Schock, Beklemmung und zum Schluss doch ein Gefühl dafür, dass sich Gerechtigkeit stark verspätet einstellen kann. In der ZDF-True-Crime-Reihe "XY gelöst" rollt Sven Voss Verbrechensfälle auf, die schwer an die Nieren gehen.

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Es sind die Fälle, die auch hart gesottenen Ermittlern über Jahre keine Ruhe ließen. In zwei neuen Doppelfolgen nimmt Sven Voss das ZDF-Publikum, aber auch Kriminalexperten mit auf eine verstörende Spurensuche. Was genau passierte, konnte in diesen sogenannten "Cold Cases" teilweise erst nach großem zeitlichen Abstand festgestellt werden.

Bei aller Drastik und allem Frust darüber, dass Recht und Gesetz so lange versagten: Beide Fälle, die am Mittwochabend im Zweiten vorgestellt wurden, sind im Grunde beste Eigenwerbung für den Aufklärungswillen des Senders. Denn: Die jeweils entscheidenden Hinweise bei den letztlich doch noch gelösten Mordrätseln kamen vom ZDF-Publikum, nachdem sich die Polizei an die Sendung "Aktenzeichen XY" gewandt hatte.

Kriminaler erinnert sich in "XY gelöst" (ZDF): "Leiche wie Müll hinabgeworfen"

Kein Wunder, dass auch die Machart der beiden Verbrechens-Nacherzählungen, die in Teilen aufgezogen sind wie ein Krimi, an die Fahndungsreihe mit Moderator Rudi Cerne erinnert. Auch "XY gelöst" arbeitet mit Spielszenen und dezent eingesetzten Schock- und Gruseleffekten. Allerdings sieht man eben auch authentisches Material - ehemalige Tatort-Fotos, Phantombilder oder Landkarten mit möglichen Leichen-Ablageplätzen. Dazu bringt die Sendung die Ermittelnden von einst sowie Freunde und Hinterbliebene der Opfer vor die Kamera.

So ergeben sich Wiederbegegnungen, die auch abgebrühte Verbrechensbekämpfer noch heute tief erschüttern: "Es sah aus, als wäre die Leiche wie Müll hinabgeworfen worden", erinnert sich im ZDF-Beitrag Gerhard Hoppmann. Er war einst der leitende Kriminaler, der den höchst rätselhaften Fall vom "Toten ohne Namen" zu bearbeitet hatte.

Im Dezember 1996 wurde in einer Kiesgrube in einem Wald bei Kleve eine brutal entstellte, unbekleidete Männer-Leiche gefunden. Durch massive Kopfverletzungen war das Gesicht des Opfers so stark zerschmettert, dass eine Identifizierung über in der Presse zu veröffentlichende Fotos nicht denkbar war.

"Papa hat uns doch nicht verlassen?"

Im Gespräch mit dem ZDF-Journalisten Voss kehrt Hoppmann an den Fundort der Leiche zurück. Mittlerweile hat der Tote von damals einen Namen. Und der steht nun auch - mit fast 25 Jahren Verspätung - endlich auf seinem Grabstein. Die Angehörigen haben einen Ort zum Trauern und zum Erinnern. Im Film spricht vor allem die längst erwachsen gewordene Tochter Sabrina, die ihren Vater damals so sehr vermisste und sich nicht erklären konnte, warum er spurlos verschwunden war.

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Als kleines Mädchen hatte man ihr erzählt, ihr Vater sei wegen seiner hohen Schulden ins Ausland abgetaucht. "Papa hat uns doch nicht verlassen?", verzweifelt Sabrina in einer Rückblickszene. Ihr Bruder fuhr sie damals schroff an: "Kapier doch endlich, dass er weg ist und sich einen Dreck für uns interessiert!" Mittlerweile wissen beide: Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Ihr Vater wurde ermordet - im Streit um ausstehende Entlohnung von den eigenen ehemaligen Arbeitskollegen aus seiner kleinen Hinterhofwerkstatt.

Ermittlerinnen: "Was für ein Albtraum"

Tatsächlich kam erst nach der Ausstrahlung eines Zeugenaufrufs bei "Aktenzeichen XY ... ungelöst" im Jahr 2019 neuer Schwung in die zuvor ergebnislosen Ermittlungen. Damals meldete sich ein Anrufer, der mehr über den Toten aus der Kiesgrube wusste. "Das belastet mich seit 23 Jahren", sagte er. Der Polizei verriet er wenig später: Sein Bruder war einer der beiden Täter von damals.

Auch im zweiten Beitrag des ZDF-Abends, "Tödliche Freiheit", brachten Zeugenberichte aus "Aktenzeichen XY" entscheidende Hinweise zur Verurteilung der Täter. Aufgerollt wird hier der sogenannte "Ehrenmord" an einer zur Tatzeit 35-jährigen Frau, einer sechsfachen Mutter, die im Film "Delisa" heißt. Die Jesidin, die zuvor schon von ihrem Ehemann und dessen männlichen Verwandten wiederholt misshandelt worden war, war in ein Frauenhaus geflohen und strebte ein selbstbestimmtes Leben an - inklusive einer Beziehung zu einem Muslim.

Es waren aus Sicht der jesidischen Glaubensgemeinschaft unverzeihliche Regelüberschreitungen, die ein unfassbares Gewaltverbrechen nach sich zogen. Delisa wurde eiskalt ermordet - angeblich, um so die Ehre der Familie wiederherzustellen. Was kaum zu verstehen und schwer zu verdauen ist: Die Täter waren nächste Angehörige - darunter der Ehemann, ein Schwager und Delisas eigener Sohn. "Was für ein Albtraum", bilanziert da völlig nachvollziehbar eine der fassungslosen Ermittlerinnen von einst.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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