Festgenommen, gedemütigt, weggesperrt - geschätzte 250.000 Menschen hat der Machtapparat der DDR ins Gefängnis werfen lassen, viele davon nur aus einem einzigen Grund: Weil sie als regimekritisch galten und ihre eigenen Vorstellungen von einem guten Leben hatten. Zwei ehemalige politische Gefangene erzählen, was es für sie bedeutete, einer Diktatur zum Opfer gefallen zu sein.

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Zum zwölften Mal findet in diesem Jahr in Bützow bei Rostock das Treffen ehemaliger politischer Gefangener in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) statt. Noch bis einschließlich Dienstag dient das Forum Ex-Häftlingen als Begegnungs- und Gesprächsstätte. Dort soll an die tragischen Schicksale während der Herrschaft der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland (SED) erinnert werden. Schicksale wie die von Margarete Wegener oder Uwe Kaspereit.

Margarete Wegener, geborene Reuter, war noch unverheiratet und keine 25 Jahre alt, als sie am 27. Februar 1953 plötzlich verhaftet wird. In Schwerin zur Katechetin ausgebildet, gab sie in Brüel Religionsunterricht. Doch der SED war die Arbeit der Jungen Gemeinde, wie die Jugendgruppe innerhalb der evangelischen Kirche in der DDR genannt wurde, ein Dorn im Auge. "Wir störten sie beim Aufbau der FDJ", erzählt Wegener. Wer Mitglied in einer Jungen Gemeinde war, war für die sozialistische Freie Deutsche Jugend meist schon verloren. Das galt auch für Wegener. "Ich war nach dem Dritten Reich nicht noch einmal bereit, hinter einer Fahne herzulaufen."

Bereits während der Ausbildung gingen Wegener und ihre Seminarkollegen dem Regime zu weit. "Wir wussten, dass im Schweriner Untersuchungsgefängnis politische Gefangene waren und fingen eines Abends an, von draußen für die Eingesperrten zu singen, um ihnen zu zeigen: Wir denken an euch." Bald darauf verbot die Polizei die allabendliche Singstunde, doch die Gruppe machte trotzdem noch eine Weile weiter. Als zwei Jahre später eine FDJlerin aus Brüel davon erfährt, zeigt sie Wegener an. Bei der anschließenden Hausdurchsuchung finden Polizisten ein Jugendbuch, "Die Schwestern aus Memel", das sie als rassistisch einstufen, und nehmen die junge Religionslehrerin fest.

Katastrophale hygienische Zustände

In Brüel und Sternberg zunächst verhört, kommt Wegener nach Schwerin in Untersuchungshaft. Auf einmal ist sie nicht mehr nur vor, sondern selbst im Gefängnis. Nach drei Monaten kommt es zum Gerichtsverfahren, in dem die Bauerstochter "wegen Kriegs- und Boykotthetze" zu acht Jahren Zuchthaus mit Vermögenseinzug verurteilt wird. "Das war ein Schock. Ich war immer davon ausgegangen, dass ich freigesprochen werde", erinnert sich Wegener. Die Strafe ergeht "im Namen des Volkes", obwohl eben dieses den Gerichtssaal zur Urteilsbegründung verlassen muss.

1955 wird die junge Katechetin vorzeitig aus dem Zuchthaus in Bützow entlassen. Hinter ihr liegen fast drei Jahre Haft und katastrophale hygienische Zustände. "Wir hatten nicht genug Wasser, um uns richtig zu waschen, trugen alte Polizeiuniformen, also Männersachen, sogar lange Unterhosen", sagt Wegener. "Ich bin froh, dass es aus dieser Zeit keine Bilder gibt." Wie man es erträgt, praktisch grundlos eingesperrt zu sein und seine Familie alle drei Monate nur 20 Minuten lang zu sehen – darauf hat die 86-Jährige für sich längst eine Antwort gefunden: "Ich habe mir immer gesagt, ich muss das durchstehen, eines Tages wird Licht in die Geschichte kommen. Und mein Glaube, der hat mich ungemein getröstet."

Kein vermeintlich rassistisches Buch, sondern ein Ausreiseantrag lässt fast 25 Jahre nach Margarete Wegener den 19-jährigen Uwe Kaspereit 1977 ins Visier der Staatssicherheit geraten. Als er ein Jahr später mit einem Freund Flugblätter mit politischen Forderungen verteilt, kennt der "Arbeiter- und Bauernstaat" keine Gnade mehr. Der gebürtige Bützower kommt ebenfalls nach Schwerin in Untersuchungshaft. Acht Wochen davon in Einzelhaft. "Das war das Schlimmste: Allein in der Zelle zu sitzen und die Wand anzustarren", sagt Kaspereit. "Wenn das noch länger gedauert hätte, wäre ich wahrscheinlich verrückt geworden oder daran zerbrochen."

"Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit"

Im Gefängnis heißt Kaspereit nur noch "Nummer eins", weil er in Bett eins schläft. "Für die war ich keine Person mehr. Nur noch eine Nummer." Als ihm endlich der Prozess gemacht wird, wird er zu weiteren neun Monaten Freiheitsentzug wegen "Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit" verurteilt und kommt ins Zuchthaus nach Cottbus zu anderen Ausreisewilligen, Oppositionellen und Bürgerrechtlern. Auf Bewährung entlassen, rebelliert er, wird wieder festgenommen. "Ich wollte ja ausreisen, um freier zu sein. Mit den Auflagen war ich noch unfreier als zuvor. Deswegen habe ich dagegen verstoßen." Zur Strafe muss er wieder in Haft. Diesmal für 15 Monate.

Am Ende sitzt Kaspereit in Schwerin, Cottbus, Bützow und Berndshof ein. Zur Zwangsarbeit verpflichtet, dreht er Kunststoffformen, schachtet Gräben aus, schleift Drahtverkleidungen ab und gießt Metall. Die letzte Station, das Strafarbeitslager Berndshof, ist die schlimmste. "Da war ich unter lauter Kleinkriminellen, Arbeitsscheuen und Asozialen, wie man so sagte. 25 Mann auf einer Zelle." 1981 nimmt Kaspereits Odyssee abrupt ein vorzeitiges Ende. Für etwa 100.000 Mark, wie er Jahre später erfährt, kauft ihn die Bundesrepublik frei. Offiziell hieß es nur, dass sein Ausreiseantrag bewilligt und er nun "aus der Staatsbürgerschaft der DDR" entlassen worden sei.

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