Immer mehr Menschen suchen auch mit leichten Beschwerden eine Notaufnahme auf. Dabei wären sie in einer ärztlichen Bereitschaftspraxis viel besser aufgehoben. Stattdessen binden sie in den Notaufnahmen Kapazitäten, die dort eigentlich für lebensbedrohliche Notfälle benötigt werden.

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Leichtes Fieber? Durchfall? Oder aus Versehen auf eine Biene getreten? Was manche Menschen erst einmal zu Hause auskurieren, führt andere direkt in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses. Das ist ein Problem, da sie dort Kapazitäten binden und die Notaufnahmen überlasten.

Notaufnahmen sind eigentlich nur für lebensbedrohliche Notfälle zuständig. Dazu gehören zum Beispiel der Verdacht auf einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt oder auch Krampfanfälle.

Auch starke Blutungen, Brüche oder starke Atemnot sind Fälle für die Notaufnahme. Stattdessen lassen sich dort aber immer häufiger Patienten mit leichten Beschwerden behandeln.

Die Mehrzahl der Patienten sind keine Notfälle

Bei der Studie "Patienten in der Notaufnahme von norddeutschen Kliniken" gaben 2017 54,7 Prozent der befragten Patienten an, dass eine Behandlung bei ihnen nicht dringend sei. Befragt für die Studie des Universitätsklinikums Hamburg wurden mehr als 1.000 Patienten. Damit handelte es sich bei mehr als der Hälfte der Patienten dort nicht um Notfälle im eigentlichen Sinne.

Insgesamt stiegen in den vergangenen Jahren deutschlandweit die Patientenzahlen in den Notaufnahmen an. 2013 – das sind die letzten offiziellen Zahlen der Krankenkassen – ließen sich 8,38 Millionen Patienten in einer Notaufnahme behandeln. Einige Studien gehen sogar davon aus, dass sie in Zukunft um weitere vier bis neun Prozent im Jahr steigen könnten.

Probleme gibt es insbesondere in Ballungsgebieten

Um die Notaufnahmen zu entlasten, schlug die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen jüngst sogar eine Strafgebühr in Höhe von 50 Euro für Patienten vor, deren Besuch in der Notaufnahme sich als grundlos herausstellt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat diesen Vorschlag revidiert – aber das Problem der überlasteten Notaufnahmen bleibt bestehen.

"Wir haben nicht überall in Deutschland Probleme", sagt Roland Stahl, Pressesprecher der KBV, im Gespräch mit dieser Redaktion. Betroffen seien insbesondere Ballungsgebiete – und dort suchten im Schwerpunkt junge Erwachsene die Notaufnahmen auf, obwohl sie ihren Beschwerden nach eigentlich in eine Bereitschaftspraxis gehen müssten.

Viele Patienten wissen nicht, an wen sie sich wenden können

"Viele Patienten wissen gar nicht, an wen sie sich wenden können, wenn sie ein Problem haben", sagt Stahl. Zudem gehe in der Gesellschaft immer stärker grundlegendes medizinisches Wissen verloren. "Früher wusste man vielleicht noch von der Großmutter, dass bei leichtem Fieber eine Kompresse hilft", sagt Stahl. "Heute haben aber viele das Wissen nicht mehr und kommen stattdessen in die Notaufnahme."

Manche der Patienten stammen laut Stahl zudem aus Ländern, in denen es keine niedergelassenen Praxen, sondern nur eine Versorgung in Krankenhäusern gibt. "Dann ist die Notaufnahme natürlich die erste Anlaufstelle, weil man nichts anderes kennt."

Stahl beklagt zudem eine gewisse Servicementalität: "Manche Patienten möchten alles und das jetzt sofort. Dafür kommen sie in die Notaufnahme." Wer dort aber ein zügiges Rundumprogramm mit Check-Ups erwarte, der werde "bitter enttäuscht".

Viele Beschwerden sind ein Fall für die Bereitschaftspraxis

Ein Problem sei zudem, dass viele Menschen nicht einschätzen könnten, wie dringend eine Behandlung eigentlich tatsächlich ist. "Ich habe volles Verständnis für junge Eltern, die in die Notaufnahme kommen, weil das Kind leichtes Fieber hat", sagt Stahl. "Das ist aber eindeutig kein Fall für die Notaufnahme, sondern für den Bereitschaftsdienst."

Die Notaufnahmen können Patienten auch wegschicken. "Das liegt im Ermessen des jeweiligen Arztes", sagt Stahl. Grundsätzlich bestehe immer die Gefahr, Kapazitäten für einen echten Notfall zu binden.

Eine Grundregel lautet: Bei allen Beschwerden, mit denen man sonst zu seinem Hausarzt gehen würde, gehört man in eine Bereitschaftspraxis. Die Praxen sind bundesweit unter der Nummer 116117 erreichbar.

Wer dort anruft, wird beraten und erfährt den Standort der nächsten Praxis. Bei Bedarf kommt ein Arzt auch zu einem nach Hause. Typische Fälle für den Bereitschaftsdienst sind zum Beispiel Erkrankungen mit hohem Fieber, akute Rückenschmerzen, Bauchschmerzen oder auch Harnwegsinfekte.

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