Wilder Haarwuchs, graue Schläfen, rausgewachsene Stufen und Dauerwellen: Ab Montag ist Schluss mit dem Lockdown-Look. Ein kleiner Schritt zurück ins normale Leben – und zum normalen Ich.
Ab 1. März dürfen Friseursalons wieder öffnen. Nach drei Monaten können es viele kaum erwarten, ein Ansturm ist programmiert. Darüber freut sich auch der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Friseurhandwerks: "Endlich haben wir eine Perspektive." Für viele andere Einzelhändler*innen und Dienstleister*innen gibt es eine solche Perspektive (noch) nicht.
Haare haben Auswirkungen aufs Gemüt
Doch Bayerns Ministerpräsident
Würde man die Kandidatinnen von "Germany’s Next Topmodel" fragen, wäre die Antwort ein klares Ja. Spätestens wenn Heidis "Meedchen" nächsten Donnerstag wieder zum großen Umstyling gebeten werden, sind hitzige Diskussionen und Tränen garantiert. Aber auch für uns "Normalos" gilt: Ein Haarschnitt kann identitätsstiftend sein, sogar zum Markenzeichen werden. Er kann das Aussehen komplett verändern, Menschen jünger, älter, moderner, spießiger, interessanter, langweiliger wirken lassen. Eine neue Frisur kann frischen Wind in Look und Leben bringen. Und das hat Auswirkungen aufs Gemüt.
Humor, Pragmatismus und Mützen
"Ich erschrecke mich morgens vor meinem eigenen Spiegelbild", beichtete mir erst kürzlich mein Vater am Telefon. Normalerweise trägt er einen klassischen Fassonschnitt – momentan kämpft er mit wild abstehendem Deckhaar und Kringellöckchen im Nacken. "Ein bisschen wie Albert Einstein", lacht er. "Doch wenn ich alles nach hinten kämme, sehe ich aus wie ein alternder Tango-Tänzer." Humor hilft also, erst recht an Bad Hair Days. Ein Foto will er mir dennoch nicht schicken, zumindest nicht vorm 3. März, denn dann hat er einen Termin zum Haareschneiden. Ein Impftermin wäre ihm zwar lieber, aber das ist ein anderes Thema.
Mein Mann nahm das Problem indes pragmatisch in Angriff. Vor einigen Tagen machte er mithilfe eines Kurzhaarschneiders kurzerhand kurzen Prozess. Statt lässiger Lockdown-Locken trägt er neuerdings Glatze – zum ersten Mal in seinem Leben. Ich liebe ihn trotzdem. Besser ist das. Schließlich muss auch er mich tagtäglich ertragen. Oder vielmehr: mein Gejammer.
Denn manchmal stehe ich vorm Spiegel und bin mir ganz fremd. Der Teint fahl, der Blick müde, die Haare ... na ja, die verstecke ich lieber unter einer Mütze. Haarstyling gehört nämlich nicht zu meinen Talenten. In der Hoffnung, etwas Zeit zu schinden, hatte ich mir deshalb vorm Lockdown meine langen Locken abschneiden lassen. "Ein gerader, stumpf geschnittener Bob", riet mir mein Friseur damals, "sieht auch dann noch gut aus, wenn er etwas rausgewachsen ist."
Drei Monate, viereinhalb Zentimeter Haarwuchs
Stimmt schon, aber drei Monate können lang sein – im Durchschnitt viereinhalb Zentimeter lang. Der entsprechend breite Stinkdachs-Streifen, wie ich das rausgewachsene Grau an meinem Scheitel liebevoll nenne, sieht trotz coolem Bob leider nur doof aus. Nächste Woche mache ich einen Termin zum Nachfärben.
Angeblich soll es aber auch Menschen geben, die sich mit ihrem neuen Aussehen arrangiert haben, es sogar richtig gut finden. Wird es also nun neue wilde Frisurentrends geben oder mehr Mut zu rausgewachsenem Grau? Ich halte das für ein Gerücht. Denn selbst das schönste Silbergrau und wallende Locken sehen nur dann gut aus, wenn sie gut gepflegt und geschnitten sind.
Um dennoch sicherzugehen, startete ich in meinem Bekanntenkreis eine kleine Umfrage – ich wollte wissen, wem sein Lockdown-Look so gut gefällt, dass er oder sie ihn beibehält. Das Ergebnis: Nur ungefähr 5 Prozent von mehr als 100 Leuten mögen ihren neuen Look. Die meisten anderen haben entweder schon einen Friseurtermin oder werden versuchen, einen zu ergattern. Und viele von ihnen – mich selbst eingeschlossen – in der Hoffnung, sich selbst wiederzufinden.
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