Mehr als jeder zweite Mann hat in einer Beziehung schon einmal Gewalt erfahren. Auch wenn es keine massiven körperlichen Angriffe sind, leiden viele stark unter den psychischen Folgen.

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Wenn in Familien Gewalt eskaliert, sind in der Regel Männer die Täter. Davon zeugen überfüllte Frauenhäuser und die Fälle, die der Polizei bekannt werden. Bei Gewalt in Partnerschaften waren im Jahr 2022 bundesweit 78,3 Prozent der Tatverdächtigen Männer. Allerdings können auch sie Opfer von Beziehungsgewalt werden, wie eine neue Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) belegt.

Psychische, körperliche, digitale und sexuelle Gewalt

In einem Online-Fragebogen gaben mehr als die Hälfte - nämlich 54 Prozent - der befragten 18- bis 69-jährigen Männer an, schon einmal Gewalt in einer Partnerschaft erlebt zu haben. Knapp 40 Prozent berichteten von psychischer Gewalt, 39 Prozent von Kontrollverhalten ihrer Partnerin beziehungsweise ihres Partners und fast 30 Prozent von körperlicher Gewalt. 5,4 Prozent gaben an, sexuelle Gewalt erfahren zu haben, 6,5 Prozent waren schon von digitaler Gewalt betroffen. In dem Projekt nahmen 1.209 an einer Online-Befragung teil.

"Gewalt in Partnerschaften ist komplex, es gibt eine Dynamik", sagt die Kriminologin und Mitautorin Laura-Romina Goede. Häufig beginne es mit übergriffigem Verhalten, Abwertungen und Schuldzuweisungen oder auch einer Isolation vom sozialen Umfeld. "Irgendwann waren dann die Grenzen so weit verschoben, dass es auch zu körperlicher Gewalt kam", beschreibt Mitautor Philipp Müller.

Gewalt wurde teilweise als "nicht so schlimm" empfunden

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Männer überwiegend von weniger schweren Formen körperlicher Gewalt betroffen waren wie zum Beispiel Wegschubsen. Bei der psychischen Gewalt handelte es sich oft um Anschreien, Beschimpfungen und Beleidigungen.

Der Studie zufolge nahmen nur 7,9 Prozent der Befragten nach der Gewalterfahrung Kontakt zu Polizei oder Beratungsstellen auf. 59 Prozent derjenigen, die keinen Kontakt zu Behörden oder Beratungen suchten, gaben als Grund an, dass sie die Gewalt als "nicht so schlimm" empfunden hätten.

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Allerdings haben vermeintlich leichtere Gewaltformen vielfach ebenfalls schwerwiegende gesundheitliche Folgen. 66 Prozent der Betroffenen fühlten sich psychisch belastet, mehr als 40 Prozent berichteten von Stress, Anspannung und Gefühlen der Machtlosigkeit und Erniedrigung. Fast jeder fünfte Betroffene litt an Schlafstörungen und Alpträumen.

Emotionale Abhängigkeit in der Beziehung

"Wir plädieren daher für ein breiteres Verständnis von Gewalt, das über strafrechtlich relevantes Verhalten hinausgeht", betont Goede. Ständiges Abwerten und Schlechtmachen über Jahre hinweg könne massive psychische Folgen haben.

Wenn Männer Gewalt erleben, stehen sie oft vor anderen Problemen als Frauen. Das veranschaulichten auch 16 Interviews, die die Forschenden mit Betroffenen führten. Weil Gewalt gegen Männer ein gesellschaftliches Tabu ist, schätzten viele ihre Situation lange falsch ein oder suchten die Schuld bei sich selbst, erläutert Müller. "Ein Interviewpartner sagte mir: ,Wenn ich mich nicht als Opfer von Gewalt empfinde, schalte ich auch nicht die Polizei ein.'"

Von den interviewten Männern blieben laut Müller viele trotz der Gewalterfahrung in der Familie, weil sie fürchteten, dass im Fall einer Trennung die Kinder bei der Mutter bleiben würden. Grundsätzlich spielten emotionale Abhängigkeiten eine große Rolle, berichtet der Kriminologe, gerade wenn man früh in einer Beziehung zusammengezogen und Kinder bekommen habe.

Bewusstsein schaffen: Auch der Mann kann das Opfer sein

"Wir wollen mit unserer Studie nicht das Thema Gewalt gegen Frauen relativieren", betont Müller. Notwendig sei aber ein größeres Bewusstsein in der Gesellschaft darüber, dass auch Männer Opfer werden könnten. Zudem müssten spezielle Hilfsangebote ausgebaut werden.

Dafür macht sich auch die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz stark. Bisher gebe es bundesweit nur 48 Plätze für Männer in Schutzeinrichtungen, kritisiert Jana Peters von der Koordinierungsstelle. Nur in Sachsen gebe es eine Förderrichtlinie für diese Einrichtungen, in einer Handvoll anderer Bundesländer hätten sie Projektstatus. In der Mehrheit der Länder gebe es bisher gar keine Schutzeinrichtungen speziell für Männer.

Peters plädiert dafür, Einrichtungen zu schaffen, in denen Männer auch gemeinsam mit ihren Kindern unterkommen können. 60 Prozent der Betroffenen hätten Kinder, oft trauten sie sich nicht, die Kinder mitzunehmen, wenn sie aus einer gewaltbelasteten Beziehung flüchteten. "Für die Kinder ist es aber total wichtig, aus dem gewaltvollen Umfeld herauszukommen", sagt Peters. (dpa/mak)

Hilfsangebote

  • Wenn Sie selbst von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen sind, wenden Sie sich bitte an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (116 016 oder online), das Hilfetelefon "Gewalt an Männern" (0800/1239900 oder online), das Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch" (0800/225 5530), in Österreich an die Beratungsstelle für misshandelte und sexuell missbrauchte Frauen, Mädchen und Kinder (Tamar, 01/3340 437) und in der Schweiz an die Opferhilfe bei sexueller Gewalt (Lantana, 031/3131 400)
  • Wenn Sie einen Verdacht oder gar Kenntnis von sexueller Gewalt gegen Dritte haben, wenden Sie sich bitte direkt an jede Polizeidienststelle.
  • Falls Sie bei sich oder anderen pädophile Neigungen festgestellt haben, wenden Sie sich bitte an das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden".
  • Anlaufstellen für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.
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