Am 4. Juni jährt sich das Massaker am Platz des himmlischen Friedens zum 25. Mal. Die chinesische Führung ignoriert das Ereignis jedoch – ganz so als hätte es nie einen Volksaufstand gegeben. Auch andere Beispiele zeigen, wie einseitig die offizielle Geschichtsschreibung sein kann.

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Auch heute noch heißt es in China, dass 1989 "durch entschlossenes Eingreifen die Stabilität des Landes gesichert" worden sei, wenn überhaupt über den "Zwischenfall vom 4. Juni" gesprochen wird. Eine kritische Debatte über die blutig niedergeschlagene Demokratiebewegung versucht der Staat schon im Keim zu ersticken. Wer sich nicht daran hält, wird unter Beobachtung gestellt. Dabei kamen in Peking in jenen Tagen Hunderte von Menschen ums Leben, wurden Tausende verhaftet.

"In modernen Diktaturen, vor allem in totalitären Regimen, wird Geschichtspolitik meist auf zwei Arten betrieben", sagt Arnd Bauerkämper, Geschichtsprofessor an der Freien Universität Berlin. "Entweder wird über unerwünschte Begebenheiten vehement geschwiegen oder – wenn ein Ausradieren aus der Geschichte nicht möglich ist – wird die Vergangenheit negativ interpretiert und abgewertet."

Die Wahrheit ist tabu

Vor bald 100 Jahren wurden in der Türkei Hundertausende Armenier getötet. Historiker sprechen von einem Völkermord. Doch diese Tatsache lässt die türkische Staatsführung weitgehend kalt, obwohl vor einigen Jahren selbst die nationalliberal orientierte Zeitung "Hürriyet" eine Diskussion darüber angestoßen hat. Der Genozid an den Armeniern sei noch immer ein Tabuthema, sagte etwa der in Berlin lebende Schriftsteller, Zafer Şenocak, der "Deutschen Welle". "Die Türkei negiert diese Frage und hat die Position, dass diese Ereignisse zwar tragisch sind, aber mehr oder weniger kriegsbedingt waren."

Auch bildlich lässt sich Geschichte instrumentalisieren. Stalin und Lenin ließen nicht selten unliebsam gewordene Mitstreiter aus Fotos retuschieren. So standen etwa 1920 bei einer Rede Lenins in Moskau Leo Trotzki und sein Schwager Lew Kamenew im Originalbild auf den Stufen von Lenins Podest. Später waren statt der beiden Männer nur die Holzstufen zu sehen.

Die Macht der Worte

Nicht nur Menschen, auch Begriffe fallen Weltanschauungen zum Opfer. Im kommunistischen Kuba hat es der Kapitalismus schwer. Seit 1961 unterhalten der Inselstaat und die USA keine Beziehungen miteinander. "Wir verlangen nicht, dass die USA ihr politisches und soziales System ändern, und wir akzeptieren keine Verhandlungen über das unsrige", sagt Präsident Raúl Castro. Wie weit die Abneigung geht, sieht und hört man auf Kuba tagtäglich. So wird etwa das kapitalistische Wort "Unternehmer" vermieden. Stattdessen spricht man bei Selbstständigen nur noch von "Cuentapropistas". Der Begriff bedeutet wörtlich, auf eigene Rechnung zu arbeiten.

Während der 14. Mai in Israel als "Unabhängigkeitstag" gefeiert wird, nennen die Palästinenser den Folgetag "Nakba", "Katastrophe". Sie begann am 15. Mai 1948 mit der Flucht und Vertreibung von rund 700.000 palästinensischen Bauern. Israel erkennt diese leidvolle Erfahrung nicht an. Im Gegenteil: Im März 2011 beschloss die Knesset ein Gesetz, das Palästinensern zwar nicht das Gedenken verbietet, aber Institutionen finanziell abstraft, die Gedenkfeiern abhalten oder öffentlich unterstützen.

Absurd wird es, wenn wie im Fall Nordkoreas die Herkunft der nordkoreanischen Führer mythologisch verklärt wird. Tatsächlich lernen Schulkinder nämlich, dass die Kims vom Himmel kommen und auf dem Gipfel des Paektu-san-Berges zu Menschen gemacht werden. Und: Vor dem allmächtigen Führer, in der Einheit von Vater, Sohn und Enkel, sind alle gleich in ihrer Brüderlichkeit. Menschliche Unterschiede wie Herkunft, Geschlecht, Stand und Besitz haben keine Bedeutung. Der Führer will es so - und schreibt die Geschichte, wie sie am besten passt.

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