortyp eine echte Alternative zu den aktuellen Leichtwasserreaktoren darstelle, sagte von Hirschhausen. Hinzu komme, dass schon jetzt der Ausbau erneuerbarer Energien wesentlich günstiger sei als die aktuellen Atomreaktoren. Diese wiederum seien wesentlich günstiger als die neuartigen Konzepte. Auch in den Ländern, wo die Atomkraft stark vorangebracht werde, sei absehbar kein Durchbruch der neuen Technologien erwartbar.
Während in Deutschland im April 2023 die drei letzten Atomkraftwerke vom Netz gingen, gehen Staaten wie die USA, Frankreich, China oder Polen einen anderen Weg und treiben eine Renaissance der Atomenergie voran. In Deutschland werden aber auch Rufe nach einem Wiedereinstieg lauter - etwa von Union, FDP und AfD. © dpa
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