Männer und Frauen haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wann es angebracht ist, um Verzeihung zu bitten. Doch wer es zu häufig tut, kann seinem Ansehen und seiner Karriere schaden.

Anja Delastik
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Anja Delastik dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Sorry seems to be the hardest word," bedauerte Elton John einst. Dabei, so scheint es, geht "Sorry" vielen von uns viel zu leicht von den Lippen. Und damit meine ich vor allem uns Frauen. Doch bevor sich Männer jetzt empören: Nein, das liegt nicht am viel und fälschlicherweise beschworenen männlichen Starrsinn.

Mehr zum Thema Beziehung

Sind Männer überzeugt, etwas falsch gemacht zu haben, ist die Wahrscheinlichkeit einer Entschuldigung genauso hoch wie bei Frauen. Einzig: Bei uns Frauen ist die Schwelle deutlich niedriger, wir fühlen uns schneller genötigt oder verpflichtet uns zu entschuldigen. Ganz egal, ob andere denken, wir hätten einen Fehler gemacht oder nicht.

Typisch Frau - reine Gefühlssache

Eine psychologische Studie der University of Waterloo in Ontario, Kanada, bestätigte diese Schwellentheorie. Die Psychologen baten die Teilnehmer, sowohl imaginäre als auch erinnerte Fehltritte einzuschätzen.

So sollten sie sich beispielsweise vorstellen, einen Freund spät in der Nacht aufgeweckt zu haben, der deshalb am nächsten Tag bei einem Bewerbungsgespräch versagte.

Wie erwartet, beurteilten Männer solche Vergehen als weniger schwerwiegend. Frauen hingegen waren häufiger der Meinung, der Freund verdiene eine Entschuldigung. Reine Gefühlssache also.

Streben nach Perfektion

Vor allem im Berufsleben sollten wir Frauen darum gelegentlich darüber nachdenken, ob das "Sorry" auch wirklich notwendig und angebracht ist. Viele von uns streben im Job nach Perfektion – und wenn wir scheitern, entschuldigen wir uns für unsere vermeintliche Unzulänglichkeit. Dabei sind die Erwartungen der anderen meinst viel niedriger als unserer eigenen Ansprüche.

Doch wer sich ständig dafür entschuldigt, eine E-Mail nicht schnell genug beantwortet zu haben oder jede Meinungsäußerung mit "Sorry, aber..." einleitet, muss sich nicht wundern, wenn andere irgendwann das Gefühl bekommen, er mache tatsächlich andauernd etwas falsch.

Nicht nur, aber auch deshalb werden viele Frauen im Job oft falsch beurteilt, unterschätzt – und untergebuttert oder bei der nächsten Beförderung oder Gehaltserhöhung übersehen. Sorry, not sorry.

Verbocken und verzeihen

Wir müssen uns bewusst machen, dass fehlplatzierte "Sorrys" unsere Glaubwürdigkeit und unseren Status beschädigen können – und uns weniger kompetent erscheinen lassen als wir sind.

Kann sein, dass es einige Zuhörer sympathisch finden, wenn wir uns im Vorfeld einer Präsentation für unsere Nervosität entschuldigen. Jedoch müssen wir dann auch damit rechnen, dass wir auf andere unprofessionell oder schlecht vorbereitet wirken.

Gewiss, jeder ist irgendwann mal mit irgendwas überfragt oder überfordert. Voll okay. Dennoch gilt: Es wirkt souveräner, geradeaus zuzugeben, wenn man etwas nicht weiß oder kann, als sich stammelnd dafür zu entschuldigen.

Statt "Sorry" wie ein Füllwort zu benutzen, sollten "Verzeihung", "Entschuldigung", "Tut mir leid" und meinetwegen auch das "Sorry" jenen Situationen vorbehalten bleiben, in denen man wirklich etwas verbockt hat oder jemandem zu nahe getreten ist.

Zum Beispiel wenn man jemanden versehentlich anrempelt. Komischerweise kommt es uns dann nur schwer über die Lippen. Sorry seems vielleicht doch manchmal the hardest word.

Mehr Beziehungsthemen finden Sie hier

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.