Wie sie im Ernstfall ein Leben retten können, wissen die meisten Menschen zumindest in der Theorie. Herzdruckmassage, stabile Seitenlage - das hat man mal im Erste-Hilfe-Kurs gelernt. Mit der Frage, wie man einen Menschen bestmöglich in den Tod begleitet, befassen wir uns hingegen häufig erst, wenn sie sich im privaten Umfeld aufdrängt. Dabei gibt es auch für diese Situation wertvolles Rüstzeug. Zu Besuch bei einem Letzte-Hilfe-Kurs.

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Wir, die rund 50 Menschen, die an diesem Abend in der Münchner Rogatekirche zusammengekommen sind, kennen einander nicht. Und doch sprechen wir offen über intime Gefühle und teils traumatische Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Tod.

Eine Frau erzählt von den letzten Stunden im Leben ihres Schwiegervaters: Er lag in einer Klinik und wurde beatmet. Irgendwann rieten die Ärzte, den zusätzlichen Sauerstoff wegzunehmen, um den unumkehrbaren Sterbeprozess nicht zu verlängern. Die Familie stimmte zu. Als ein Mediziner die Sauerstoffmaske abnahm, begann der Mann scheinbar panisch nach Luft zu schnappen. "Ich habe jahrelang mit dem Gedanken gekämpft, dass er erstickt ist, weil wir den Sauerstoff haben wegnehmen lassen", sagt die Frau. Dass Schnappatmung am Ende des Lebens völlig normal ist und mit Ersticken nichts gemein hat, hätte sie gern früher gewusst.

"Viele Angehörige verwechseln Schnappatmung mit Ersticken", sagt Katarina Theißing. "Was das für Traumata anrichtet, habe ich erst verstanden, als ich begonnen habe, diese Kurse zu geben."

Interesse an Letzte-Hilfe-Kursen wächst

Theißing ist gelernte Altenpflegerin, hat eine palliativmedizinische Ausbildung und arbeitet in einem Hospiz. Seit zwei Jahren hält sie außerdem sogenannte Letzte-Hilfe-Kurse.

Das Konzept hat der dänische Palliativmediziner Georg Bollig vor über zehn Jahren entwickelt. "Aber offenbar war die Zeit damals nicht reif für diese Idee", sagt Theißing. Das hat sich geändert. 2015 gab es die ersten Kurse in Deutschland. Heute bieten im deutschsprachigen Raum rund 800 ausgebildete Referenten Letzte-Hilfe-Kurse nach Bolligs Konzept an (Eine Auswahl aktueller Termine finden Sie hier). An diesem Abend ist der Andrang groß. Einige Interessenten muss der Veranstalter auf den nächsten Kurs vertrösten.

Der Kurs ist genau genommen ein Vortrag. Die Teilnehmer können nichts anfassen, üben oder praktisch ausprobieren, bekommen aber jede Menge praktischer Tipps. Woran erkenne ich, dass ein Mensch im Sterben liegt? Welche Symptome sind normal? Was muss ich wissen, um einem Angehörigen den Wunsch, zu Hause zu sterben, ermöglichen zu können? Welche Bedürfnisse hat ein Mensch in den letzten Tagen und Stunden seines Lebens? Auf diese Fragen gibt Theißing binnen dreieinhalb Stunden ausführlich Antwort.

Ein Tabuthema? Nicht hier!

Tabus gibt es in dieser Runde nicht. Jede Frage ist erlaubt. "Was würden Sie tun, wenn ein Sterbender Stuhlgang hat. Ihn sauber machen und umziehen, auch wenn das strapaziös ist, oder ihn einfach in Ruhe liegen lassen?", will eine Teilnehmerin von Katarina Theißing wissen. Diese überlegt. "Bei Stuhlgang würde ich den Betroffenen frisch machen. Bei Urin würde ich vielleicht anders entscheiden."

Auch über Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung sprechen wir. Wo bewahre ich die Dokumente am besten auf? Was gilt es bei der Formulierung zu beachten? "In der Patientenverfügung meiner Mutter stehen Begriffe wie 'unwürdig', das ist doch viel zu schwammig, aber sie sieht das nicht ein", klagt eine Frau. "Absolut", pflichtet Theissing bei und kommt zum nächsten Punkt: Wie spreche ich mit meinem Partner, den Kindern oder Eltern über diese Themen - auch dann, wenn sie ausweichen oder sich gar sträuben?

"Sie können sich nicht vorstellen, wie tief mich das berührt hat"

Zum Ende hin kommen wir auf das Thema Trauer. Eine Frau erzählt von ihrer Unsicherheit im Umgang mit einer Freundin, die jüngst mit Mitte 50 ihren Mann verloren hat. "Wenn ich anrufe blockt sie ab."

Dranbleiben, rät Theißing. Viel zu oft würden Freunde und Familie über Verstorbene schweigen, aus Angst, verheilte Wunden wieder aufzureißen. Tatsächlich aber sei den meisten Hinterbliebenen daran gelegen, den Verstorbenen lebendig zu halten, indem man auch nach Jahren und Jahrzehnten noch über ihn spricht. Da platzt es aus einer älteren Dame heraus: "Ich habe meinen Sohn vor 20 Jahren bei einem Unfall verloren. Kürzlich hat sich eine Bekannte gemeldet, von der ich jahrelang nichts gehört hatte, und angeboten, mit mir zum Grab zu gehen. Sie können sich nicht vorstellen, wie tief mich das berührt hat."

Mancher im Raum schluckt oder wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Kein Kurs der Welt wird aus dem Tod etwas Leichtes machen. Doch gute Vorbereitung macht den Umgang mit ihm zumindest leichter.

Verwendete Quellen:

  • Recherche im Letzte-Hilfe-Kurs am 14. November 2018 in der evangelisch-lutherischen Rogatekirche in München.
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