Vor einem halben Jahr, am 7. Oktober 2023, entführte die Hamas 253 Menschen in den Gazastreifen. Seitdem sind einige von ihnen wieder freikommen. Sie berichten von Hunger, Misshandlung und großer Angst.
51 Tage lang hielt die radikalislamische Hamas Aviva Siegel im Gazastreifen fest. "Ich bin durch die Hölle gegangen", sagt die Israelin ein halbes Jahr nach ihrer Entführung. Gemeinsam mit anderen ehemaligen Geiseln berichtet Siegel von den Schrecken der Gefangenschaft. "Wir durften nicht sprechen, wir durften nicht aufstehen, ich hatte Hunger und Durst", schildert sie ihre Zeit in den Händen der Hamas.
Am Morgen des 7. Oktobers drangen Bewaffnete in ihr Haus im Kibbuz Kfar Asa ein und verschleppten sie und ihren Mann Keith. Mehr als sieben Wochen habe die Hamas sie von einem Tunnel in den nächsten geschleppt, erzählt die Frau Anfang 60 mit grauen Locken und runder Brille. Während des Waffenstillstands Ende November kam Aviva Siegel im Rahmen eines Gefangenenaustausches frei, ihr Mann ist bis heute in der Gewalt der Hamas.
Bei ihrem brutalen Überfall nahmen die Hamas-Terroristen etwa 250 Geiseln und töteten nach Zählung der Nachrichtenagentur AFP rund 1.170 Israelis und Ausländer, die meisten von ihnen Zivilisten. Die israelische Regierung geht davon aus, dass noch etwa 130 Entführte im Gazastreifen sind, 34 von ihnen sind vermutlich tot.
Mehr als ein Drittel der Freigelassenen hat inzwischen öffentlich über die Gefangenschaft gesprochen, entweder in Medieninterviews, auf Veranstaltungen oder in Videos, die vom Forum der Geiselfamilien gedreht wurden. Viele von ihnen beschreiben die Zeit im Gazastreifen als "Hölle".
"Sie können sich nicht vorstellen, was die Geiseln durchmachen", sagt Mia Regev, die ebenfalls 51 Tage in der Gewalt der Hamas war, kurz nach ihrer Freilassung. "Ich bin aus der Hölle zurückgekommen." Die 21-Jährige wurde auf dem Musikfestival Nova in der Wüste angeschossen und mit fast 40 weiteren Feiernden verschleppt. "Nach acht Tagen entfernten sie die Kugel aus meinem Fuß und operierten mich. Sie pflegten mich schlecht und behandelten mich unmenschlich. Und als ich hier in Israel ankam, hatte ich komplizierte Infektionen."
Doron Katz-Ascher wurde zusammen mit ihren Töchtern, der vier Jahre alten Ras und der zweijährigen Aviv, entführt und ebenfalls angeschossen. Sie sei "ohne Betäubung, mit Nadel und Faden" behandelt worden. In einem Interview mit dem israelischen Fernsehsender N12 schildert Katz-Ascher ihre "beständige Angst" – einen Zustand, von dem fast alle Geiseln berichten. "Wir waren zu zehnt in einem Zwölf-Quadratmeter-Raum ohne Betten, nur mit einem Waschbecken und Wasserflaschen, meine Töchter hatten Fieber."
Danielle Aloni kam zusammen mit ihrer fünf Jahre alten Tochter frei. "Du schläfst, du weinst, nichts passiert, jeder Tag ist eine Ewigkeit – es ist so beängstigend", beschreibt sie die Wochen im Gazastreifen. Hinzu kam bei den Frauen die Angst vor sexueller Gewalt.
Amit Sussana berichtet von sexuellem Missbrauch
Amit Sussana erzählt in einem ausführlichen Interview mit der "New York Times" von ihrem Missbrauch in Gefangenschaft. Ein Wachmann "richtete die Waffe auf mich und zwang mich, eine sexuelle Handlung an ihm vorzunehmen", sagte die 40-Jährige, die auch aus dem Kibbuz Kfar Asa stammt.
Sussana ist die einzige ehemalige Geisel, die explizit sexuelle Gewalt beschrieb. Doch auch Siegel berichtet von Missbrauch an jungen Frauen: "Sie haben diese Mädchen in Puppen verwandelt, die sie nach Belieben benutzen konnten. Ich bin Zeugin, ich habe gesehen, wie ein Mädchen gefoltert wurde. Ich würde gerne zurückgehen, um sie zu schützen."
Die Deutsch-Israelin Jarden Roman-Gat sagt dem Sender Kan 11 über ihre Geiselhaft: "Als Frau hat man ständig Angst, vergewaltigt oder sexuell missbraucht zu werden, man hat keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Widerstand zu leisten bedeutet, sein Leben zu riskieren, diese Angst lässt einen nie los." Ihre Schwägerin Carmel Gat wird immer noch zusammen mit 13 anderen Frauen im Gazastreifen festgehalten.
Mütter, die mit ihren Kindern entführt wurden, schildern den Horror, die Söhne oder Töchter nicht beschützen zu können. "Es war verboten zu weinen, zu lachen oder laut zu sprechen", sagt Hagar Brodetz, die mit ihren drei Kindern im Alter zwischen vier und zehn Jahren verschleppt wurde. "Man kann einem vierjährigen Kind nicht beibringen, leise zu weinen. Die Kinder hatten Hunger, sie bekamen ein Fladenbrot pro Tag. Ich wünsche es keiner Mutter, dass sie betteln muss, um ihren Kindern etwas zu essen zu geben."
Liat Atzili sagt dem Sender N12: "Ich bin von den Toten zurückgekommen." Die 49-jährige Geschichtslehrerin erfuhr erst nach ihrer Freilassung, dass ihr Mann am 7. Oktober ermordet wurde. Im Interview berichtet sie vom Mangel an Nahrung und Medikamenten und schrecklichen hygienischen Bedingungen. "Jeder Tag war endlos, es war die absolute Verzweiflung." (apf/jos)
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