- Immer mehr Menschen bekennen öffentlich, in einer Beziehung mit sich selbst zu sein.
- Auch Stars wie Selena Gomez haben sich unlängst selbst geheiratet.
- Ist dieser Sologamie genannte Trend Ausdruck von Selbstliebe - oder eher von Selbstverliebtheit?
- Ein Paartherapeut ordnet im Interview den Trend ein.
Herr Hegmann, schon 2003 heiratete Carrie Bradshaw in der Serie "Sex and the City" sich selbst. 2017 sagte das Model
Eric Hegmann: Sologamie ist ein Kunstbegriff, um dem Bedürfnis einen Namen zu geben, eine liebevolle Beziehung mit sich selbst einzugehen. Der Wunsch danach erhält dadurch eine Bezeichnung, die vielleicht Personen mit ähnlichen Bedürfnissen hilft, diese einzuordnen. Im positiven Sinn ist es ein Symbol für Selbstliebe und die eigenverantwortliche Entscheidung, ohne Partner oder Partnerin das Leben oder einen Lebensabschnitt zu verbringen. Aus einer negativen Perspektive ließe sich vielleicht vermuten, hier scheut jemand die Verbindung zu einer anderen Person, vielleicht wegen früherer Verletzungen, vielleicht aus Bindungsangst.
Auch wenn die Selbstheirat weder rechtlich noch steuerlich anerkannt und somit vielmehr ein symbolischer Akt ist, ist ein eindeutiger Trend zu beobachten. Die Hochzeitsindustrie etwa bietet "Self-Wedding-In-A-Box"-Pakete, Hochzeitsplanungen oder sogar Selbstheirat-Flitterwochen an. Eine gewisse Nachfrage scheint also vorhanden zu sein.
Tatsächlich erlebe ich die nicht. Aber ich weiß wohl, dass es Suchmaschinen-Marketing gibt und dass sich Bedürfnisse auch erzeugen lassen über ein Produkt. Laut einer Studie, die ich begleitet habe, sind bis zu 20 Prozent der Alleinstehenden nicht auf der Suche nach einem Partner oder einer Partnerin. Und dies meist zeitweise, also in Phasen, in denen die eigenen Bedürfnisse erkundet werden, in denen man von früheren Beziehungserfahrungen heilen will. Einige entscheiden sich, grundsätzlich keine Beziehung einzugehen. In der Praxis erlebe ich diese Haltung jedoch immer als eine Vermeidungsstrategie. Das lässt sich aber nicht verallgemeinern - wer mit der eigenen Sologamie zufrieden ist, wird sich kaum um therapeutische Unterstützung bemühen.
Mit Blick auf mentale Gesundheit geht es immer wieder um Selbstliebe, Selbstfürsorge oder Selbstakzeptanz. Ist Sologamie nicht also eigentlich der folgerichtige nächste Schritt für Menschen, die mit sich im Reinen sind?
Selbstliebe ist leider nach meiner Erfahrung ebenso ein Mode- und Suchmaschinenbegriff geworden wie viele andere aus dem psychologischen Bereich, um daraus Dienstleistungen zu generieren. Ein stabiler Selbstwert ist wichtig. Viele Menschen fühlen sich als Belastung, niemals gut genug, werten sich ab im Vergleich mit anderen. Sie geraten dann nach meiner Beobachtung häufig geradezu in einen überwertigen Selbstoptimierungsprozess, wenn sie versuchen, ihre Kritik an sich selbst in Liebe umzukehren. Ich gehe mit, dass es gut ist, mit sich selbst befreundet zu sein. Der Appell "Du musst dich selbst lieben!" erscheint mir aber als ein zu hoher Druck.
Was raten Sie stattdessen?
Ich persönlich arbeite lieber mit Persönlichkeitsanteilen, die vielleicht weniger sympathisch sind. Diese haben sich meist aus guten Gründen als Schutzstrategie entwickelt und haben deshalb einen respektvollen Umgang verdient. Sonst werden aus ihnen die fiesen, verbitterten Stimmen von inneren Kritikern. Eine Versöhnung mit den Facetten der eigenen verletzten Anteilen ist eine großartige Idee. Nur dann werden sich diese auch weniger häufiger zu Wort melden. Und dann lässt sich gut im Reinen mit den eigenen Persönlichkeitsanteilen leben.
Würden Sie aus therapeutischer Sicht Menschen zu dem symbolischen Akt der Selbstheirat raten? Immerhin können ja auch Verheiratete sich selbst heiraten, um zu zeigen, auch innerhalb einer Beziehung eigenständig zu leben.
Das kann man machen. Für einige mag ein solcher Akt etwas Befreiendes, Erleichterndes darstellen. Sich selbst zu spüren und wieder wahrzunehmen und zu akzeptieren, ist Teil vieler therapeutischer Prozesse. Würde ich das grundsätzlich jedem empfehlen? Nein. Dass Menschen unterschiedlicher Herkunft oder des gleichen Geschlechts heiraten durften, war ein langer und schmerzhafter gesellschaftlicher Prozess, für den viele Menschen große Opfer gebracht haben. Dieses Symbol für schöne Instagram-Fotos und Berichterstattung zu instrumentalisieren, darf auch hinterfragt werden.
Kritiker und Kritikerinnen weisen auch darauf hin, dass Sologamie ein Ausdruck von Narzissmus sein kann. Wie ordnen Sie diesen Einwand ein?
Sologamie kann natürlich ein Ausdruck von überhöhtem Selbstwert sein. Ebenso aber ganz genau das Gegenteil. Das lässt sich nur individuell beantworten und deshalb auch nicht pauschal verurteilen oder als Ideal propagieren.
Wo hört Selbstliebe auf und wo beginnt Selbstverliebtheit?
Es ist ein schmaler Grat. Nach meiner Beobachtung ist Selbstverliebtheit meist die Folge von zu wenig Nähe, keiner sicheren Bindung, mangelnder Zuneigung. Sich selbst zu akzeptieren, mit sich befreundet zu sein, alle seine Persönlichkeitsanteile mit Respekt zu behandeln, das scheint mir eine Aufgabe, die für jeden unterschiedlich groß ist.
Als alleinstehende oder unverheiratete Person ist man auch im Jahr 2023 noch stigmatisiert. Kann die Sologamie vielleicht auch ein Zeichen gegen eine gesellschaftliche Überhöhung von Paaren setzen?
Menschen benötigen Verbindung und Bindungen. Mit der Geburt erleben wir dieses Bedürfnis, unser Gehirn wird verdrahtet mit den ersten Erfahrungen unserer Bedürftigkeit nach Unterstützung. Diese Verbindung lässt sich jedoch nicht nur mit einer Ehe oder einer Zweierbeziehung herstellen. Hier muss auch noch einmal deutlich gemacht werden: Die Ehe als romantisches Modell ist eine sehr neue Erfindung. Bis vor wenigen Hundert Jahren wurde nicht aus Liebe geheiratet. Liebe war im Gegenteil als Sicherheitsrisiko für diese vor allem wirtschaftliche und für Frauen existentielle Verbindung verpönt. Ich beobachte eher eine Überromantisierung der Liebesbeziehung als eine Überhöhung von Paaren. Dieser Effekt hat meiner Meinung nach erheblich mit den Medien zu tun, seit einiger Zeit auch stark mit sozialen Medien, aber vor allem mit den Filmen und Serien, die wir konsumieren, die ohne gescriptete und dramaturgisch überzogene Fallhöhe nicht so begehrt wären. Diese Wirkung von schädlichen Vorbildern nenne ich "Disneyfizierung der Liebe".
Warum sind es häufig Frauen in ihren Dreißigern, die sich selbst das Jawort geben?
Weil über die berichtet wird, vermute ich, und das in Medien, die Frauen lesen. Männer, könnte ich mir vorstellen, wissen über diesen Trend signifikant weniger bis gar nichts, weil sie diesen Geschichten in ihrem Alltag und ihrer Informationsblase gar nicht begegnen. Sie werden als Mann auch vermutlich die Werbung für ein Self-Wedding-Paket schon aus Gründen der Marketingkosten erheblich seltener in ihrem Newsfeed sehen.
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