Wenn die erste Verliebtheit endet, fangen oft schon die Probleme an. Eine Paartherapeutin erklärt: In den meisten Fällen fehlt gar nicht die Liebe, sondern eine ganz andere Zutat, die viele Paare mit der Zeit einfach vergessen. Die gute Nachricht: Das lässt sich wieder ändern.
Was macht uns eigentlich glücklich? Für die meisten ist Gesundheit die Basis von allem, wie aus der Glücksstudie des SINUS-Instituts 2019 hervorgeht. Für 51 Prozent ist sie das Wichtigste. Gleich dahinter landete "eine gute Partnerschaft" mit 32 Prozent.
Für unsere Gesundheit sind wir bereit, einiges zu tun, wie der Trend zu besserer Ernährung und Fitness zeigt. Doch wie gut kümmern wir uns um unsere Beziehungen?
Wo Verliebtheit endet, fängt Beziehungspflege an
Was laut der Paartherapeutin Anette Frankenberger das Basisrezept für eine glückliche Beziehung ist, lässt sich mit einem Wort zusammenfassen und ist doch das, was bei vielen Paaren irgendwann auf der Strecke bleibt: die Freundlichkeit.
"Es ist ein weit verbreitetes Phänomen: Zum eigenen Partner, der uns eigentlich der nächste und wichtigste Mensch ist, sind wir am scheußlichsten", sagt sie.
Der andere als Ventil - bei Stress, Genervtheit, schlechter Laune. Ist das überhaupt noch Liebe? "Genau da fängt Liebe an", betont Frankenberger. "In der ersten Phase der Verliebtheit werbe ich ganz selbstverständlich um den anderen, will ihm unbedingt gefallen. Wo das aufhört, beginnt Liebe. Und mit ihr die Beziehungspflege."
Die ganze Welt dreht sich um mich: Wie wir programmiert sind
Warum Beziehungspflege uns so schwer von der Hand geht, lässt sich erklären. Zum einen steckt eine gefährliche Bequemlichkeit dahinter: "Wir haben geheiratet - also gehört der andere ja für immer zu uns. Hier können wir uns jetzt gehen lassen und müssen uns nicht mehr bemühen", umschreibt Frankenberger.
Das werde zur Gewohnheit, doch komme etwas tief in uns Verankertes hinzu. Es gehöre gewissermaßen zu den "Standardeinstellungen" des Menschen, um es mit den Worten des US-Schriftstellers David Foster Wallace auszudrücken: Dem Menschen sei eine egozentrische Weltsicht einprogrammiert. Er würde sich selbst gerne als Mittelpunkt der Welt betrachten, samt der damit verbundenen Schwierigkeit, sich in die anderen hineinzuversetzen.
"Man kann auch sagen: Es ist evolutionär bedingt", erläutert Frankenberger. "Der Mensch, der überall das Schlechte vermutete und hinter jedem Busch eine Gefahr für sich sah, überlebte eher als jener, der blauäugig und fröhlich durch die Gegend sprang. Diese negative Grundeinstellung ermöglichte das Überleben."
Während wir heute gar nicht mehr in dieser Form ums Überleben kämpfen müssen, blieb die egozentrische Weltsicht: "Die Ampel ist grün, aber der Fahrer vor mir fährt nicht - er tut das doch nur, um mich zu ärgern!"
Diese "Standardeinstellungen" aufzubrechen, erfordert nach Wallace aktives Denken und die bewusste Entscheidung für Empathie - zu erkennen, dass der andere seine eigenen Motive und Gefühle hat und es gar nicht nur um mich geht.
"Wir müssen in unserem Umgang miteinander das Positive sehen - es gibt so viel mehr davon als Negatives", sagt Frankenberger. Zwar laute die typische Einstellung "Ich bin nicht blauäugig, sondern Realist und sehe deshalb das Negative". Richtig und gesünder aber wäre: "Ich bin Realist - und deswegen positiv eingestellt!"
Tipps für eine glückliche Beziehung
Für die Partnerschaft gilt das ganz besonders, denn etwas Einzigartiges kommt hinzu: "Hier auf engstem Raum, wo wir einander genau kennen, sind wir am verletzlichsten. Das missfällt uns sehr, also wappnen wir uns: Wir schießen den anderen an, bevor der überhaupt etwas ahnt - und dieser schießt dann zurück. Ein Teufelskreis!", warnt Frankenberger.
"Statt besonders behutsam, sind wir besonders eklig miteinander." Zudem werde uns Unfreundlichkeit in diversen Lebensbereichen vorgelebt, Kinder übernähmen sie bereits von ihren Eltern. "Wir meinen, so muss es eben sein", beobachtet die Paartherapeutin.
Die Lösung heißt: ausbrechen aus diesem Teufelskreis, die "Standardeinstellung" aktiv ändern, nicht gleich zurückschießen, wenn ich mich angegriffen fühle. Frankenberger gibt dafür folgende Tipps:
- Ihr Partner ist unfreundlich, macht Vorwürfe. Statt ebenfalls zu schießen, fragen Sie mit ehrlichem Interesse: "Was macht dich gerade so aggressiv?" Oder: "Warum bist du genervt?"
- Eine weitere Möglichkeit: das Thema in einem ruhigen Moment grundsätzlich ansprechen: "Viele Paare haben das Problem, dass sie lieblos und unfreundlich miteinander umgehen. Ich beobachte das bei uns auch. Wäre es nicht schön, das zu ändern, wollen wir uns das mal vornehmen?"
- Ein höflicherer Umgang kann auch zum Projekt für die ganze Familie werden. "Bitte und Danke sagen, einander helfen - Kinder sind dafür viel empfänglicher als Erwachsene oft denken,und werden bestimmt mitmachen", sagt Frankenberger.
- Wichtig für eine gute Stimmung: Positive Äußerungen und Verhaltensweisen müssen ganz deutlich überwiegen. Der Therapeut John Gottman erstellte nach jahrzehntelangen Untersuchungen dafür sogar eine Liebes-Formel: 5:1. In einer glücklichen Ehe oder Familie überwiegt also das Positive das Negative mindestens um das Fünffache.
- "Kann ich dir etwas bringen?" Erfreuen Sie den Partner mit kleinen Aufmerksamkeiten oder dem einfachen Satz "Ich liebe dich".
- Zeigen Sie Ihrem Partner, dass Sie ihn sehen ("Wie geht es dir?", "Danke, dass du mir geholfen hast!"), interessieren Sie sich und hören Sie aufmerksam zu.
- Warten Sie nicht darauf, dass der andere Ihnen Wünsche von den Augen abliest. Der Begründer der gewaltfreien Kommunikation, Marshall Rosenberg, drückte es so aus: "Lerne zu sagen, was mit dir los ist und was dein Leben wunderbar machen würde."
- Wer unfreundlich mit anderen ist, ist sehr häufig auch unfreundlich zu selbst. Achten Sie auf Selbstfürsorge: Sich regelmäßig etwas Gutes zu tun, ist für das Glück der ganzen Familie entscheidend.
Liebe als Insel der Erholung
"Für diese Verhaltensänderungen müssen wir unsere Gewohnheiten aufbrechen. Das kostet Kraft, es ist erst einmal schwer", räumt Frankenberger ein. "Wir haben uns so an den achtlosen Umgang gewöhnt, dass er uns scheinbar leichter fällt - aber eben nur scheinbar." Denn: "Stress wird nicht weniger, wenn wir ihn am Partner oder der Partnerin auslassen, sondern mehr."
Das Zuhause, die eigene Beziehung müsse der Raum für Erholung sein - "nicht ein weiterer Kriegsschauplatz", sagt sie. Darum sollte "sich beim anderen gehen lassen" so aussehen:
- "Ich habe gerade schrecklichen Stress, mir geht es nicht gut. Kannst du mich mal fest in den Arm nehmen, bitte?"
"Damit helfe ich dem anderen, mir zu helfen", betont die Therapeutin, die genau diese Tipps den Paaren in ihrer Praxis als Allererstes gibt. "Zwei Menschen im Panzer können sich nur schwer begegnen. Doch zwei Menschen, die zugeben, verletzlich zu sein und entsprechend behutsam miteinander umgehen - darüber findet echte Begegnung statt."
Freundlichkeit werde oft abgewertet oder belächelt: "Als wäre sie eine rosa Soße, die man drüberkippen kann, aber nicht unbedingt braucht. Dabei wird der, der freundlich ist, eben diese Freundlichkeit auch zurückbekommen und spüren, wie sein ganzes Leben weicher und liebevoller wird."
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