- Bereits in den 1970er-Jahren erforschte Elisabeth Noelle-Neumann die Theorie der sogenannten Schweigespirale.
- Es geht darum, dass unsere Bereitschaft der eigenen Meinungsäußerung davon abhängt, wie das Meinungsklima unserer Umgebung eingeschätzt wird.
- Da wir uns häufig mit Menschen umgeben, die unsere Einstellungen und Meinungen teilen, fällt es manchen Leuten immer schwerer, auch andere Meinungen zuzulassen.
Ein kleines Gedankenspiel zu Beginn: Stellt euch vor, ihr steht in einer Gruppe von fünf Menschen. Das Gespräch ist angeregt. Es geht um die Corona-Impfung. Und mit der Zeit fällt euch auf, dass ihr der Einzige seid, der sich hat impfen lassen. Die anderen vier sind heftige Impfgegner. Was tut ihr?
Wenn ihr ein bisschen seid wie ich, dann werdet ihr zunächst versuchen, eure Meinung einzubringen. Ihr werdet den Versuch unternehmen, gegenzuhalten, nur um in eine heftige, emotionale Debatte zu geraten. Und mit der Zeit werdet ihr euch denken: "Ach, was soll’s! Ich weiß doch, dass ich im Recht bin", und das Gespräch verlassen. Das ist okay, schließlich schützt ihr euch nur. Die anderen haben euch nicht umgestimmt, aber ihr sie auch nicht.
Doch was, wenn die Situation andersherum ist? Glaubt ihr, man hätte den einzelnen Impfgegner umstimmen können? Sehr wahrscheinlich nicht. Man hat ihn nur ausgegrenzt. Das Phänomen, was ihr hier gerade erlebt habt, nennt sich Schweigespirale.
Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann hat die Theorie in den 1970er-Jahren entwickelt. Bei der Schweigespirale geht es darum, dass die Bereitschaft der Meinungsäußerung in großen Teilen davon abhängt, wie das Meinungsklima eingeschätzt wird. Also davon, ob ihr glaubt, dass euer Umfeld eure Meinung teilt oder nicht. Man kann das Prinzip immer wieder schön auf Familienfeiern betrachten. Während ihr mit euren Freunden vielleicht völlig problemlos und offen über Feminismus und Veganismus diskutiert, werdet ihr euch bei Oma Erna eher zurückhalten. Niemand hat Lust auf Diskussionen unterm Weihnachtsbaum.
Dabei kommt es sehr stark darauf an, wie weit die Meinungen auseinanderliegen. Je näher man einem möglichen Kompromiss ist, umso eher unternimmt man doch mal einen Versuch, das Gegenüber umzustimmen. Liegen die Ansichten und Emotionen aber absurd weit auseinander, wird das Thema zum Tabu. Familiengespräche fühlen sich so schnell an wie ein Tanz auf heißen Kohlen.
Schweigespirale in den sozialen Medien
Wer sich nun denkt: "Verdammt, das kommt mir doch bekannt vor", der ist sicher viel auf Social Media unterwegs. Denn auch hier greift die Schweigespirale. Nur hat sie in den sozialen Medien einen anderen Namen. Hier nennen wir sie Bubbles. Und der Algorithmus unterstützt die Schweigespirale sogar. Denn um Geld mit unseren Daten verdienen zu können, wollen die Macher von Instagram, Facebook und Co. natürlich, dass wir uns so lange wie möglich auf ihren Plattformen aufhalten. Dementsprechend zeigen sie uns Dinge, die uns interessieren. Würde uns auf Facebook ständig jemand anschreien und uns sagen, dass das, was wir äußern, dämlich ist, dann würden wir die App wohl ganz schnell wieder löschen. Doof für Mark Zuckerberg.
Also werden wir eher mit Menschen verbunden, die uns ähnlich sind. Die beispielsweise auf schöne Latte Macchiatos, Smoothie Bowls und Veganismus stehen. Es bedarf da schon einiges, um mit Leuten in Kontakt zu kommen, die Deutsch-Rap hören und Egoshooter zocken. Zumindest auf Social Media. Natürlich ist uns allen bewusst, dass es diese Leute gibt, aber wie groß die Bubble wirklich ist, wissen wir erst, wenn wir sie betreten.
Talkshows und andere Diskussionen
Ganz ähnlich ist das mit politischen oder gesellschaftlichen Diskussionen. Wenn ein Thema gesellschaftlich relevant wird, dann sind wir sehr schnell darin, uns für eine Seite zu entscheiden und diese als die richtige zu betrachten. Da wir uns häufig bereits in der Gesellschaft von Menschen befinden, die uns sehr ähnlich sind, stehen die Chancen nicht schlecht, dass auch sie unsere Meinung teilen. Das nennt sich Echokammer. Verläuft sich nun jemand in unsere Echokammer, der quasi die Opposition unserer Ansichten vertritt, so wird diese Person ihre Meinung wohl eher nicht oder nur sehr zaghaft äußern. Der Rest der Kammer bekommt so gar nicht mit, dass es Menschen mit anderen Ansichten gibt. Praktisch, oder?
Das Problem an dieser Theorie ist nur, dass sie kaum Spielraum für offene Diskurse lässt. Zum einen, weil jeder, der auf eine andere Meinung trifft, zunächst einmal davon ausgeht, dass seine Ansicht aber die richtige wäre und sich deswegen kaum in konstruktive Diskussionen mit der Gegenseite begibt. Zum anderen, weil jeder Mensch Angst vor sozialem Ausschluss hat. Was, wenn ich die einzige Person bin, die diese Meinung äußert? Vielleicht wollen die anderen dann nichts mehr mit mir zu tun haben?
Ein weiteres Problem findet sich in den Medien, die als eine Art Katalysator für Minderheitsmeinungen funktionieren können und so dafür sorgen, dass diese als Mehrheitsmeinung wahrgenommen werden. Wenn beispielsweise die "Tagesschau" immer wieder von "dem Erstarken der AfD" berichtet, dann suggeriert sie dem Zusehenden, dass die AfD viel größer wäre, als sie eigentlich ist. Ein Bekenntnis zur AfD erscheint so für den Einzelnen weniger gefährlich, als zunächst vermutet. Denn anscheinend gibt es ja doch viele Menschen, die diese Partei wählen. Ein Ausschluss aus der eigenen Bubble ist somit weniger wahrscheinlich. Vielleicht versteht ihr nun, warum es so wichtig ist, Fakten deutlich darzustellen und nichts zu antizipieren. Gerade in den öffentlich-rechtlichen Medien. Also, bevor ihr euch eine Meinung bildet, schaut doch mal nach links und rechts, denn Schweigen muss nicht immer die bessere Alternative sein.
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