Der polnische Präsident Lech Kaczyński stirbt am 10. April 2010 bei einem Absturz der Regierungsmaschine. Bis heute halten sich hartnäckig Gerüchte, wie es dazu kommen konnte. Verschwörungstheoretiker sind überzeugt von einem Attentat oder gar einer Entführung.

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Polen trägt Trauer: Vor fünf Jahren wurde Präsident Lech Kaczyński bei einem Flugzeugabsturz nahe des westrussischen Smolensk getötet. Und mit ihm seine Frau Maria sowie 94 weitere Insassen der Regierungsmaschine. Die Tupolew Tu-154 zerschellte bei dichtem Nebel knapp zwei Kilometer vor dem Militärflughafen. So die offizielle Version. Kaczyński war auf dem Weg nach Katyn, um dort der Ermordung polnischer Offiziere durch den sowjetischen Geheimdienst 70 Jahre zuvor zu gedenken.

Es war ein politisch hochbrisanter Termin. Kaczyński galt als russlandskeptisch. Seit Jahren halten sich Gerüchte über ein angebliches Attentat. Jaroslaw Kaczyński, sein Zwillingsbruder, sprach öffentlich von Mord. "Gut 30 Prozent der Polen glauben an ein Attentat. Es gab Zeiten, als diese Zahl wuchs", erzählt Bartosz Vielinski. Der polnische Journalist beschäftigte sich eingehend mit dem Absturz. Immer wieder stieß er bei seiner Recherche auf Verschwörungstheorien - auch, weil sich die Gründe für den Absturz bis heute nicht einwandfrei rekonstruieren lassen. Wie skurril die Theorien teils sind. Was dran ist. Und was wohl wirklich passiert ist. Die Beispiele.

Das Helium-Attentat:

"Schon unmittelbar nach der Katastrophe gab es die Theorie, dass Kaczyński umgebracht worden sein soll. Leute mit Professorentitel aus Amerika oder Westeuropa stellten die verrücktesten Theorien auf", schildert Vielinski. Zum Beispiel, dass Helium gesprüht worden sein soll, die Luft dadurch dünner wurde und das Flugzeug somit nicht mehr flugfähig war. Auch von einer leicht entzündlichen Thermobombe sei die Rede gewesen, erzählt der 36-Jährige. "Doch all das ist lächerlich."

Das Bombenattentat:

Und auch darüber wird bis heute spekuliert. Demnach könnte es mehrere kleinere Explosionen im Rumpf gegeben haben. Das Flugzeug brach auseinander und zerschellte nicht erst bei der Landung. "Alle möglichen Theorien für einen Anschlag wurden in Betracht gezogen", sagt Vielinski. "Echte Wissenschaftler, die sich mit Flugkatastrophen beschäftigen, meinen aber, dass diese Leute keine Ahnung von einfacher Physik haben." Sie sagen, dass das Flugzeug logischerweise in mehrere große Einzelteile zerbrochen sei. Schließlich sei es mit geschätzt 300 Stundenkilometer aufgeprallt. "Bei den Untersuchungen des Flugzeugs wurden keinerlei Spuren von Sprengstoff gefunden. Auch auf dem Flugrekorder war kein Explosionsgeräusch zu hören", schildert der Journalist. "Und mittels chemischer Analysen hätten sich Spuren nachweisen lassen." Die konservative Zeitung "Rzeczpospolita" hatte einst von angeblichen TNT-Spuren berichtet. Die polnischen Behörden aber dementierten.

Die Entführungs-Theorie:

Eine bizarre Verschwörungstheorie besagt, dass das Flugzeug mit Kaczyński nach Sibirien entführt worden sein soll - und der Präsident dort hingerichtet wurde. In Smolensk soll anstelle der Regierungsmaschine ein anderes Flugzeug zerstört worden sein, um den Absturz vorzutäuschen. Der Argwohn gegenüber den Russen kommt nicht von ungefähr. Beide Seiten werfen einander Schlamperei bei den Ermittlungen vor. "Die Russen zeigen sich sehr kontraproduktiv", meint Vielinski.

Luftwaffenchef Blasik nötigte die Piloten zur Landung:

Die Abschnitte des Flugrekorders wurden jetzt neu bewertet. Das Problem: Dabei handelt es sich nicht um Digitalaufnahmen, sondern solche mit magnetischem Band. Ergo: Die Tonqualität ist überschaubar. "Manche Aussagen waren schlicht nicht zu verstehen", erklärt Vielinski. Es gibt den Vorwurf, dass Luftwaffenchef Andrzej Błasik die Piloten trotz deren Weigerung zur gefährlichen Landung genötigt haben soll. "Einer der Gutachter war fest davon überzeugt, dass Blasik in der Kabine war. Der andere Gutachter sagte, es ist hochwahrscheinlich", sagt er. "Die Wissenschaftler sind sehr vorsichtig in ihren Formulierungen." Es sei aber kein Abschnitt gefunden, indem der General den Piloten befahl, zu landen. Auch nicht dafür, dass er angetrunken gewesen sein soll, wie lange vermutet.

Wie es wohl wirklich wahr:

"Wie oft in der Luftfahrt, führte eine Summe an kleinen Fehlern zu einer großen Katastrophe", meint Vielinski. Die Piloten standen unter einem hohen Druck, weil der General tatsächlich offenbar im Cockpit war. Dasselbe gilt für die Fluglotsen am Boden. Die russische Seite wäre peinlich dagestanden, hätte sie einem polnischen Regierungschef die Landung verweigert. "Der Flughafen war in einem schlechten Zustand. Und die Besatzung war nicht ideal ausgebildet für solche Flüge", schildert er weiter. "So sprach nur eine Person Russisch." Verschwörungstheoretiker zumindest, dürften danebenliegen.

Bartosz Vielinski, 36, ist polnischer Journalist. Er arbeitet als Redakteur fürs Auslandsressort der auflagenstärksten Tageszeitung des Landes, der „Gazeta Wyborcza“, mit Sitz in Warschau. Vielinski war zwischenzeitlich Korrespondent in Berlin. Seit Jahren beschäftigt er sich mit dem Absturz der Regierungsmaschine des Präsidenten Lech Kaczyński.
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