Wer nach einem Zeckenstich eine Borreliose oder Neuroborreliose hatte und danach ständig abgeschlagen ist, für den mag die Diagnose "chronische Borreliose" oder Post-Lyme-Syndrom logisch erscheinen. Doch an der Diagnose scheiden sich die medizinischen Geister. Experten warnen vor falschen Befunden.
Ständig abgeschlagen und müde, die Muskeln und Gelenke schmerzen, Gedächtnisstörungen: Manche Ärztinnen und Ärzte gehen bei solchen Beschwerden nach einer Borreliose von einer "chronischen Borreliose", auch Post-Lyme-Syndrom (PLS) genannt, aus. In Fachkreisen ist diese Diagnose allerdings äußerst umstritten. Vor allem, weil sie manchmal ohne ausreichende Tests gestellt wird.
Komplikation Neuroborreliose
Wer von einer mit Borrelien befallenen Zecke gestochen wird, könnte dadurch Borreliose bekommen. Pro Jahr infizieren sich in Deutschland etwa 3 von 10.000 Menschen – bei etwa 3 von 100 davon kommt es zu einer Unterform der Borreliose, der Neuroborreliose. Dabei befallen die Bakterien Nerven und Gehirn. Folgen können sein:
- Lähmungserscheinungen (oft im Gesicht)
- Nervenentzündungen
- Hirnhautentzündung
- Lyme-Arthritis (schmerzhafte Gelenkentzündungen und Schwellungen)
- Herzprobleme
- Chronische Entzündungen der Haut
"Sowohl die Neuroborreliose als auch die Lyme-Arthritis lassen sich wirksam mit Antibiotika behandeln und bleiben meist ohne Spätfolgen", informiert das Bundesgesundheitsamt auf seiner Website gesund.bund.de.
Das Tückische an Borreliose, insbesondere der Neuroborreliose: Sie kann sich schleichend entwickeln. Tatsächlich kann es in seltenen Fällen vorkommen, dass sich Symptome erst Monate oder sogar Jahre nach der Infektion bemerkbar machen.
Deshalb wird bei manchen Patientinnen oder Patienten das Post-Lyme-Disease-Syndrom oder Post-Lyme-Syndrom (PLS), auch als "chronische Borreliose" bezeichnet, diagnostiziert, wenn sie viele Jahre nach einem Zeckenstich über Symptome wie Muskel- und Gelenkschmerzen, anhaltende Müdigkeit oder Konzentrationsschwäche klagen. Voraussetzung dafür ist, dass Borrelien-Antikörper im Blut nachgewiesen werden.
"Es gibt gewiss Personen, die gerade bei Neuroborreliosen Schäden davongetragen haben, die noch persistieren können. Bei manchen Patienten dauern Beschwerden auch lange nach der Therapie an", sagt Allgemeinarzt Markus Frühwein im Gespräch mit unserer Redaktion. Aber gerade die Fatigue-Beschwerden seien sehr umstritten, meint er.
Post-Lyme-Syndrom ist keine eigene Diagnose
Deshalb wird das Post-Lyme-Syndrom "nicht als eigene diagnostische Einheit betrachtet", wie ein Expertenkomitee der Infectious Disease Society of America in den "Practice Guidelines for the Treatment of Lyme Disease" schreibt.
Die Symptome könnten nämlich auch ganz andere Auslöser haben. Auf der Infoseite des Bundesgesundheitsministeriums heißt es dazu, manchmal würden Beschwerden auf eine Borreliose zurückgeführt, obwohl kein Zeckenstich bekannt sei und eine Blutuntersuchung keine entsprechenden Anhaltspunkte liefere: "Es ist dann unwahrscheinlich, dass die Beschwerden tatsächlich mit einer Borrelien-Infektion im Zusammenhang stehen, denn solche Symptome können auch bei vielen anderen Erkrankungen auftreten."
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Studien sollen mehr Klarheit schaffen
Doch es gibt natürlich auch Menschen, bei denen die Diagnose klar ist: Bei ihnen wurde eine Borreliose nachgewiesen und auch behandelt. Manche von ihnen leiden aber auch nach der Behandlung an Symptomen wie Schmerzen, Müdigkeit oder Gehirnnebel. Aber warum?
Dem möchte das National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID), das zum US-amerikanischen Gesundheitsministerium gehört, nachgehen. Es vergab deshalb fünf Forschungsprojekte, die das sogenannte Post-Treatment Lyme Disease Syndrome (PTLDS) untersuchen sollen.
Post-Treatment Lyme Disease Syndrome (PTLDS)
- Von einem Post-Treatment Lyme Disease Syndrome (PTLDS) spricht man, wenn bei Borreliose-Patienten und -Patientinnen die Infektion durch eine Antibiotikabehandlung zwar abgeklungen ist, sie aber weiterhin über Symptome wie Schmerzen, Müdigkeit oder kognitive Beeinträchtigungen klagen. Derzeit ist wenig über die Ursache oder Epidemiologie des PTLDS bekannt.
Wegen steigender Krankheitsfälle werde es immer wichtiger, Lyme-Borreliose mit allen Facetten der Krankheit zu verstehen, wird NIAID-Direktor Hugh Auchincloss zitiert. "Wir gehen davon aus, dass die durch diese Auszeichnungen unterstützte Forschung wichtige Informationen darüber liefern wird, wie diese komplexen Symptome diagnostiziert und behandelt werden können."
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Allgemeinarzt Markus Frühwein
- Robert-Koch-Institut: Ratgeber zu Lyme-Borreliose
- gesund.bund.de: "Borreliose"
- lgl.bayern.de: "Post Lyme Syndrom"
- cdc.gov: "Chronic Symptoms and Lyme Disease"
- thelancet.com: Studie "Systematic comparisons between Lyme disease and post-treatment Lyme disease syndrome in the U.S. with administrative claims data"
- nih.gov: "NIH awards will fund Post-Treatment Lyme Disease Syndrome research"
- pubmed.ncbi.nlm.nih.gov: Clinical Practice Guidelines by the Infectious Diseases Society of America (IDSA), American Academy of Neurology (AAN), and American College of Rheumatology (ACR): 2020 Guidelines for the Prevention, Diagnosis, and Treatment of Lyme Disease
Redaktioneller Hinweis
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