Die Gesellschaft altert - und damit wächst auch die Zahl der Senioren hinter Gittern. Manche Gefängnisse, wie die JVA Bielefeld-Senne, haben sich mit speziellen Abteilungen auf die Insassen der Generation 60plus eingestellt. Dort saß unter anderem auch der Ex-Topmanager Thomas Middelhoff ein.

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In einer zunehmend alternden Gesellschaft nimmt auch die Zahl der Senioren hinter Gittern zu. "Mehrere Bundesländer haben bereits auf die demografische Entwicklung im Justizvollzug reagiert und entsprechende Haftplätze vorgesehen, die pflegebedürftigen oder betreuungsintensiven Inhaftierten im höheren Alter vorbehalten sind", sagt der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten, René Müller.

Es sei sinnvoll, länderübergreifend einen "Seniorenvollzug" auszubauen und unter den Bundesländern zu kooperieren, um den wachsenden Bedarf an Haftplätzen zu decken. Der Personal- und Kostenaufwand sei hoch.

Zahl der alten Menschen im Vollzug wächst

Laut Statistischem Bundesamt waren im März 2017 von deutschlandweit rund 52.000 Strafgefangenen 8,1 Prozent 55 Jahre alt oder älter. Und 4 Prozent gehörten der Gruppe 60plus an - mit deutlich steigender Tendenz.

Die bundesweit meisten Haftplätze in speziellen Seniorenabteilungen gibt es im ostwestfälischen Bielefeld-Senne, in der zugleich größten JVA des offenen Vollzugs in Europa.

Hier ist zum Beispiel Siegfried L. inhaftiert. Er ist 64 Jahre alt und war schon so oft im Knast, dass er mit dem Zählen aufgehört hat. "Zusammengerechnet komme ich so etwa auf zwölf Jahre Haft." Immer wieder ging es um Drogen. Raus, wieder rein.

Nun sitzt er - wegen Urkundenfälschung - in Bielefeld-Senne ein. "Die Gefangenen sind hier ruhiger, viele auch kränker. Die medizinische Versorgung ist wichtig", erzählt der 64-Jährige, der schon drei Herzinfarkte hatte.

"Die Zahl der alten Menschen im Vollzug ist stetig gewachsen, und der Bedarf an altengerechten Haftplätzen wird weiter steigen", sagt die Leiterin der JVA Bielefeld-Senne, Kerstin Höltkemeyer-Schwick.

Die Seniorenabteilung ist mit 87 Plätzen auf die spezielle Klientel ab 60 Jahre zugeschnitten. Eine keinesfalls homogene Gruppe: "Unter den lebensälteren Häftlingen sind viele Betrugsdelikte vertreten. Zu uns wechseln aber auch schwere Straftäter, um im offenen Vollzug auf die Freiheit vorbereitet zu werden."

Der wohl prominenteste 60plus-Häftling dort war der frühere Topmanager Thomas Middelhoff. In der Seniorenabteilung verbüßte der Ex-Konzernlenker seine Strafe wegen Untreue, bis er als 64-Jähriger Ende 2017 wieder auf freien Fuß kam.

Personal- und Kostenaufwand bei älteren Gefangenen besonders hoch

Der Bund der Strafvollzugsbediensteten sieht in einigen Bundesländern wachsenden Bedarf für Seniorenvollzug. BSBD-Chef René Müller betont: "In der Regel sind Gefangene im hohen Alter pflege- und betreuungsintensiver." Personal- und Kostenaufwand seien groß.

Wie sieht der JVA-Alltag der Betagten in Senne aus? Bei allen Besonderheiten und Lockerungen gilt: "Es bleiben Straftäter und natürlich sind sie ihrer Freiheit beraubt", wie Höltkemeier-Schwick klarstellt.

In zwei Abteilungen sind nur Senioren untergebracht, in einem dritten Flur sind Alt und Jung gemischt. Die Duschen haben besondere Haltegriffe, WC-Sitze sind erhöht, die Betten ebenso.

Arbeit in Gärtnerei, Tischlerei oder Schlosserei ist Pflicht bis 65 Jahre. "Wer älter ist und noch kann und will, wird ebenfalls eingesetzt - was recht gefragt ist", schildert Detlev Schlingmann, Bereichsleiter der Seniorenabteilung.

Die Menschen altern in der Haft schneller, beobachtet JVA-Arzt Uwe Tamm. "Wir haben hier multimorbide, schwer kranke Patienten." Sie kommen mit Lungen-, Herz- oder Kreislauferkrankungen, Hepatitis C oder Diabetes.

Sozialdienst und Seelsorge haben viel zu tun

Die Betreuung bei altersbedingten Krankheiten werde in der Seniorenabteilung großgeschrieben. Bei Pflegebedarf oder Demenz müssen die Häftlinge aber in andere spezialisierte Häuser außerhalb der JVA Senne wechseln.

Sozialdienst und Seelsorge haben viel zu tun: "Es gibt alle Extreme. Die sozialen Unterschiede sind riesig. Einige sitzen hier in Anstaltskleidung, andere im Designeranzug", schildert Seelsorgerin Daniela Bröckl. Vielen fehle jede Perspektive für die Zeit danach - ein Job komme altersmäßig nicht mehr in Frage, von der Familie sei womöglich keiner mehr übrig, ein Heimplatz nicht in Sicht.

Die JVA-Leiterin sagt: "Einzelne wissen nicht, was sie im hohen Alter draußen noch anfangen sollen. Einer lässt sich nach jeder Entlassung wohl extra beim Diebstahl erwischen, um wieder hier zu landen." (dh/dpa)

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