- Experten sprechen schon von einer Einsamkeitsepidemie: Immer mehr Menschen fühlen sich allein.
- Darunter kann sowohl die psychische als auch die körperliche Gesundheit leiden.
- Die Psychiaterin Iris Hauth zeigt Betroffenen Auswege auf, die auch in Zeiten der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen möglich sind.
Wie wertvoll soziale Kontakte sind, merken viele besonders während der Corona-Krise, wo diese weitgehend eingeschränkt sind. Dabei ist der direkte Austausch mit anderen nicht nur eine angenehme Nebensächlichkeit, er ist lebenswichtig. Untersuchungen zeigen, dass soziale Isolation das Leben verkürzen kann.
Mit anderen Menschen interagieren, sich immer wieder auf unterschiedliche Personen einstellen und Bindungen aufbauen - das sind wichtige Faktoren in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.
Auch im weiteren Leben verliert der soziale Kontakt nicht seine Bedeutung. Studien zeigen, dass bei allein lebenden Erwachsenen die Wahrscheinlichkeit, eine Depression zu entwickeln, um bis zu 80 Prozent und das Risiko einer Angststörung um bis zu 50 Prozent erhöht ist.
Sich auf unterschiedliche Menschen einzustellen und mit ihnen zu kommunizieren, ist ein komplexer Vorgang und fordert Hochleistungen vom Gehirn. Daher gilt ein reger Umgang mit vielen unterschiedlichen Personen als das effektivste Fitnessprogramm für das Denkorgan. Studien zeigen, dass die kognitiven Fähigkeiten von älteren Menschen schneller abnehmen, wenn sie nur selten und wenige andere Menschen sehen.
Einsamkeit als Ursache für körperliche und psychische Krankheiten
Neben der fehlenden kognitiven Stimulation spielt ein subjektiv empfundenes Gefühl von Einsamkeit als Ursache von Erkrankungen eine immer größere Rolle. "Experten sprechen schon davon, dass wir weltweit und besonders in den Industrienationen eine Einsamkeitsepidemie haben", sagt Iris Hauth. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie leitet das Alexianer St. Joseph-Krankenhaus in Berlin.
Dieses Empfinden von Einsamkeit trifft nicht jeden, der wenig Austausch mit anderen hat. Umgekehrt gibt es Menschen, die sozial gut eingebunden sind und sich trotzdem einsam fühlen.
Einsamkeit sei "ein sehr schmerzhaftes Gefühl, oft verbunden mit Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit bis hin zu depressiven Gefühlen", erklärt Hauth. Oft sei zu beobachten, dass sich Betroffene zusätzlich zurückziehen würden, wenn sie immer wieder erleben, dass ihnen das Herstellen einer Verbindung zu anderen nicht gelingt.
Schließlich könnten auch Symptome auftreten wie Schlafstörungen "bis hin zu Gedanken wie 'das Leben hat doch gar keinen Sinn', 'wofür bin ich eigentlich noch gut' – also suizidale Gedanken", so Hauth.
Ein länger andauerndes Gefühl von Einsamkeit ist der Expertin zufolge ein chronischer Stress: "Er beeinflusst das Immunsystem. Er ist ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für Depression, für die Entwicklung von Demenz bis hin zu einem früheren Todeseintritt."
Was Betroffenen hilft
In der aktuellen Pandemiesituationen wäre es besser, von physischer statt von sozialer Distanz zu sprechen, empfiehlt Hauth. "Natürlich soll man sich nicht oder nur in kleinsten Runden treffen. Aber die sozialen Kontakte sollten weiterhin gepflegt werden. Räumliche Distanz darf man nicht mit emotionaler Distanz verwechseln", betont sie.
Ein Aspekt ist der Expertin zufolge, sich bewusst die Zeit zu nehmen, um die bestehenden Kontakte zu halten. Telefonieren, Bildtelefonie über Skype oder Messengerdienste seien dabei nützliche Behelfsmittel.
Außerdem könne man auf Menschen zugehen, die man nicht kennt. Beim Einkaufen oder im Hausflur könne man einfach grüßen und fragen, wie es dem anderen geht. Denn schon ein kurzer Plausch sei hilfreich.
"Man kann bewusst schauen, wer denn eigentlich nebenan wohnt", empfiehlt Hauth. "Ist es vielleicht eine alte Frau, die allein lebt? Die könnte man auch einmal ansprechen". Das tue beiden Seiten gut und im besten Fall könne man sogar etwas Sinnvolles für den anderen machen, was zusätzlich einen positiven Effekt für beide habe.
Auch negative Gefühle eingestehen
Im Gespräch mit anderen dürfe man auch negative Gefühle ansprechen und dem anderen und auch sich selbst gegenüber eingestehen, dass einen die Pandemiesituation belastet. Wichtig sei es aber, dann einen Schritt weiterzugehen und zu überlegen, was man aus der Situation machen kann.
Das falle nicht jedem leicht: "Wenn jemand vorher schon zurückgezogen war, dann ist es schwieriger. Aber auch dann kann man sich kleine Ziele setzen. Ein Telefonat in der Woche kann ein Anfang sein." Entscheidend sei es, aktiv zu werden und die Situation bewusst anzugehen und sich nicht als Opfer der Situation zu sehen.
Außerdem sei es hilfreich, den Tag zu strukturieren und sich kleine Aufgaben vorzunehmen. "Vielleicht den Keller aufzuräumen. Dann entsteht abends das Gefühl, der Tag ist nicht nur dahingegangen und ich war betrübt, sondern ich habe auch eine kleine Aktivität ausgeführt, was mir ein positives Gefühl gibt."
Wann sollte man professionellen Rat suchen?
"Wenn das Gefühl der Einsamkeit verbunden mit Symptomen wie Traurigkeit, depressiver Verstimmung, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen länger als 14 Tage andauert, sollte man sich professionelle Hilfe suchen", rät Hauth.
"Ganz besonders gilt das, wenn Gedankten auftauchen, wie 'was hat das Leben noch für einen Sinn'." Die erste Anlaufstelle könne der Hausarzt sein. Letztlich würden ärztliche und psychologische Psychotherapeuten weiterhelfen.
Vorher könne man auch niederschwellige Angebote wie Telefonhotlines ausprobieren, die für solche Zwecke betrieben werden. Das Projekt "Silbernetz" ist beispielsweise ein Angebot speziell für ältere Menschen, die sich einfach nur mal unterhalten möchten. Den gleichen Zweck verfolgen die "Telefonengel". Hier werden Menschen zusammengebracht, die sich am Telefon mit anderen austauschen möchten.
Wer psychologische Beratung statt nur einen Plausch braucht, kann über Krisentelefone eine erste Orientierung bekommen. Für praktische Hilfe gibt es in vielen Städten nachbarschaftliche Initiativen, bei denen ehrenamtliche Helfer beispielsweise Einkäufe für Menschen in ihrer Umgebung erledigen.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Dr. med. Iris Hauth, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, tätig als ärztliche Direktorin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.
- Bundespsychotherapeutenkammer: Coronapandemie und psychische Erkrankungen
- Studie: Psychosoziale Folgen von Quarantänemaßnahmen bei schwerwiegenden Coronavirus-Ausbrüchen - ein Rapid Review
- Ärzteblatt: Soziale Kontakte im mittleren und späten Lebensalter könnten Demenzrisiko senken
- Webseite von "Silbernetz"
- Webseite der "Telefonengel"
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