Schon vorab waren erste Informationen durchgesickert, jetzt hat die französische Flugsicherheitsbehörde Bea einen neuen Zwischenbericht zum Germanwings-Absturz veröffentlicht. Die Ergebnisse der Behörde untermauern die Vermutung, dass der Co-Pilot Andreas Lubitz das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz brachte.

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"Man kann daraus schließen, dass er handlungsfähig war und dass alle seine Handlungen den gleichen Sinn hatten, nämlich das Flugzeug auf den Boden stürzen zu lassen", sagte Bea-Direktor Rémy Jouty in Le Bourget bei Paris. "Als Geste des Respekts" übersetze die Bea den 29-seitigen Bericht auch ins Deutsche. Das Papier zeichnet ein detailliertes Protokoll des Unglücksflugs vom 24. März. Auf die Sekunde genau festgehalten sind darin Funksprüche, Geräusche aus dem Cockpit und Änderungen der Flughöhe. Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

Der Co-Pilot probte den Absturz auf dem Hinflug

Bereits auf dem Hinflug von Düsseldorf nach Barcelona stellte Lubitz mehrfach eine zu niedrige Flughöhe ein, wie die Bea darlegt. "Er hat diesen Handgriff wiederholt", sagte Direktorin Jouty. Erstmals gibt es damit Hinweise, dass der Co-Pilot den Absturz geplant hat und auf dem Hinflug ausgelotet hat, ob und wie sein Vorhaben möglich wäre. Damit wird auch immer unwahrscheinlicher, dass Lubitz nur im Affekt handelte.

Der Bericht zeigt, wie sich in einem Zeitraum von etwa fünf Minuten mehrmals die Einstellungen im Cockpit veränderten. Erstmals stellte Lubitz die Ziel-Höhe des Flugzeugs um 7.20 Uhr und 50 Sekunden auf lediglich 100 Fuß ein, was etwa 30 Metern entspricht. Nach nur drei Sekunden änderte er diese Angabe wieder auf den Maximalwert von 49.000 Fuß und kehrte schließlich auf die Ziel-Höhe von 35.000 Fuß zurück. Zu diesem Zeitpunkt dürfte Lubitz alleine im Cockpit gewesen sein: Fast auf die Sekunde genau um 7.20 Uhr war die Tür zum Cockpit geöffnet und wieder geschlossen worden – offenbar hatte der Kapitän das Cockpit verlassen.

Es blieb jedoch nicht bei dieser einen Höhen-Änderung. Von 7.22 Uhr und 27 Sekunden an war die Höhe für "die meiste Zeit" auf 100 Fuß eingestellt – und diesmal für einen längeren Zeitraum. Denn erst rund 90 Sekunden später (um 7.24 Uhr und 13 Sekunden) stabilisierte sich die Höhe wieder bei 25.000 Fuß, wie vom Kontrollzentrum in Bordeaux vorgegeben. Fast zur gleichen Zeit ertönte der Türsummer für den Zutritt zum Cockpit. Und nur 14 Sekunden später wurde "das Geräusch wie vom Entriegeln und dem Öffnen der Cockpittür aufgezeichnet; dies entsprach der Rückkehr des Kapitäns".

Flugerfahrung und Tauglichkeit von Lubitz

Ausführlich beschreibt die Bea den beruflichen Werdegang des Co-Piloten. Demnach kam er auf insgesamt 919 Flugstunden, im Monat vor dem Unglück auf 30 Stunden. "Während seiner Ausbildung und den wiederkehrenden Checks wurde sein professionelles Niveau von seinen Instruktoren und Prüfern als überdurchschnittlich bewertet", schreibt die Behörde.

Zugleich bekräftigt der Bericht bisherige Informationen, wonach Lubitz seine Ausbildung 2009 für mehrere Monate unterbrach: "Am 9. April 2009 wurde sein Tauglichkeitszeugnis Klasse 1 aufgrund von Depression und entsprechender Medikamentengabe zur Behandlung vom Lufthansa Aeromedical Center nicht verlängert."

Wenige Monate später, am 28. Juli 2009, erhielt der Co-Pilot ein neues Tauglichkeitszeugnis – jedoch mit dem Hinweis "SIC incl. PPL". Dieses Kürzel steht laut Bea für "Specific medical examinations – contact the licence issuing authority". Es schreibt einem Fliegerarzt vor, die Lizenz-Behörde zu kontaktieren, bevor er einen Piloten medizinisch untersucht und über die Verlängerung des Tauglichkeitszeugnisses entscheidet. Von Juli 2009 an erhielt Lubitz jedes Jahr ein neues Zeugnis, das letzte am 28. Juli 2014. Dieses war bis zum 14. August 2015 gültig.

Was vor dem Aufprall geschah

Der Bericht bestätigt ebenso die bisherigen Erkenntnisse, dass Lubitz den Sinkflug bewusst einleitete. Als er alleine im Cockpit war, veränderte er die eingestellte Höhe von 38.000 Fuß auf 100 Fuß. "Das Flugzeug begann einen kontinuierlichen und kontrollierten Sinkflug mit Autopilot", schreibt die Bea.

Das Kontrollzentrum in Marseille versuchte elf Mal auf drei verschiedenen Frequenzen die Flugbesatzung zu erreichen – ohne Antwort. Auch das Verteidigungssystem des französischen Militärs versuchte drei Mal das Flugzeug vergeblich zu kontaktieren. Laut Flugdatenschreiber bewegte Lubitz etwa anderthalb Minuten vor dem Aufprall für rund 30 Sekunden das Steuer des Airbus – jedoch zu schwach, um damit den Autopiloten zu verändern. In den Minuten zuvor hatte er die Geschwindigkeit mehrmals erhöht.

Wichtige Frage ist noch immer offen

Auf nur zwei Zeilen geht der Bericht auf Zeugen des Absturzes ein: "Alle Augenzeugen, die in der Nähe der Unfallstelle waren, sagten aus, dass sie das Flugzeug in einem kontinuierlichen Sinkflug, im Geradeausflug und mit horizontalen Flügeln gesehen haben." Wer diese Zeugen sind, wie viele Menschen das Flugzeug noch in der Luft gesehen haben und zu welchem Zeitpunkt – diese Punkte erwähnt der Bericht nicht.

Der Bea-Bericht ist umfassend, trotzdem bleibt eine wichtige Frage weiter unbeantwortet – die nach dem Motiv: Es gibt keinen Abschiedsbrief oder ein ähnliches Dokument von Lubitz. Bis auf die vergangene Behandlung wegen Depression ist wenig über die Krankengeschichte des Co-Piloten bekannt. Warum also ließ er die Maschine vorsätzlich abstürzen?

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