Hochgelegte Karosserie, Unterfahrschutzblenden aus Kunststoff, Radläufe im Rustikal-Look und auf die Karosserie geklebte Cross- oder X-Schriftzüge: Sieht cool aus und verkauft sich prima. Alles klar soweit? Mitnichten. Denn ein großer Teil dieser vermeintlichen Offroad-Fraktion betreibt Spiegelfechterei vom Feinsten, gibt vor, etwas zu können, wobei in bestimmten Situationen das Talent schon nach wenigen Metern ausgeht. Erst recht, wenn bloß die Vorderräder angetrieben werden und uns auf dem Display mit bunt illustrierten Programmen für Schlamm, Matsch, Schnee, Sand oder sonst irgendeinen losen Untergrund Gelände-Kompetenz vorgegaukelt wird.
Video: Offroad im Schnee: Jeep Wrangler erklimmt die Rodelbahn in Kühtai
Schnell folgt die Erkenntnis, dass der ganze Klimbim nicht für mehr taugt als Bordstein-Besteigungen, geschotterte Feldwege, wenn’s unbedingt sein muss, eine bucklige Wiese. Aber bitte immer schön flach und nicht in der Kombination mit Wasser. Ausgefahrene Matschrinnen, begrünte Abhänge oder gar rutschige Anstiege? Vergessen Sie’s! Es sei denn, Sie haben einen wie den Jeep Wrangler dabei, der Sie im Zweifelsfall wieder herauszieht.
Okay, Jeep hat ebenfals Spiegelfechter-Modelle im Programm – aber eben auch eine Legende. Die brachte der Marke Ruhm und Ehre, machte sie zum Namensgeber einer Fahrzeuggattung, die auszusterben droht, mittlerweile vielleicht noch eine Handvoll Mitglieder zählt. Und weil der Wrangler mit allen Wassern gewaschen ist, bekommt er heute eine Schneepackung. Wenn auch nicht ganz so spektakulär wie der Audi 100 quattro auf der Skisprung-Schanze von Kaipola oder der mit Schneeketten bespannte Red Bull-Formel 1-Renner auf der Streif von Kitzbühel.
Unser Ziel: Die Zufahrt zur Rodelpiste von Kühtai, auf gut 2.000 Metern Höhe. Eiskalt, frisch präpariert und mit einem kleinen Trial-Parcours ganz oben, eingerahmt von jeder Menge Bergspitzen, die sie hier Kogel nennen. Die Technik: Ein PHEV mit Zweiliter-Turbobenziner nebst E-Maschine, automatisch zuschaltendem Allradantrieb, Untersetzungsgetriebe. In den Radkästen steckt grobstolliges Gummi, dem es bei Minusgraden an Elastizitzät mangelt. Sei’s drum, soll ja ein Abenteuer werden, keine Spazierfahrt.
Jeep Wrangler als Beinahe-Cabrio
Und siehe da, so ganz auf verlorenem Posten ist man mit den Mud Terrains von BF Goodrich doch nicht. Der Wangler zieht sich und uns langsam aber sicher aus einem Schneehaufen, nimmt Fahrt auf, steuert die vielleicht sechs bis acht Prozent steile Rampe an. Stabilitätsprogramm? Deaktiviert. Das Antiblockier-Programm muss reichen. So hangeln wir uns an der Schlupfgrenze entlang, gehen auch mal darüber hinaus, lassen die 18 Millimeter hohen Profilblöcke Schnee schaufeln und ihn flatschend durch die Radkästen fliegen.
Da kommt die erste Rechtskurve und plötzlich schneit’s auch horizontal, wirbeln Flocken durchs Cockpit, an dessen Robustheit Du keine Sekunde zweifelst, wahrscheinlich mit dem Kärcher durch die Fußräume gehen könntest, statt einfach nur die Matten auszuklopfen. Schnee im Cockpit? Jawoll, denn zu allem Überfluss haben sie unserem Rubicon-Wrangler die Türen ausgehängt, das Hardtop abgeschraubt, mal eben ein Beinahne-Voll-Cabrio draus gemacht. Abenteuerlich.
Die Heizung bollert auf Anschlag, würde normalerweise für geschmolzene Schuhsohlen sorgen. Heute nicht, denn im Nu ist die warme Luft verfloge. So bleiben uns bloß die Heizdrähte unterm Hintern und im Lenkradkranz, die den Lederbezug weich machen, gegen die frostige Stimmung kämpfen. Pflicht bei der Fahrerausstattung: Mütze, Skibrille, Handschuhe und Wollunterwäsche. Puls und Körpertemperatur steigen, als Fotograf Dani bittet, zu stoppen. Mitten auf der Rampe. Gesagt, getan ... geflucht. Zwar arbeitet sich der Jeep Wrangler – einmal in Bewegung – traktionsstark und gefühlt unaufhaltsam die Steigung hinauf. Fürs Anfahren am Berg aber reicht’s dann doch nicht. Allen Sperren und Untersetzungen zum Trotz. Zumindest nicht hier, wo wohl doch schon jemand die frisch gespurte Piste überquert hat. Hätten sie doch einfach einen Satz dieser langweilig lammelierten 0815-Winter- statt Offroadsocken aufgezogen.
Kraxelnde Schneeschleuder
Aber mit Jammern hat’s noch niemand nach oben geschafft. Also zurückrollen, neu ansetzen, Halt suchen, behutsam am Gas. Dessen Dosierbarkeit allerdings kann gegen die Regelgüte der Traktionskontrolle einpacken. So geht’s wieder langsam vorwärts, schleudern die Reifen mit Schnee um sich, nimmt der Wrangler Tempo auf, kraxelt mit Schwung in Richtung Ziel am Fuße der knapp 2.400 Meter hohen Mute. Zwischenstopp auf einem Plateau, gut für ein paar Donuts. Doch mehr als einen Ausfallschritt lässt der Rubicon nicht zu, verteilt die Momente schnell wieder nach vorn, zieht sich gerade. Mit anderen Worten: Driften ist nicht.
Dafür aber Klettern – solang der Schwung ausreicht. Dabei prasseln via Touchscreen allerlei Informationen auf dich ein – vom Lenkwinkel über Längs- und Querneigung bis zum Zustand der Sperren an Vorder- und Hinterachse. Für Orientierungslose stets eingeblendet: Geo-Koordinaten. Und falls du dich fragst, was hinter der nächsten Kuppe lauert: Einfach die Kamera im Kühlergrill aktivieren, schon weißt du’s. Bergauf genügt das bloße Auge. Also nochmal Anlauf nehmen, für den letzten Steilhang. Spiegelfechter wären verloren. © auto motor und sport
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