Am 2. März war der 20. Jahrestag der Entführung von Natascha Kampusch. 1998 war sie von Wolfgang Priklopil entführt worden. Acht Jahre lang hielt er sie in seinem Haus gefangen, bis sie 2006 fliehen konnte. In der Ö3-Sendung "Frühstück bei mir" spricht Kampusch über damals und heute.
"Manchmal komme ich mir unendlich alt vor", meint
Seit ihrer erfolgreichen Flucht im Jahr 2006 ist sie immer wieder in den Medien, spricht über ihre Gefangenschaft – zum Beispiel in einer "Thema"-Reportage zum 10. Jahrestag ihrer Flucht – und hat zwei Bücher über das Thema verfasst.
Und doch scheint das Bedürfnis seitens der Öffentlichkeit, ihre Geschichte immer wieder zu hören und vielleicht neue Einblicke zu gewinnen, immer noch immens groß zu sein.
Wie in jedem Interview spricht Kampusch auch im Interview mit dem Radiosender Ö3 sehr überlegt, wirkt gleichzeitig vorsichtig in ihren Worten und offen in ihren Gedanken.
Ihre Gastgeberin Claudia Stöckl bedenkt sie mit charmanten Komplimenten: "Wenn ich Sie so ansehe, fürchte ich mich überhaupt nicht vor dem Alter", sagt sie der 1966 geborenen Radiomoderatorin. "Man könnte meinen, Sie sind meine jüngere Schwester."
Gefangenschaft und Vergebung
"Ich hatte die unfassbare Möglichkeit, mich selbst kennenzulernen", sagt Kampusch in der Sendung "Frühstück bei mir" über die Zeit ihrer Gefangenschaft, in der es durchaus Momente gab, in denen sie nicht wusste, ob sie überleben würde. "Durch diese Isolation konnte ich mir sehr viele Gedanken über mich machen."
Sie erinnert sich an die ersten Gedanken, die sie nach der Entführung hatte: "Ich war sehr, sehr traurig, als ich dann schon in dem Verlies war, dass ich den Geburtstag meiner Mutter nicht miterleben würde, ihr nichts schenken könnte".
An den Lieferwagen, in den sie 1998 gezerrt wurde, als sie auf dem Weg zur Schule war, denke sie eher nicht: Da werde sie eher wütend auf sich selbst - weil sie ihrer Eingebung nicht gefolgt war, nicht daran vorbeizugehen.
Stöckl spricht mit ihr über Vergebung. "Ich erinnere mich von selbst selten an diese Person", erklärt Kampusch. Wolfgang Priklopil, den sie stets nur namenlos als "Täter" oder "Entführer" bezeichnet, habe keinen Platz mehr in ihrem Leben.
"Es wäre für mich eine immerwährende Gefangenschaft, würde ich jeden Tag an den Täter denken", führt sie aus. Sie habe ihm vergeben, um sich selbst freizumachen: "Vergebung ist, dass man den Zustand des Anderen sehen kann. Das hat schon etwas Buddhistisches", glaubt Kampusch.
"Man sieht es so, wie es war, aber es berührt einen nicht mehr so, dass es die Zukunft vergiftet. Die Vergangenheit holt mich nicht ein, weil sie vergangen ist", sagt sie. Nur manchmal im Halbschlaf habe sie noch das Gefühl, dass sie eventuell doch noch in dem Verlies sein könnte.
Aktuelle Pläne
Derzeit lebt sie hauptsächlich von den Einnahmen aus ihren Büchern. Sie hat vor, weiter zu schreiben, in unterschiedlichen Genres. Ihr schwebt ein Roman vor, aber Genaueres sagt sie noch nicht.
Die anderen Pläne, die sie über die Jahre immer wieder geäußert hat, sind allerdings noch nicht ad acta gelegt, auch wenn sich diesbezüglich noch wenig Konkretes getan hat.
"Vieles ist noch nicht endgültig abgeschlossen", meint sie. "Es hilft nichts, in einem Zustand, in dem man noch nicht bereit dazu ist, die Dinge nicht perfekt zu machen."
Stöckl spricht Kampusch darauf an, dass es oft Kritik gebe, weil sie in der Öffentlichkeit bleibt. Kampusch erklärt, sie habe schon von Kindheit an den Traum gehabt, in der Unterhaltungsbranche zu sein, vielleicht als Schauspielerin, vielleicht gestalterisch in den Medien.
In die Öffentlichkeit gehe sie nicht nur, um Interviews zu geben und anderen Mut zu machen: "Ich möchte Dinge zum Positiven wenden, helfen", erklärt sie und weist auf ihre Spendenaktion für ein Krankenhaus in Sri Lanka hin.
Privatleben ist für Kampusch privat
Als Stöckl sie nach einem "Bunte"-Artikel fragt, in dem Kampusch als Single dargestellt wurde, wehrt sie ab: Die "Bunte" habe sich das so zusammengereimt.
"Ich sage ja nichts über mein Privatleben, und das möchte ich auch weiter so halten. Ich bin in einer guten Beziehung mit mir selbst, und das ist das Wichtigste."
Ein klein wenig Einblick gibt sie auf Nachhaken dann doch: "Oft machen es einem andere Leute schwer, sie zu lieben. Das ist meine Erfahrung", deutet sie an.
Sie glaubt, dass sich viele gute Männer selbst nicht für so gut hielten und Angst hätten, ihr Schmerzen zuzufügen. Außerdem würden viele die Öffentlichkeit scheuen.
Auf ihren Traummann angesprochen, erklärt sie: "Wichtig ist, dass man sich auf die Person verlassen kann."
Außerdem sei ausschlaggebend, ähnliche Ziele zu haben. Beim abschließenden Fragebogen listet sie noch spontan auf: "Enorm gut aussehend, jugendlich wirkend, intelligent."
Der Triumph über das Unheil
Eigentlich ist schon alles zum Fall Kampusch gesagt, und auch dieses Ö3-Interview bringt kaum neue Erkenntnisse zum Thema. Man bekommt das Gefühl, dass Natascha Kampusch bis an ihr Lebensende regelmäßig vor ein Mikrofon gesetzt werden wird - um sie zu fragen, wie es denn nun wirklich gewesen sei.
Allerdings wirkt es auch so, als würde es ihr immer noch gut tun, über die Geschichte zu sprechen. Die zahlreichen Interviews und die beiden Bücher sind für sie Teil ihrer Aufarbeitung – und die ist ein andauernder Prozess.
"Wer ist letztendlich als Verlierer aus der Geschichte hervorgegangen?", fragt sie an einer Stelle.
Sie konnte fliehen, ihr Entführer warf sich vor den Zug. Jedes Lebenszeichen von ihr ist also ein Triumph über das Schlechte, was ihr widerfahren ist – und so gesehen ergibt es Sinn, dass sie diesen Sieg regelmäßig in der Öffentlichkeit feiern darf.
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